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Die Schlucht. Иван Гончаров
Читать онлайн.Название Die Schlucht
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Иван Гончаров
Жанр Русская классика
Издательство Public Domain
Wurde jemand von den Leuten krank, dann stand Tatjana Markowna selbst mitten in der Nacht auf und schickte ihm Spiritus oder Salbe, oder was sonst nötig war. Am nächsten Morgen jedoch ließ sie ihn ins Krankenhaus bringen, oder sie ließ die »Melancholicha« holen, nie jedoch den Arzt. Dagegen brauchte nur eine ihrer kleinen Großnichten eine belegte Zunge oder einen etwas aufgetriebenen Leib zu haben, und sogleich mußte Kirjuschka oder Wlas auf ungesatteltem Pferde, wie toll mit den Knien und Ellbogen arbeitend, nach der Stadt traben, um den Doktor zu holen.
Die »Melancholicha« war irgendein altes Weib in der Vorstadt, das mit den einfachsten Mitteln die »Leute« kurierte und ihre Krankheiten im Handumdrehen wegbrachte. Wohl kam es vor, daß ihre Kur den einen für sein ganzes Leben zum Krüppel machte, daß der andere dabei seine Stimme verlor und bis zu seinem Tode nur noch heiser krächzen konnte, daß dieser ohne Auge, jener ohne Kinnlade von ihr zurückkam – aber der Schmerz war doch vorüber, und der glücklich Kurierte konnte wieder seine Arbeit verrichten. Das genügte dem Kranken wie der Quacksalberin, und erst recht natürlich der Herrschaft. Da die Melancholicha ihre Praxis nur unter den Leibeigenen und den kleinen Leuten der Vorstadt ausübte, legte ihr die Medizinalbehörde weiter kein Hindernis in den Weg.
Die Kost, die Tatjana Markowna ihren Leuten gab, war reichlich und nahrhaft – an Kohlsuppe und Grütze wurde nicht gespart, an den Feiertagen gab es Fruchtpasteten und Hammelfleisch, und zu Weihnachten wurden Gänse und Schweine gebraten. Im übrigen war sie in bezug auf Beköstigung und Kleidung der Leute gegen jeden »Luxus«, höchstens daß sie einmal als besondere Vergünstigung dieser oder jener Bäuerin die Überreste der herrschaftlichen Tafel zukommen ließ. Den Tee oder Kaffee trank zunächst nach der Herrin die Haushälterin Wassilissa, dann kamen die Stubenmädchen und der alte Haushofmeister Jakow an die Reihe. Die Kutscher, die Hofarbeiter und der Dorfälteste bekamen an Festtagen jeder ein Glas Branntwein, als besondere Anerkennung ihrer treuen Dienste.
Wenn des Morgens der Kaffee vom Tisch geräumt war, erschien eine stattliche alte Frau mit auffallend roten Pausbacken und ewig lachendem Munde im Zimmer: die Wärterin der beiden Großnichten Wjerotschka und Marsinka. Hinter ihnen her kam ein zwölfjähriges Mädchen, das der Alten zur Hand ging. Sie brachten die Kinder zum Frühstück in das Zimmer der Großtante.
»Nun, meine lieben Vögelchen, wie geht’s?« sagte sie und wußte nicht, welches der beiden Kinder sie zuerst küssen sollte. »Nun, Wjerotschka? Ei, ist das ein artiges Kind: wie hübsch gekämmt sie schon ist!«
»Auch ich bin schon gekämmt, Tantchen, auch ich!« rief Marsinka laut.
»Wovon hat denn Marsinka so rote Äugelchen? Hat sie im Schlafe geweint?« fragte sie besorgt die Kinderfrau. »Oder ist’s von der Sonne? Gehen auch die Vorhänge richtig zu? Darum kümmerst du dich natürlich nicht, du Schlafmütze! Ich muß schon selbst mal nachsehen.«
Im Mädchenzimmer saßen noch drei oder vier weitere Mädchen, die den ganzen Tag über irgendeine Näh- oder Stickarbeit gebückt waren – die Großtante litt es nämlich nicht, daß irgend jemand unbeschäftigt dasaß. Im Vorzimmer räkelte sich der nachdenkliche alte Jakow, der sechzehnjährige Spötter Jegorka und zwei oder drei Lakaien, die dem Hausmeister zur Hilfe beigegeben waren, im übrigen nur wenig zu tun hatten und oftmals wechselten.
Jakow selbst bediente nur bei Tisch, jagte träg mit einem Zweige die Fliegen von den Schüsseln, stellte ebenso träg die frischen Teller hin und brachte nur widerwillig einmal ein Wort über die Lippen. Selbst wenn seine Herrin ihn fragte, antwortete er kaum, als fiele ihm das Leben weiß Gott wie schwer, als drückte irgendeine ungeheure Last auf seine Seele, obschon nichts Derartiges vorlag. Tatjana Markowna hatte ihn nur deshalb zum Haushofmeister gemacht, weil er ein ruhiger Mensch war, nicht rauchte und nur mäßig – das heißt nie bis zur Bewußtlosigkeit – trank; außerdem war er ein eifriger Kirchenbesucher.
Achtes Kapitel
Raiski hatte die Großtante gerade beim Frühstück der Kinder angetroffen. Sie schlug vor Überraschung die Hände über dem Kopfe zusammen und sprang von ihrem Stuhle auf, fast wären dabei die Teller vom Tische geflogen.
»Borjuschka! O, du Schelm! Kein Wort zu schreiben, so mit der Tür ins Haus zu fallen: ich bin ja so erschrocken, wie du eben ins Zimmer tratst!«
Sie nahm seinen Kopf zwischen beide Hände, sah ihm ein Weilchen fest ins Gesicht, wollte in Tränen ausbrechen, besann sich jedoch eines Besseren, preßte seinen Kopf an ihre Schulter, warf einen raschen Blick auf das Porträt seiner Mutter an der Wand und unterdrückte einen Seufzer.
»Nun, nun, nun . . .« – sie wollte sprechen und fragen, sprach und fragte aber nichts, sondern lächelte nur und wischte sich heimlich eine Träne aus dem Auge. »Ganz Mamas Sohn: wirklich – auffallend ähnlich! Sieh nur, wie schön sie war! Sieh, Wassilissa . . . Du erinnerst dich ihrer noch? Nicht wahr, er ist ihr sehr ähnlich?«
Kaffee, Tee, Weißbrot, das Frühstück, das Mittagessen – alles stürmte förmlich auf den jungen Studenten ein, der noch eine gute Portion Schüchternheit und Verschämtheit, dafür aber auch den ganzen gesunden Appetit der Jugend besaß und all den guten Bissen, die ihm aufgetischt wurden, tapfer zusprach. Die Großtante aber verwandte nicht ein Auge von ihm:
»Ruft die Leute zusammen,« rief sie, »sagt es dem Starosten, sagt es allen, allen: der junge Herr ist angekommen, unser richtiger Herr, der Besitzer des Gutes! Willkommen, Väterchen – willkommen im heimatlichen Neste!« sprach sie, in scherzhafter Weise die Art der Bauern nachahmend. »Versagen Sie uns nicht Ihre Gnade, Tatjana Markowna hat uns gekränkt, uns ausgesogen, nehmen Sie sich unser an, Väterchen! . . . Hahaha! – Da sind die Schlüssel, da sind die Jahresrechnungen! Bitte, übernimm das Kommando, verlange Rechenschaft von der Alten, frag’ sie, wie sie alles verschwendet hat, warum die Bauernhütten so verfallen aussehen! . . . Geh nach der Stadt, dort betteln die Bauern von Malinowka überall unter den Fenstern . . . Ha ha ha! Und dann fahr mal zum Onkel hinüber, zum Vormund, nach dem anderen Gute – dort gehen die Bauern wochentags in geschmierten Stiefeln und roten Hemden, und ihre Häuser haben zwei Stockwerke, ja! . . . Nun, warum schweigst du denn, gnädiger Herr? Warum verlangst du keine Rechnungslegung? Aber jetzt frühstücke erst mal, dann will ich dir alles zeigen.«
Nach dem Frühstück nahm die Großtante ihren mächtigen Sonnenschirm, zog sich ein Paar Schuhe mit dicken Sohlen an, setzte eine gesteppte Leinenmütze auf und verließ mit Boris das Haus, um ihm die Wirtschaft zu zeigen.
»Nun, gnädiger Herr, jetzt sieh dir alles an, gib genau acht, und wenn du etwas bemerkst, was dir nicht gefällt, dann rüffle die Tante nur ganz gehörig! Das Blumengärtchen hier vor den Fenstern habe ich erst kürzlich anlegen lassen,« sagte sie, während sie zwischen den bunten Beeten nach dem Hofe zuschritt. »Hier haben auch Wjerotschka und Marsinka ihr Plätzchen, hier spielen sie im Sande, ich habe sie da immer vor Augen. Auf die Kinderfrau ist ja doch kein Verlaß – und hier sehe ich immer, was sie treiben. Sind sie einmal größer, dann brauchen wir keine Blumen zu kaufen: dann haben wir unsere eigenen!« fügte sie scherzend hinzu.
Sie schritten über den Hof.
»Kirjuschka, Jerjomka, Matroschka! Wo habt ihr euch denn alle versteckt?« rief die Tante, mitten im Hofe stehend.
»Habt wohl kein gutes Gewissen? Immer kommt her, rasch!« Matroschka kam auf sie zu und meldete, daß Kirjuschka und Jerjomka nach dem Dorfe geschickt seien, um die Bauern zu holen.
»Sieh mal, das ist die Matroschka: erinnerst du dich ihrer noch?« sprach die Großtante. »So komm doch näher, dummes Ding, was stehst du da? Küß’ doch dem gnädigen Herrn die Hand: das ist ja mein Großneffe!«
»Ich