Скачать книгу

erreichten die Zinnen auf der anderen Seite der Wehranlage und als die Ritter sich daran machten, sie auf die Plattform dort zu legen und auf der anderen Seite des Jochs herunterzulassen, erhaschte sie einen Blick auf ihr Ziel. Es war ein Anblick, den sie niemals vergessen würde, ein Anblick, der ihr den Atem nahm. Das Joch, das sich aus der Wüste wie eine Sphinx erhob, hatte die Form eines Rings, der so weit war, dass er sich in den Wolken verlor. Sie erkannte, dass es ein Schutzwall war, und auf seiner anderen Seite, weit unten, glitzerte ein blauer See, der ihr so groß wie das Meer erschien, unter den Wüstensonnen. Das reiche Blau und der Anblick all des Wassers nahm ihr den Atem. Und dahinter, am Horizont, sah sie ein weites Land, so weit, dass sie nicht sehen konnte, wo es endete; es war fruchtbar, grün und vibrierte vor Leben. Soweit sie sehen konnte erstreckten sich Farmen, Weinberge, Obstgärten und Wälder, ein Land das übersprudelte vor Leben. Es war der idyllischste und schönste Anblick, den sie je gesehen hatte.

      „Herzlich willkommen, Mylady“, sagte der Anführer „im Land auf der anderen Seite des Jochs.“

      KAPITEL SIEBEN

      Godfrey, der zusammengerollt schlief, wurde von einem stetigen, andauernden Stöhnen geweckt, das in seine Träume drang. Er wachte langsam auf, unsicher, ob er wirklich wach oder immer noch in seinem endlosen Alptraum gefangen war. Er blinzelte ins blasse Licht und versuchte, seinen Traum abzuschütteln. Er hatte geträumt, dass er eine Marionette war, die über den Mauern von Volusia hing und von den Finianern gehalten wurde, die an den Seilen zogen und Godfreys Arme und Beine bewegten. Godfrey hatte zusehen müssen, wie unter ihm tausende seiner Landsleute niedergemetzelt und die Straßen von Volusia mit ihrem Blut rot gefärbt wurden.

      Jedes Mal, wenn er dachte, es wäre vorbei, hatten die Finianer wieder an den Seilen gezerrt, und ihn in alle Richtungen tanzen lassen…

      Endlich, glücklicherweise, war Godfrey von diesem Stöhnen aufgewacht, und hatte sich mit dröhnendem Kopf zur Seite gerollt und gesehen, dass es von Akorth und Fulton kam, die nicht weit weg von ihm lagen und selbst voller blauer Flecke waren. Neben ihnen lagen Merek und Ario – regungslos, doch zumindest waren sie hier und Godfrey konnte sehen, dass sie atmeten. Godfrey war zur gleichen Zeit erleichtert und besorgt. Er war erstaunt, am Leben zu sein, nachdem er Zeuge dieses Hinterhalts geworden war, und wunderte sich immer noch darüber, dass die Finianer ihn nicht auch umgebracht hatten. Er fühlte sich hohl, niedergeschlagen unter der Last erdrückender Schuldgefühle, da er sich die Schuld dafür gab, dass Darius und die anderen in die Falle in Volusia gegangen waren. Alles nur wegen seiner Naivität. Wie hatte er nur so dumm sein und den Finianern vertrauen können?

      Godfrey schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Er wollte die Bilder vergessen, wünschte sich, dass die Nacht anders verlaufen wäre. Er hatte ohne sein Wissen Darius und die anderen wie Lämmer zur Schlachtbank geführt. Immer und immer wieder hörte er die Schreie der Männer, die um ihr Leben kämpften, zu fliehen versuchten. Immer und immer wieder hallten sie in seinem Kopf wieder und ließen ihn nicht in Frieden.

      Godfrey hielt sich die Ohren zu und versuchte es zu vergessen, genauso wie Akorth und Fultons Stöhnen. Beide mussten offensichtlich Schmerzen haben von all ihren blauen Flecken und der Nacht, die sie auf dem kalten Steinboden verbracht hatten.

      Godfrey setzte sich auf und betrachtete seine Umgebung. Sein Kopf fühlte sich unsagbar schwer, als er die Zelle betrachtete, in der außer ihm  und seinen Freunden nur noch ein paar andere Männer gefangen gehalten wurden. Es tröstete ihn, dass sie wahrscheinlich eher früher als später sterben würden, denn diese Zelle unterschied sich deutlich von der letzten – sie fühlte sich mehr wie eine Station auf dem Weg zum Tod an.

      Aus der Ferne hörte Godfrey die Schreie eines Gefangenen, der über den Flur gezerrt wurde und erkannte: Diese Zelle war wirklich eine Station auf dem Weg des Todes – es war eine Todeszelle, in der die Gefangenen auf ihre Exekution warteten. Er hatte von anderen Exekutionen in Volusia gehört, und er wusste, dass er und die anderen beim ersten Tageslicht hinaus in die Arena gezerrt werden würden, wo die Razifs sie in Stücke reißen würden, als Belustigung für die Zuschauer bevor die Gladiatorenkämpfe begannen. Nur deshalb waren sie noch am Leben. Zumindest ergab nun alles einen Sinn.

      Godfrey rappelte sich auf Hände und Knie auf, dann stieß er seine Freunde an und versuchte sie zu wecken. Alles drehte sich um ihn und jede Bewegung tat ihm weh. Das letzte, an das er sich erinnern konnte war, dass ein Krieger ihn bewusstlos geschlagen hatte, und er erkannte, dass sie weiter auf ihn eingeschlagen haben mussten, als er schon am Boden war.

      Die Finianer, diese verräterischen Feiglinge, waren offensichtlich nicht einmal Manns genug, ihn selbst zu töten.

      Godfrey hielt sich den Kopf, erstaunt, dass er solche Kopfschmerzen haben konnte, ohne auch nur einen Schluck getrunken zu haben. Mit zittrigen Knien stand er auf und sah sich in der düsteren Zelle um. Eine einzelne Wache stand draußen vor den Gitterstäben. Er hatte ihm den Rücken zugekehrt und schenkte der Zelle keine Beachtung.  Diese Zellen mit massiven Gittern und dicken Schlössern gesichert und Godfrey wusste, dass ihnen diesmal nicht so leicht die Flucht gelingen würde. Diesmal würden sie bis zu ihrem Tod hier bleiben.

      Langsam begannen Akorth, Fulton, Ario und Merek sich neben ihm aufzurappeln und ihre Umgebung zu betrachten. Er konnte die Verwirrung und die Furcht in ihren Augen sehen – und dann das Bedauern, als sie sich zu erinnern begannen.

      „Sind sie alle tot?“, fragte Ario und sah Godfrey verzweifelt an.

      Godfrey verspürte physischen Schmerz, als er langsam zustimmend nickte.

      „Es ist unsere Schuld“, sagte Merek. „Wir haben sie im Stich gelassen.“

      „Ja das ist es“, antwortete Godfrey mit gebrochener Stimme.

      „Ich habe dir doch gesagt, dass man den Finianern nicht vertrauen kann“, sagte Akorth.

      „Die Frage ist nicht die, wessen Schuld es ist“, sagte Ario, „sondern was wir unternehmen werden. Werden wir zulassen, dass all unsere Brüder und Schwestern umsonst gestorben sind? Order werden wir Rache nehmen?“

      Godfrey konnte an seinem Gesicht sehen, wie ernst es der junge Ario meinte und war beeindruckt von seiner kalten Entschlossenheit, selbst angesichts seines eigenen bevorstehenden Todes.

      „Rache?“, fragte Akorth. „Bist du verrückt geworden? Wir sind unter der Erde eingeschlossen, hinter eisernen Gittern und bewacht von Empire-Kriegern. Alle unsere Männer sind tot. Wir sind mitten in einer feindlichen Stadt mit einer feindlichen Armee. All unser Gold ist fort, unsere Pläne liegen in Scherben. Wie sollen wir da deiner Meinung nach Rache nehmen?“

      „Es gibt immer einen Weg“ sagte Ario entschlossen. Er wandte sich Merek zu.

      Alle Augen wanderten zu Merek, der seine Stirn in Falten legte.

      „Ich bin kein Experte im Rachenehmen“, sagte Merek. „Ich töte Männer, wenn sie mir im Weg stehen, ich warte nicht ab.“

      „Doch du bist ein meisterlicher Dieb“, sagte Ario. Du hast dein ganzes Leben in Kerkern verbracht, wie du selbst gesagt hast. Du kannst uns doch sicher hier heraus bringen, oder nicht?“

      Merek drehte sich um und betrachtete die Zelle, die Gitterstäbe, die Fenster, die Schlüssel, die Wachen – alles – mit dem geübten Auge eines Experten. Dann sah er sie grimmig an.

      „Das ist keine gewöhnliche Zelle“, sagte er. „Sie muss den Finianern gehören. Sehr teuer und stabil. Ich sehe keine Schwachpunkte und keinen Ausweg, so gerne ich euch auch etwas anderes sagen würde.“

      Godfrey, der sich überfordert fühlte, versuchte die Schreie der Gefangenen am Ende des Flurs zu ignorieren. Er ging zur Zellentür, drückte seine Stirn gegen das kalte Eisen und schloss die Augen.

      „Bringt ihn her!“, polterte eine Stimme auf dem Flur.

      Godfrey öffnete seine Augen, blickte hinaus und sah, wie mehrere Wachen einen Gefangenen über den Flur zerrten. Der Gefangene trug eine rote Schärpe quer über die Brust, und er hing schlaff in ihren Armen – er versuchte nicht einmal, sich zu wehren. Als sie näher kamen, sah Godfrey, dass sie ihn schleiften, weil er bewusstlos war. Etwas stimmte offensichtlich nicht mit

Скачать книгу