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doch,« sagte ich, »ich glaube, daß dort im gleichen Jahr ein Unglück passiert ist. Lukjanytsch…«

      Frau Schlykowa traten Tränen in die Augen.

      »Haben Sie ihn gekannt?« fragte sie mich mit großem Interesse. »Dieses Unglück! Er war ein so schöner, guter Greis… Und denken Sie sich: ohne jede Ursache…«

      »Ja, ja,« murmelte ich, »wirklich schrecklich…«

      Die Schwester der Frau Schlykowa trat zu uns heran. Sie war wohl der gelehrten Erörterungen des Geologen über die Formation der Wolgaufer überdrüssig geworden.

      »Denke dir nur, Pauline,« sagte Frau Schlykowa, »der Herr hat unsern Lukjanytsch gekannt!«

      »Wirklich? Der arme Alte!«

      »Ich bin öfters in der Gegend von Michailowskoje zur Jagd gewesen, und gerade um die Zeit, als Sie dort waren, also vor drei Jahren,« bemerkte ich wie nebenbei.

      »Ich?« entgegnete Pelageja etwas verlegen.

      »Nun ja, natürlich!« fiel ihr die Schwester ins Wort. »Weißt du es nicht mehr?«

      Sie blickte ihr scharf in die Augen.

      »Ach ja, gewiß!« antwortete plötzlich Pelageja.

      – He he, – sagte ich mir – ich glaube kaum, daß du damals in Michailowskoje gewesen bist, meine Liebe! –

      »Wollen Sie uns nicht etwas vorsingen, Pelageja Fjodorowna?« sagte plötzlich ein schlanker junger Mann mit blondem Lockenkopf und trüben süßlichen Augen.

      »Ich weiß wirklich nicht,« erwiderte Fräulein Badajewa.

      »Sie singen?« rief ich lebhaft aus und erhob mich von meinem Platze. »Um des Himmels Willen… singen Sie uns etwas vor.«

      »Was soll ich denn singen?«

      »Kennen Sie vielleicht,« sagte ich, indem ich mir Mühe gab, möglichst gleichgültig und unbefangen zu erscheinen, »kennen Sie vielleicht ein italienisches Lied, das mit den Worten beginnt: Passa quei' colli?«

      »Ich kenne es,« antwortete Pelageja ganz unschuldig. »Wollen Sie, daß ich es Ihnen vorsinge? Mit Vergnügen.«

      Sie ging ans Klavier. Ich bohrte meinen Blick durchdringend wie Hamlet in Frau Schlykowa. Es schien mir, daß sie beim ersten Ton des Liedes etwas zusammenfuhr; sie hörte übrigens das Lied bis zum Ende ruhig an. Fräulein Badajewa sang recht nett. Als das Lied zu Ende war, erscholl das übliche Händeklatschen. Man bat sie, sie möchte noch etwas singen; doch beide Schwestern verständigten sich mit einem stummen Blick und brachen auf. Als sie das Zimmer verließen, glaubte ich das Wort »importun« zu hören.

      »Ganz recht!« sagte ich mir. Ich bin mit ihnen nie wieder zusammengekommen.

      Es verging noch ein Jahr. Ich war inzwischen nach Petersburg gezogen. Im Winter begannen die Maskenbälle. Als ich eines Abends gegen elf Uhr das Haus eines Freundes verließ, überkam mich plötzlich eine ungemein düstere Stimmung, und ich beschloß, um mich zu zerstreuen, den Maskenball im Adelsklub aufzusuchen. Lange irrte ich zwischen den Säulen und den Spiegeln herum, mit jenem bescheidenen und zugleich vielsagenden Gesichtsausdruck, den, wie ich bemerkt habe, ich weiß nicht warum, bei ähnlichen Gelegenheiten selbst die anständigsten Menschen annehmen. Lange irrte ich so herum, fertigte ab und zu mit einem Scherz manchen zudringlichen Domino in zweifelhaften Spitzen und nicht ganz sauberen Handschuhen ab, der mich mit kreischender Stimme anrief und sprach noch seltener selbst einen solchen an; lange ließ ich das Heulen der Blasinstrumente und das Winseln der Geigen über mich ergehen. Schließlich hatte ich diese Langeweile satt, ich bekam Kopfschmerzen und beschloß, nach Hause zu fahren; und doch… und doch blieb ich noch da. Mir war eine Frau in schwarzem Domino aufgefallen, die an eine Säule gelehnt stand. Ich ging sofort auf sie zu, blieb vor ihr stehen und… werden es mir meine Leser glauben wollen?.. ich erkannte in ihr meine Unbekannte. Woran ich sie erkannte: ob am Blick, den sie mir zerstreut durch die länglichen Schlitze in der Maske zuwarf, oder an der herrlichen Form ihrer Schultern und Arme, an ihrer ganzen ungewöhnlich majestätischen Erscheinung, oder sagte es mir plötzlich eine innere Stimme, – ich weiß es nicht; jedenfalls hatte ich sie erkannt. Ich ging einige Male mit bebendem Herzen an ihr vorüber. Sie rührte sich nicht. Ihre ganze Haltung drückte ungewöhnliche, hoffnungslose Trauer aus, und ich mußte unwillkürlich an die Worte einer spanischen Romanze denken:

      Soy un cuadro de tristeza,

      Arrimado a la pared…

      Bin ein trauriges Gemälde

      Angelehnt an eine Wand…

      Ich trat hinter die Säule, an der sie lehnte, beugte mich zu ihrem Ohr und raunte ihr zu:

      »Passa quei' colli…«

      Sie erbebte am ganzen Körper und wandte sich rasch nach mir um. Unsere Augen kamen einander so nahe, daß ich deutlich erkennen konnte, wie sich ihre Pupillen vor Angst erweiterten. Sie blickte mich ganz bestürzt an, die eine Hand etwas vorgestreckt.

      »Am 6. Mai 184* in Sorrent, um zehn Uhr abends, in der Straße della Croce,« sagte ich langsam, ohne die Augen von ihr zu wenden, »dann in Rußland, im N'schen Gouvernement, im Dorfe Michailowskoje, am 22. Juli 184*…«

      Ich sagte das alles französisch. Sie rückte von mir weg, und maß mich von Kopf bis zu den Füßen mit einem erstaunten Blick. Dann flüsterte sie mir zu: »venez!..« und ging mit raschen Schritten aus dem Saal; ich folgte ihr.

      Wir gingen schweigend. Ich kann gar nicht wiedergeben, was ich empfand, als ich so an ihrer Seite ging. Es war mir, als ob ein herrliches Traumbild plötzlich zur Wirklichkeit geworden wäre, als ob die Statue der Galathea zum erstaunten Pygmalion als lebende Frau vom Sockel herabgestiegen wäre. Ich traute meinen Augen nicht und wagte kaum zu atmen.

      Wir gingen durch einige Zimmer… Schließlich blieb sie in einem der Räume stehen und setzte sich auf einen kleinen Divan vor ein Fenster. Ich setzte mich an ihre Seite.

      Sie wandte mir langsam ihr Gesicht zu und betrachtete mich eine Weile mit aufmerksamen Blicken.

      »Kommen Sie… von ihm?« fragte sie schließlich.

      Ihre Stimme klang schwach und unsicher…

      Diese Frage machte mich etwas verlegen.

      »Nein… nicht von ihm,« antwortete ich stotternd.

      »Kennen Sie ihn?«

      »Ja, ich kenne ihn,« antwortete ich mit geheimnisvoller und wichtiger Miene. Ich wollte meine Rolle zu Ende spielen. »Ich kenne ihn.«

      Sie sah mich mißtrauisch an, wollte mir wohl etwas sagen, sagte aber nichts und blickte zu Boden.

      »Sie haben ihn in Sorrent erwartet,« fuhr ich fort, »Sie waren mit ihm in Michailowskoje zusammengekommen, sind dort mit ihm einmal ausgeritten…«

      »Wie konnten Sie…« fing sie an.

      »Ich weiß alles, alles,« unterbrach ich sie.

      »Ihr Gesicht kommt mir etwas bekannt vor,« fuhr sie fort, »doch nein…«

      »Nein, Sie kennen mich nicht.«

      »Was wollen Sie also von mir?«

      »Ich weiß alles,« wiederholte ich.

      Ich wußte sehr wohl, daß ich den guten Anfang hätte besser ausnützen und im gleichen Sinne fortfahren sollen, daß meine Wiederholungen »Ich weiß alles« auf die Dauer lächerlich wirkten; meine Aufregung war aber so groß, die unerwartete Begegnung hatte mich so verwirrt, daß ich gar nicht wußte, was ich ihr noch weiter sagen sollte. Außerdem wußte ich auch in der Tat nichts mehr. Ich fühlte, daß ich vor ihr auf einmal ganz dumm dastand und daß ich aus dem geheimnisvollen allwissenden Wesen, als welches ich ursprünglich erscheinen mußte, mich allmählich in einen blöde lächelnden Idioten verwandelte; konnte aber nichts mehr dagegen tun.

      »Ja, ich weiß alles,« sagte ich noch einmal.

      Sie sah mich an, stand schnell auf und wollte fort.

      Das war aber zu grausam. Ich ergriff sie

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