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fragte ich mich in einem fort: »Eine Russin? Wenn sie eine Russin ist, warum spricht sie italienisch?.. Der Schulze behauptet, sie sei nicht mehr jung… Er lügt… Und wer ist jener Glückliche?.. Ich kann wirklich nichts begreifen… Welch ein seltsames Abenteuer! Ist es möglich, so zweimal hintereinander… Ich muß aber bestimmt erfahren, wer sie ist und wozu sie hergekommen ist…« Unter solchen wirren, abgerissenen Gedanken schlief ich sehr spät ein und hatte sonderbare Träume… Bald schien es mir, ich irre irgendwo in einer Wüste, in der drückendsten Mittagsglut herum und sehe über den glühend heißen gelben Sand einen großen Schatten huschen… Ich hebe den Kopf und sehe meine Schöne in den Lüften fliegen. Sie ist ganz weiß, hat große weiße Flügel und lockt mich zu sich. Ich stürze ihr nach, sie schwebt aber leicht und schnell vorbei, ich kann mich nicht von der Erde erheben und strecke vergeblich meine gierigen Arme nach ihr aus… »Addio!« ruft sie mir noch zu und entschwindet. – Warum habe ich keine Flügel… »Addio…« Und von allen Seiten klingt es: »Addio!« Jedes Sandkörnchen schreit und piepst: »Addio…« Das »i« klingt mir als unerträglicher, schneidender Triller ins Ohr… Ich bemühe mich, es wie eine Mücke zu verscheuchen, ich suche sie mit den Augen… Sie ist aber schon zu einem Wölkchen geworden und steigt langsam zur Sonne empor; die Sonne zittert, schwankt, lacht und streckt ihr lange goldene Fäden entgegen… Nun ist sie schon ganz von diesen Fäden umsponnen und löst sich in ihnen auf; ich schreie aber wie besessen: »Das ist nicht die Sonne, das ist nicht die Sonne, das ist die italienische Spinne; wer hat sie über die russische Grenze gelassen? Ich werde sie anzeigen: ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie in fremden Gärten Orangen gestohlen hat…« Bald träumte mir, ich gehe einen schmalen Bergpfad hinauf… Ich habe es sehr eilig: ich muß möglichst schnell irgendein Ziel erreichen, wo mich ein unerhörtes Glück erwartet; plötzlich erhebt sich vor mir ein riesengroßer, steiler Felsen. Ich suche einen Durchgang, ich suche rechts, ich suche links, kann aber keinen Durchgang finden! Und plötzlich erklingt hinter dem Felsen die Stimme: »Passa, passa quei' colli…« Die Stimme ruft und lockt mich; sie wiederholt immer den gleichen traurigen Ruf. Ich bin von Sehnsucht erfaßt, ich werfe mich unruhig hin und her, will wenigstens einen schmalen Spalt finden… Doch wehe! Von allen Seiten erhebt sich die steile Granitwand… »Passa quei' colli«, wiederholt wehmütig die Stimme. Mein Herz vergeht vor Sehnsucht, ich stürze mich mit der Brust gegen den glatten Stein und kratze wütend mit den Nägeln an ihm… Plötzlich öffnet sich vor mir ein dunkler Gang. Ich kann vor Freude kaum atmen und eile vorwärts… »Unsinn!« ruft mir jemand zu, »du kommst nicht durch…« Vor mir steht Lukjanytsch; er winkt mir mit den Händen und droht… Ich durchsuche eilig die Taschen, will ihn bestechen, kann aber keine einzige Münze finden… »Lukjanytsch,« sage ich ihm, »laß mich durch, ich werde dich später belohnen.« – »Sie irren, Signore,« antwortet mir Lukjanytsch mit einem seltsamen Ausdruck: »Ich bin kein Leibeigener; erkennen Sie doch in mir den berühmten fahrenden Ritter Don Quixote von La Mancha. Mein ganzes Leben lang habe ich meine Dulcinea gesucht und sie nicht finden können. Ich werde nicht leiden, daß Sie die Ihrige finden…« Und wieder ruft die Stimme beinahe weinend: »Passa quei' colli…« – »Aus dem Weg, Signore!« rufe ich wütend aus und stürze mich auf ihn… Doch die lange Lanze des Ritters trifft mich ins Herz… ich falle tot hin, ich liege auf dem Rücken… kann mich nicht rühren… und da sehe ich: sie kommt mit einer Lampe in der Hand, sie hebt die Lampe mit einer schönen Gebärde über den Kopf, blickt sich im Finstern um, schleicht vorsichtig zu mir heran und beugt sich über mich… »Da ist er also, der Narr!« sagt sie verächtlich lächelnd: »Er ist's, der erfahren wollte, wer ich sei…« Das heiße Öl der Lampe tropft mir auf mein verwundetes Herz… »Psyche!« bringe ich mühsam hervor und erwache…

      Ich hatte sehr schlecht geschlafen und war schon beim ersten Morgengrauen auf den Beinen. Ich kleidete mich schnell an, nahm mein Jagdgewehr und begab mich direkt zum Landsitz. Meine Ungeduld war so groß, daß ich das mir bekannte Tor noch während des Sonnenaufganges erreichte. Ringsherum sangen die Lerchen, und auf den Birken schrien die Dohlen, doch im Hause schien noch alles in tiefem Morgenschlaf zu liegen. Sogar der Hund schnarchte noch am Zaune. Von Erwartung und Ungeduld gequält und beinahe erbost ging ich im taubedeckten Grase auf und ab und blickte immerfort auf das niedere unansehnliche Haus, das in seinen Mauern jenes geheimnisvolle Wesen barg… Plötzlich knarrte leise die Gartenpforte und auf der Schwelle erschien Lukjanytsch. Er war mit einem merkwürdigen gestreiften Halbrock bekleidet, und sein langgezogenes Gesicht erschien mir mürrischer als je. Er sah mich nicht ohne Erstaunen an und wollte die Pforte gleich wieder schließen.

      »Du, mein Lieber!« rief ich ihm schnell zu.

      »Was suchen Sie hier um diese frühe Stunde?« fragte er mich gedehnt und dumpf.

      »Sag mir bitte, man sagt, daß eure Herrin angekommen sei?«

      Lukjanytsch schwieg eine Weile.

      »Ja, sie ist angekommen…«

      »Allein?«

      »Mit der Schwester.«

      »Hatten sie nicht gestern abend Besuch?«

      »Nein.«

      Mit diesen Worten zog er wieder die Pforte an sich.

      »Warte, warte, mein Lieber… einen Augenblick…«

      Lukjanytsch hüstelte und krümmte sich vor Kälte.

      »Was wollen Sie denn eigentlich?«

      »Sage mir bitte, wie alt ist deine Gnädige?«

      Lukjanytsch sah mich mißtrauisch an.

      »Wie alt die Gnädige ist? Ich weiß nicht. Sie wird wohl über die Vierzig sein.«

      »Über die Vierzig! Und die Schwester?«

      »Etwas jünger als vierzig.«

      »Ist's möglich! Ist sie schön?«

      »Wer? Die Schwester?«

      »Ja, die Schwester.«

      Lukjanytsch lächelte.

      »Ich weiß nicht, das kommt auf den Geschmack an. Ich finde sie nicht schön.«

      »Wieso?«

      »Sie ist schon gar zu unansehnlich. Ein wenig kränklich.«

      »So! Und ist außer den beiden niemand hergekommen?«

      »Niemand. Wer sollte denn noch herkommen?«

      »Es kann ja nicht sein!.. Ich…«

      »Ach Herr! Sie werden mit Ihren Fragen wohl nie aufhören,« sagte der Alte geärgert. »Es ist auch zu kalt! Adieu!«

      »Warte noch… Da hast du was!..« Ich reichte ihm einen Viertelrubel, den ich für ihn vorbereitet hatte; meine Hand stieß aber an die Pforte, die er mir vor der Nase zuschlug. Das Silberstück fiel zu Boden und rollte mir vor die Füße.

      – Du alter Schwindler! – sagte ich mir. – »Don Quixote von La Mancha! Man hat dir wohl befohlen, zu schweigen… Warte nur, mich wirst du nicht anführen…«

      Ich gab mir das Wort, die Sache um jeden Preis aufzuklären. Etwa eine halbe Stunde ging ich noch unschlüssig auf und ab. Endlich beschloß ich, mich zunächst im Dorfe zu erkundigen, wem eigentlich das Gut gehöre und wer augenblicklich darin wohne; dann wollte ich wieder zurückkehren und nicht eher fortgehen, als bis ich die Sache aufgeklärt haben würde. – Die Unbekannte muß doch früher oder später das Haus verlassen, und da werde ich sie endlich bei Tageslicht als einen lebendigen Menschen und nicht als Gespenst sehen. – Bis zum Dorfe mochte es eine Werst sein, ich begab mich aber schnell und rüstig dorthin: in meinem Blute siedete es, ich war ungewöhnlich kühn und entschlossen; die frische Morgenluft wirkte auf mich nach der unruhigen Nacht stärkend und zugleich aufregend. Im Dorfe erfuhr ich von zwei Bauern, die gerade an ihre Feldarbeit gingen, alles, was ich überhaupt erfahren konnte: nämlich, daß das Gut ebenso wie das Dorf, in dem ich mich befand, Michailowskoje hieß, daß es der Majorswitwe Anna Fjodorowna Schlykowa gehöre, daß diese noch eine unverheiratete Schwester Pelageja Fjodorowna Badajewa habe, daß beide reich seien, auf ihrem Gute fast nie lebten, meistens herumreisten, daß sie bei sich außer zweien leibeigenen Dienstmädchen und einem Koch niemand hätten und daß Anna Fjodorowna in diesen Tagen mit ihrer

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