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Onnen Visser. Sophie Worishoffer
Читать онлайн.Название Onnen Visser
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Sophie Worishoffer
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Er wurde aus dieser emsigen Beschäftigung sehr unangenehm aufgeschreckt. Ein Stein flog durch die Scheiben und fiel dicht vor ihm auf den Fußboden – ein zweiter und dritter, ein ganzer Hagel von Wurfgeschossen folgte dem ersten.
Peter Witt taumelte vor Schreck. Er sprang an das Fenster und suchte dann instinktmäßig Schutz hinter einer halbgeöffneten Tür. Auf der Straße stand Kopf an Kopf eine dichtgedrängte Menge, unaufhaltsam flogen Steine gegen das Haus, unaufhaltsam tönten Flüche und Verwünschungen. Ganz im Vordergrunde sah er Heye Wessels ältesten Sohn – ein Grauen ohnegleichen überfiel ihn, mit einem einzigen Satz war er durch die Küche und zur Hoftür hinaus.
Der Präfekt sollte ihm helfen. Ein siedendes Donnerwetter mußte den Meuterern auf die Köpfe fallen. Atem schöpfend stand er still. Es klirrte und prasselte, es polterte, wie wenn Mauerwerk stürzt und Dachsparren brechen. Weiberstimmen riefen, Hunde bellten – die Justiz des erbitterten Volkes vollzog sich unaufhaltsam.
Peter Witt lief, so schnell er konnte, bis zum Badehause. Dort wohnte für die nächsten Tage der Präfekt aus Emden und eben diesen wollte er zur Hilfe rufen.
Sechs Mann Einquartierung für jedes Haus mußte es geben, Peitschenhiebe – Peter Witt bebte vor Wut. Wer ersetzte ihm sein Eigentum? Wer bezahlte den Schimpf?
Er stürmte weiter, bis ihn ein Wachtposten anhielt. Es kostete außerordentliche Mühe, in das Zimmer des Präfekten einzudringen, vieles Bitten und Warten – Peter Witt fing an, seine persönliche Wichtigkeit für weniger bedeutend zu halten, er sah sich geradezu wie einen überlästigen Bittsteller empfangen.
Der Präfekt sprach mit den Offizieren von der »Hortense«, auch Oberst Jouffrin war zugegen. Er sah den Verräter an. »Wer ist dieser Mann? Was will er?«
Einer der Offiziere sprach einige französische Worte, worauf sich der Blick des Präfekten bemerklich verfinsterte. »Was wünschen Sie?« fragte er kalt. »Meine Zeit ist sehr in Anspruch genommen.«
»Exzellenz«, stammelte der Verräter, »Exzellenz, ich bitte um Schutz. Man zerstört mein Haus, ich bin bedroht!«
Der Präfekt Jeannesson, der, wenn auch Feind, doch ein ehrenwerter und menschenfreundlicher Mann war, zuckte die Achseln. »Das wundert mich eben nicht«, versetzte er. »Sie waren, wie ich höre, der, welcher die Schmuggler verriet?«
Peter Witt drehte die Mütze zwischen den Fingern, er wurde bald blaß, bald rot. »Exzellenz«, stammelte er, »meine Verehrung für Seine Majestät, den Kaiser, meine – ich.«
»Sie waren es, der die Schmuggler verriet?«
»Ja, Exzellenz.«
Der Präfekt wandte sich ab. »Dafür können Sie von Ihren Landsleuten, den Brüdern und Freunden derjenigen, welche jetzt auf der Schanze erschossen werden müssen, wahrlich keinen Dank erwarten«, sagte er.
Der Verräter hatte eine Empfindung, als drehe sich unter seinen Füßen die Erde. »Exzellenz«, rief er, »dürfen denn die Leute mein Eigentum zerstören?«
»Das kümmert mich nicht, es ist Sache der Polizeigewalt. Sie können jetzt gehen.« Das Tigergesicht des Obersten schob sich in den Vordergrund. »Exzellenz, man könnte einige fünfzig Mann hinschicken und die Rädelsführer verhaften lassen, nicht wahr?«
In Monsieur de Jeannessons Augen blitzte es plötzlich auf. »Damit ein offenbarer Aufruhr entstände, mein Herr Oberst? Damit noch mehr Blut fließen müßte? – Ich habe nie gehört, daß im Kriege die Spione mit Schutzwachen versehen werden, und gedenke also auch hier keine derartige Neuerung einzuführen. Der Mann ist entlassen.«
Ehe eine halbe Minute verging, sah sich Peter Witt draußen vor der Tür, ohne so recht zu wissen, wie er dahin gekommen war. Man hatte ihn geschoben und vorwärts befördert, bis er wieder unter Gottes freiem Himmel stand.
War es denn möglich – ihn? Ihn selbst? Ja, und wo blieb der erhoffte Orden?
Einfältiger war er sich noch nie vorgekommen als in diesem Augenblick. Aber eines wußte er gewiß, daß man sein Haus in Trümmer schlug; er hörte das Brechen und Krachen, das Jubeln der Menge. »Werft Feuer hinein!« rief eine Stimme.
Das Wort lieh ihm Flügel, er lief spornstreichs zur Wohnung des Amtsvogtes und ließ sich nicht einmal erst Zeit genug, um anzuklopfen. Als er die Tür aufriß, saß gerade die Familie des Dorfbeherrschers beim Abendbrot – aller Augen sahen ihn an.
»Guten Abend!« rief er hastig. »Vogt, du mußt gleich mit mir kommen, die verrückten Kerle ruinieren mein Haus.«
Der Amtsvogt nahm bedächtig einen großen gebratenen Fisch von der Schüssel und zerlegte ihn auf seinem Teller in Stücke, dann begann er so ruhig seine Mahlzeit, als sei im Zimmer kein fremder Zeuge anwesend, ja er sprach sogar mit der Frau Vögtin. »Hast du noch einen Trank Nordener Bier im Keller, Mutter?«
»Gleich, mein Alter!«
Die geschäftige Frau ging mit einem Steinkruge und einem Bund Schlüssel an dem Verräter vorbei, als sei er leere Luft; Peter Witt fühlte, wie ihm das Blut heiß zu Kopf stieg, er zitterte.
»Hörst du mich nicht, Vogt?«
Keine Antwort. Auf den Gesichtern der Tischgenossen erschien ein heimliches Lächeln, etwas wie schadenfrohe Genugtuung; sie aßen fort, ohne den Verräter irgendeiner Beachtung zu würdigen.
Peter Witt floh aus dem Zimmer, wie von Furien verfolgt.
Rote Lohe schlug ihm entgegen – es war sein Haus, das da brannte. Er schrie laut auf, Furcht und Habsucht stritten in seiner Seele um die Oberhand. Sollte er hingehen und sich vielleicht von den erbitterten Fischern totschlagen lassen, oder sollte er müßig zusehen, wie man sein Eigentum vernichtete?
Unwillkürlich gedachte er in diesem Augenblick der »Hexe«. Wie Aheltje verlassen und heimatlos unten auf dem Grunde der Schlucht saß, blutend, verzweifelnd, des letzten beraubt, so wurde er ohne Dach und Fach auf die Straße geworfen und niemand lebte, der ihm Beistand geleistet, ihm zu seinem Rechte verhelfen hätte.
Noch stand er zögernd, überlegend, als sich die Tür des Amtsvogtes öffnete und der Würdenträger selbst heraustrat. Er ging mit schnellen Schritten dem Flammenscheine nach.
Peter Wirt eilte an seine Seite. »Vogt«, sagte er, »du wirst doch die Mordbrenner zwingen, mir Schadenersatz zu leisten?«
Der Amtsvogt blieb ihm auch diesmal die Antwort schuldig. Er ging über den ungepflasterten Weg, so schnell es der tiefe Sand erlaubte, ohne dem nebenher trabenden Verräter die mindeste Beachtung zu schenken.
»Vogt, so sprich doch – Mensch, was habe ich dir getan?«
Keine Silbe fiel von den Lippen des Gestrengen. Als ihn ein zufällig näherkommender Fischer anredete, war er freundlich wie immer, ja sogar gutgelaunt, wie es schien. »Was ist da unten los, Matthias?« sagte er. »Ein Feuerwerk?«
Der Fischer bohrte förmlich die Blicke in das blasse Gesicht des Verräters. »Ja«, sagte er, »ein Feuerwerk. Schade, daß man den Lump, dem der Kasten gehörte, nicht gleich mit verbrennen kann!«
»Sehr schade, da hast du recht.«
Peter Witt gehörte nicht eben zu den mutigen Naturen, aber er empfand doch einen so starken Groll, daß es ihm unmöglich war, neben den beiden Männern des Weges zu gehen, er sprang daher auf die andere Straßenseite hinüber und kam im gleichen Augenblick mit ihnen bei der Brandstätte an.
Das leichte, mit Stroh gedeckte Haus lag in Asche, nur ein etwas seitab stehender Schuppen war vom Feuer verschont geblieben; eine dichtgescharte Menge umgab die noch glimmenden Trümmer.
Der Vogt hielt beide Hände in den Taschen. »Also Feuer«, sagte er. »Na, es hat ja weiter keinen Schaden angerichtet – ehrlicher Leute Hab und Gut ist nicht verloren gegangen. Ich denke, niemand von euch weiß, wie die Flammen entstanden sind?« Man lachte. »Natürlich nicht, Herr Amtsvogt!«
»Das glaube ich.