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Das Naturforscherschiff. Sophie Worishoffer
Читать онлайн.Название Das Naturforscherschiff
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Sophie Worishoffer
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Jetzt konnten vereinte Kräfte den Halberstickten hervorziehen; man rieb und schüttelte ihn, gab ihm Branntwein zu trinken und spritzte ihm Wasser in das Gesicht, bis er endlich wieder ganz zum Bewußtsein gebracht war. Auf der Brust fanden sich vom Druck des Löwenschenkels blaue Flecke, die Glieder schmerzten und der Kopf war schwer wie Blei. »Wir müssen einen kleinen Halt machen,« riet Holm, »Hans ist zu sehr angestrengt worden, und uns anderen tut es ebenfalls gut, namentlich nach der schmählichen Flucht vor den Affen.«
Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall. Die Führer warfen ihre Vorräte und Waffen ins Gras, ein Teil ging aus, um frisches Wasser zu suchen, ein anderer raffte trockenes Holz zusammen, und Franz und Doktor Bolten wanderten mit den Gewehren am Ufer hin, um womöglich irgend einen frischen Braten zu schießen; schon nach wenigen Minuten war es um die beiden Zurückgebliebenen still wie in einer Kirche.
Helle, goldene Sonnenstrahlen umspielten Blätter und Blumen, buntfarbige Vögel schossen überall singend und pfeifend durch das Gewirre, Käfer und Schmetterlinge bevölkerten die Luft, zuweilen zeigte sich am Rand der Lichtung eine scheue, flüchtige Kudu-Antilope, ein Papagei ließ sein mißtönendes Kreischen hören, oder eine kleine, schillernde Schlange kroch durch das Gras; aller Streit aber, aller Krieg und Kampf schien aus der Natur verbannt. Die hohen Farne, bei uns nur Gräser, in den Tropen aber Bäume, bogen im Wind die federartigen, hellgrünen Wipfel; Stechpalmen strebten kerzengerade empor; Blätter wie grüne, faltenreiche Mäntel hingen in ungeheurer Breite von Rankengewächsen herab; spitze dunkle, säbelförmige Pfeile bohrten sich dazwischen, und Hunderte von weißen, roten und violetten Orchideen umzogen und verflochten wie ebenso viele grüne Arme das Ganze. Dazu murmelte das Wasser und rauschte der Wind, kurz es war eine wundervolle Stille, welche auf die jungen Leute beinahe einschläfernd wirkte. Mitten in der freien Lichtung lag der tote Löwe, dessen Körper bereits anfing verschiedenen Tiergattungen zum Schmause zu dienen. Namentlich ein großer, brauner Käfer erschien in starker Anzahl und ebenso, verlockt von der tiefen, mittäglichen Stille, eine Rattenart mit spitzem Zahn und raublustigem Blick.
Holm stand auf. »Das verbitte ich mir,« rief er scherzend den ungeladenen Gästen zu. »Kommt wieder und laßt‘s euch wohlschmecken, wenn ich die Haut in Sicherheit gebracht habe!«
Noch waren seine Worte nicht verhallt, als plötzlich ein lauter mehrstimmiger Ruf die Einsamkeit durchdrang. Wie »hierher!« oder »Hilfe!« klang es, und noch einmal, aber kürzer, weniger laut, wiederholte sich der Ton, dann wurde alles still. Die beiden Zurückgebliebenen aber behielten keine Zeit, über das Gehörte ihre, Ansichten auszutauschen. Ein Schauspiel, das sie von allen am wenigsten erwartet haben mochten, fesselte plötzlich Augen und Ohren. Aus dem Walde her kamen im Laufschritt ganze Horden nackter, schwarzer Beninkrieger, zum Teil kämpfend, fliehend, mit einem Geheul, das Wut und Todesangst ausdrückte, verfolgt von ebenso vielen bewaffneten Bonnyleuten, die offenbar den Sieg behalten hatten und jetzt den letzten Überrest ihrer entspringenden Feinde in Sicherheit zu bringen suchten. Jeder Sklave ist dem Häuptling Tauschware, ganz so wie Elfenbein, Felle oder lebende wilde Tiere; je schlechter also die Jagdbeute gewesen, desto eifriger wird der Feldzug gegen einen benachbarten, schwächeren Stamm betrieben, nur um bei den reichen Häuptlingen im Inneren oder gar bei gewissenlosen weißen Unterhändlern an der Küste mit den lebenden Handelsgegenständen ein gutes Geschäft zu machen. Die Bonnyleute trugen sämtlich den hohen Federkopfputz, den Streifen Bastgeflecht oder Kattun um die Hüften, den hölzernen, reichgeschnitzten Schild und den Spieß oder Speer von Eichenholz mit Metallspitze. Sie stutzten zwar bei dem unerwarteten Erblicken der beiden Weißen, nahmen aber von denselben weiter keine Notiz, sondern setzten Kampf und Verfolgung ununterbrochen fort. Als das ganze Getümmel von schwarzen und braunen Gestalten gleich einer Windsbraut vorübergestürmt war, lagen Sträuche und Gräser zertreten am Boden, die Ranken hingen geknickt und zerrissen herab, und mitten im Wege krümmte sich sterbend ein von mehreren Lanzenstichen durchbohrter Neger. Holm, obgleich tödlich erschrocken und wegen der Reisegefährten in begreiflicher Unruhe, beugte sich dennoch zu dem armen Schelm herab und versuchte es, seine Schmerzen zu lindern, aber schon nach wenigen Minuten war alles vorüber, der Körper dehnte sich noch einmal lang aus, und die zuckenden Hände fielen matt ins Gras. Nur aus der Ferne schallten Stimmen und ein lebhaftes Krachen der brechenden Baumstämme herüber, hier am Flußufer herrschte wieder die frühere Stille.
Hans sah unruhig in das Auge seines älteren Freundes. »Wo doch Franz und die anderen bleiben?« sagte er zweifelnd.
Holm setzte eine kleine Pfeife an die Lippen. Der schrille Ton scheuchte die umherfliegenden Vögel, aber eine Antwort brachte er nicht. Auch ein Paar Schüsse, nach verschiedenen Richtungen abgefeuert, blieben ohne Erfolg. Eine Viertelstunde des peinlichsten Wartens verging den beiden jungen Leuten, mehr und mehr stieg die innere Furcht, welche einer dem andern zu verbergen strebte, dann aber kam der Augenblick, wo gegenseitiges Aussprechen nicht länger zu umgehen war. »Jetzt müssen wir eine kleine Robinsonade durchleben, Hänschen,« sagte in erkünstelt sorglosem Tone der Gelehrte. »Wahrscheinlich sind unsere Gefährten durch die Bonnyleute fürs erste gänzlich von uns abgeschnitten worden.«
»Wie wäre das möglich?« rief Hans. »Ich denke, daß man sie getötet hat wie diesen armen Schwarzen hier, und – du glaubst das auch, Karl.«
»O, fällt mir gar nicht ein,« beteuerte Holm. »Die Führer mögen gefangen genommen sein, und eben weil sie dadurch schutzlos wurden, haben sich der Doktor und Franz verirrt.«
»Wollen wir denn diesen Ort verlassen, Karl?«
»Noch nicht, mein Junge. Vielleicht gelingt es uns doch, durch irgend ein Zeichen die beiden Verlorenen zu uns zurückzuführen, und überdies – wie sollten wir uns am Tage in der pfadlosen, meilenweiten Waldwildnis bis zum nächsten Dorfe oder gar bis an die Küste durchbringen?«
Hans erschrak. »Aber Karl, wenn das am Tage unmöglich ist, so sehe ich wahrhaftig doch kein Mittel, es während der Nacht auszuführen?«
»Ich desto besser, Hänschen. Die Sterne müssen mir ebensowohl im Urwalde als Wegweiser dienen können wie auf dem Meer. Einen Kompaß führe ich auch bei mir, – um die Heimkehr zum Schiff – sei du also um diesen Punkt ganz außer Sorgen.«
Hans sprach nicht mehr. Er hatte den Nachdruck, welchen Holm vielleicht unbewußt auf das Wort »diesen« gelegt, deutlich herausgehört. Das hieß nichts anderes, als: wenn wir lebend hinkommen, an wilden Menschen und Tieren, an den Gefahren des Fiebers, des Verhungerns und der Vergiftung glücklich vorüber, dann wird wohl endlich die Küste wieder zu erreichen sein.
»Mach fort, mein Junge,« ermahnte Holm, mehr um die Gedanken seines Zöglings abzulenken, als der Sache wegen. »Die Herren Bonnys haben glücklicherweise weder unsere Lebensmittel noch unsere Waffen des Mitnehmens wert befunden, also können wir vor allen Dingen essen, damit Leib und Seele kräftig bleiben. Denke an das Unglück, wenn eins von uns krank würde – dann erst wären wir beide verloren.«
Der wohlgemeinte Zuspruch tat seine Wirkung; wenigstens äußerlich schien Hans ruhiger, obgleich in seinen Augen helle Tränen schimmerten, als er jetzt die Vorräte auspackte und einiges davon auf einen umgestürzten Baumstamm legte. Franz hatte ja vielleicht in diesem Augenblick nichts zu essen, lebte vielleicht nicht einmal mehr. —
Holm entzündete nun ein mächtiges Feuer, dessen aufwirbelnder Rauch möglicherweise den beiden Verirrten als Wahrzeichen dienen konnte, er trug dürres Holz, so viel sich in der Nähe zusammenraffen ließ, herbei, und erst als helle Flammen an den alten, von der Sonne ausgetrockneten Zweigen hinaufleckten setzte er sich zu dem Knaben, um etwas Zwieback und Rauchfleisch zu genießen, ebenso ein paar Tropfen Madeira. Das alles war in luftdichten Gefäßen von Hamburg mitgebracht, und namentlich der Wein mit seiner belebenden Wirkung stärkte fühlbar die gesunkenen Kräfte der jungen Reisenden, auch die Frucht des Affenbrotbaumes würzte das Mahl, und dann machten Lehrer und Zögling