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Waldröschen I. Die Tochter des Granden. Karl May
Читать онлайн.Название Waldröschen I. Die Tochter des Granden
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Karl May
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Er verließ das Zimmer und auch das Schloß und wandte sich dem Park zu. Als er denjenigen Teil desselben, der an den Wald stieß, erreicht hatte, trat er hinter ein Gebüsch und stieß einen scharfen Pfiff aus.
Nur einige Augenblicke später raschelte es in den Zweigen, und es trat ein Mann zu ihm, der in die Tracht der dortigen Gegend gekleidet war, über dem Arm aber eine schwarze Kapuze hängen hatte.
»Ihr seid es, Señor?« meinte dieser. »Habt Ihr endlich einen Auftrag? Es ist ganz außerordentlich langweilig, so vergeblich im Wald zu liegen!« – »Ja, ich habe den Auftrag«, meinte Cortejo. »Heute muß es geschehen.« – »Ah – endlich! Aber wann?« – »Sobald es paßt. Der Kerl ist jetzt nicht im Schloß.« – »Ich weiß es, ich sah ihn in den Wald gehen. Ich schickte ihm einen meiner Leute nach, und dieser meldete mir, daß er mit dem alten Förster nach den Bergen sei.« – »Also auf die Jagd! Könnte es nicht während derselben geschehen?« – »Nein, denn wir werden ihn schwerlich finden.« – »Dann also bei seiner Rückkehr in den Park.« – »Gut. Und wenn er von der anderen Seite kommt?« – »So wartet Ihr bis später. Er scheint die Gewohnheit zu haben, während der Dämmerung zu promenieren, dabei bietet sich Euch die beste Gelegenheit. Ich hoffe, daß es gelingen wird!« – »Ohne Zweifel, Señor! Unsere Kugeln treffen sicher.« – »Nein, Kugeln nicht. Es muß mit dem Messer geschehen. Der Schuß würde Alarm machen, den ich vermeiden will. Wenn Ihr ihm das Messer dann in die Hand drückt wird er als Selbstmörder gelten.« – »Ich muß Euch gehorchen, aber ein Schuß wäre sicherer. Dieser Mann scheint sehr stark zu sein, und es wird vielleicht einen Kampf geben.« – »Ach so, Ihr fürchtet Euch!« spottete Cortejo verächtlich. – »Das fällt uns gar nicht ein! Euer Auftrag wird auf jeden Fall erfüllt. Aber, wie steht es mit dem Geld? Der Hauptmann hat mich beauftragt, es in Empfang zu nehmen.« – »Kommt heute Punkt Mitternacht wieder hierher an dieselbe Stelle; da werde ich Euch die Summe ehrlich auszahlen. Ihr habt Kapuzen mit? Wozu?« – »Haltet Ihr uns für Anfänger?« lachte der Brigant. »Man muß alle Fälle überlegen. Wie leicht könnte man uns sehen und wiedererkennen. Die Kapuze ist das beste und sicherste Mittel, unentdeckt zu bleiben, Señor!« – »So macht Eure Sache gut!« ermahnte der Notar, indem er sich umdrehte, um nach dem Schloß zurückzugelangen.
6. Kapitel
Der Brigant gehörte zu den Leuten, die der Capitano dem Advokaten zur Ermordung Sternaus nach Rodriganda gesandt. Er hatte die Wahrheit gesagt. Sternau war mit einem der gräflichen Förster in den Wald gegangen, weniger um ein Wild zu erlegen, als vielmehr die frische, reine Berg- und Waldesluft zu genießen und die zu Rodriganda gehörenden Forste kennenzulernen.
Diese Streiferei dauerte länger, als er zuerst beabsichtigt hatte, und es war bereits am späten Nachmittag, als er zurückkehrte.
Er trug die Büchse in der Hand, die er von dem Grafen entliehen hatte, der eine ihrer Läufe war mit Schrot und der andere mit einer Kugel geladen, denn er hatte keine Gelegenheit gefunden oder benutzt, einen Schuß zu tun. Irgendeiner romantischen Stimmung zufolge kehrte er nicht auf einem der gebahnten Wege zurück, sondern zog es vor, durch den dichten, unwegsamen Wald zu streifen. Er befand sich allein, denn der Förster hatte sich von ihm verabschiedet, um nach seiner im Wald gelegenen Wohnung zu gehen.
So näherte er sich, in Gedanken versunken, mit langsamen Schritten dem Park. Da sah er plötzlich einen lichten, glänzenden Punkt vor sich. Ein Waldweg führte vorüber, und auf demselben ging Rosa, deren weißes Gewand hell durch die Baumgruppen schimmerte.
Es war, als ob sie jemand suche oder erwarte, denn sie blieb zuweilen stehen und horchte in die Tiefe des Forstes hinein. Sie wußte, daß Sternau in den Wald gegangen war, und da er nicht zurückkehrte, trieb sie eine ihr fremde und unerklärliche Unruhe, nach dem Park zu gehen.
Er sah sie näher kommen. Sie war unendlich schön in dem einfachen, weißen Gewand, das sich eng und innig an die vollen Formen ihres Körpers schmiegte. Sie trug nicht den mindesten Schmuck; der einzige, der als ein solcher gelten konnte, bestand aus zwei dunkelglühenden Nelken, die aus der Fülle ihres prächtigen Haares blickte.
Da raschelte es vor ihr in den Büschen. Sie blickte auf und stand vor Sternau, der aus dem Dickicht getreten war, um sie zu begrüßen.
Sie streckte, wie in froher Überraschung, die Arme aus, zog sie aber sogleich wieder zurück, während eine tiefe, glühende Röte ihre Wangen färbte.
»Señor«, sagte sie, als ob sie sich entschuldigen wolle. »Ihr Erscheinen war so plötzlich – ich hatte Sie nicht erwartet!« – »Verzeihung, Doña Rosa!« antwortete er. »Ich kam durch den Wald und erblickte Sie. Da hielt ich es für meine Schuldigkeit, Ihnen zu zeigen, daß Sie nicht allein sind.« – »Der Notar hat nach Ihnen gefragt.« – »Ich ahnte es. Ich habe mich verspätet und werde mich nun beeilen.« – »Wollen Sie mich mitnehmen?« fragte sie, abermals errötend. – »Gern!«
Er warf die Büchse über den Rücken und bot ihr seinen Arm. Sie legte ihre Hand auf denselben, und so schritten sie dem Park und dem Schloß zu.
»Wissen Sie, daß die drei Ärzte abreisen werden?« fragte sie, in dem Bemühen, ein unverfängliches Gespräch zu beginnen. – »Ah!« antwortete er. »Das ist mir nicht lieb. Ich hege keine Feindseligkeit gegen sie und habe sehr gewünscht, ihnen zeigen zu können, daß Don Emanuel gesund und sehen wird.« – »Glauben Sie wirklich, daß der Vater das Licht der Augen wiedererhält?« – »Ich bin beinahe überzeugt davon!« – »Und diese Männer haben es noch heute bestritten. O Señor, geben Sie dem Vater die Gesundheit und das Augenlicht zurück, und mein Herz wird niemals aufhören, Ihnen zu danken!« – »Vertrauen Sie auf Gottes Hilfe. Er wird mich leiten, das Richtige zu treffen!« – »Er wird mich … o mein Gott, was ist das?«
Diese letzten Worte rief die Condesa im höchsten Schreck aus, denn gleich vor ihnen zerteilten sich die Büsche, und zwischen ihnen kam ein in eine schwarze Kapuze gehüllter Kopf zum Vorschein, dessen dunkle Blicke wild aus den runden Augenöffnungen der Verhüllung hervorglühten.
Gleich darauf erklangen die Worte »Drauf! Tötet ihn!«, und im nächsten Augenblick warfen sich mehrere Gestalten, die aus den Büschen brachen und ebenso verhüllt waren wie die anderen, mit gezückten Messern auf Sternau.
Dieser befand sich glücklicherweise nicht zum ersten Mal in einer solchen Lage. Während seiner Wanderungen durch fremde Erdteile hatte er mit den wilden Indianern Nordamerikas, den Beduinen der Wüste, den Malaien des ostindischen Archipels und mit den Papuas Neuhollands gekämpft. Er hatte sich dabei jene Geistesgegenwart angeeignet, die kein Erschrecken kennt, keinen Augenblick zaudert und in jeder Lage sofort das Richtige ergreift
»Holla, das gilt mir!« rief er.
Bei diesen Worten ließ er den Arm seiner Begleiterin fahren und sprang mit Blitzesschnelle einige Schritte seitwärts. Ebenso rasch hatte er die Büchse heruntergerissen und angelegt; zwei Schüsse krachten, und zwei der Vermummten stürzten zu Boden. Im Nu drehte er nun die Büchse um, und ihr Kolben sauste auf den Kopf des dritten der Angreifer nieder, so daß dieser lautlos zusammenbrach. In demselben