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Im Lande des Mahdi I. Karl May
Читать онлайн.Название Im Lande des Mahdi I
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Karl May
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Es war ein wunderbar eigenartiges Treiben, welches sich davor dem Hause auf der breiten Gasse entwickelte. Von unserm Sitze aus konnten wir es in aller Bequemlichkeit beobachten, zumal es uns möglich war, die Straße eine ziemlich große Strecke auf- und abwärts zu überblicken.
An der Ecke der Seitengasse, durch welche ich vorher gekommen war, hielten einige Hammars, Eseljungen, welche den Beruf in sich fühlen, hier die oft undankbare Rolle der Berliner Schusterjungen zu spielen. Der Esel ist im Süden ein ganz anderes Tier als im Norden, wo er als ein struppiges, verdrossenes Sinnbild der Borniertheit betrachtet wird. Ein ägyptischer Esel ist ein unermüdlicher, stets munterer Diener seines Herrn, der ihn mit wenig Futter und vielen Schlägen oder gar Fußtritten belohnt. Selbst mit dem schwersten Reiter auf dem Rücken trabt er Stunden weit, ohne zu ermüden und verfällt trotz dieser Last von Zeit zu Zeit in die mutwilligsten Capriolen. Hinterher rennt schwitzend und pustend der Hammar, schlägt ihn, stößt ihn, versetzt ihm Fußtritte, oder wirft ihn mit Steinen, um seinen Lauf noch mehr zu beschleunigen. Diese Hammars sind wahre Menschenkenner; sie wissen auf den ersten Blick, ob sie einen Engländer, Franzosen, Italiener oder Deutschen vor sich haben. Von den Sprachen aller dieser Völker verstehen sie einige Worte und Redensarten; sie scheinen sogar einige Kenntnisse von der Geographie und Geschichte der betreffenden Länder zu besitzen, wie die Art und Weise, in welcher sie zum Gebrauche ihrer Langohren auffordern, beweist. »Hier ist ein schöner Bismarck!« schreit der eine, der einen Fremden kommen sieht, den er für einen Deutschen hält. Mit dem Bismarck ist natürlich sein Esel gemeint. » Here is a fine general Grant!« ruft ein zweiter einem Yankee zu, und ein Engländer hört sich angeschrieen: » Here is a good beefsteak, a celebrated Palmerston,« während ein gut republikanisch gesinnter Franzose hören muß: »Monsieur, voilà le plus grand Napoléon; j‘ai l‘animal, le plus préférable de la France!«
Soeben setzten sich gerade vor uns zwei arabische Gaukler mitten auf der Straße nieder, um ihre Kunststücke zu zeigen. Einige Schritte von ihnen entfernt hatte ein Muhad‘dit [Erzähler]einen Kreis Neugieriger um sich versammelt, um für zwei oder drei der kleinsten Münzen einige schon tausendmal gehörte Märchen vorzutragen. In der Nähe tanzte ein Negerjunge auf Stelzen und blies dazu auf einem flötenartigen Instrumente. Zwischendurch drängt sich ein langer Zug tief verhüllter Frauen, die auf Eseln reiten. Dann kommen hohe, schwerbeladene Kamele die Straße herauf, jedes mit einem Strohseile an den Schwanz des voranschreitenden gebunden. Dahinter keuchen Hammals, Lastträger, mit schweren Päkken und Kisten auf den Köpfen; sie singen dabei, um nicht aus dem Takte zu kommen, mit dumpfer Stimme einige immer wiederkehrende Worte. Jetzt kommt ein Pfeifenreiniger mit einigen Bündeln langer, mit Werg umwickelter Drähte in den schmutzigen, nach Tabaksaft duftenden Händen; dann ein Sakkah hemali, ein Wasserhändler, welcher ein großes irdenes Gefäß mit sich schleppt, um für eine geringe Entschädigung die Durstigen zu erquicken. Auf der anderen Seite der Straße wird der Beweis geliefert, daß hier selbst die intimsten Geschäfte öffentlich und mit möglichst großem Lärm abgemacht werden. Die Vorderfronten der Häuser sind offen, so daß man in jeden Laden, in jede Wohnung blicken kann. Da sitzt ein ehrwürdiger Bürger auf der Matte, hält einen zappelnden Buben zwischen den Beinen und befreit den Haarwald desselben höchst eifrig von jenem Wilde, an welchem Ägypten schon zur Zeit der Pharaonen reich gewesen sein soll. Von einer daneben wohnenden Alten wird etwas auf die Straße geworfen; es ist eine Katze, welche soeben die Augen für immer geschlossen hat, vielleicht vor Hunger. Der Leichnam wird auf der Straße verwesen, ohne daß ein Mensch sich um den dadurch entstehenden Gestank bekümmert; reitet doch der Pascha, welcher soeben erscheint, über den Kadaver weg, ohne in der Anwesenheit desselben etwas Ordnungswidriges zu finden; auch sein Gefolge würdigt denselben nicht der mindesten Aufmerksamkeit, und der voranschreitende Läufer hält es nicht der Mühe wert, ihn durch eine Bewegung des Fußes hinwegzuräumen. Gerade da, wo der erwähnte Alte den Kopf seines Enkels »entvölkert«, sitzt ein weißbärtiger, ehrwürdiger Greis, mit dem Rücken an die hölzerne Tragsäule gelehnt. Still, wie in Verzückung und mit geschlossenen Augen, läßt er die Perlen seiner Gebetkette durch die dürren, zitternden Finger gleiten. Seine Lippen bewegen sich im Gebete. Er sieht und hört nicht, was vor ihm und um ihn geschieht; er ist der Erde entrückt und wandelt im Geiste in den Gefilden des Paradieses, welches Mohammed den Gläubigen verheißen hat.
Da ertönt der laute Ruf: »Unser Morgen sei weiß!« Es ist ein Milchverkäufer, welcher in dieser Weise auf seine Ware aufmerksam macht. »Tröster der Schmachtenden, fließend vor Saft!« ruft ein anderer, welcher Melonen feilbietet. »Sie entsproß aus dem Schweiße des Propheten,– o Duft aller Düfte!« ertönt die Stimme eines Rosenhändlers, und der Scharbetti oder Rosinenwasserverkäufer verkündet: »Länge des Lebens, fliehender Tod; es reinigt das Blut!« Dem Bierhause gegenüber steht ein kleines, vielleicht achtjähriges Negermädchen, welches ein Körbchen an einer Schnur um den Hals hängen hat und zuweilen in verzagtem Tone ruft: »Feigen, Feigen, süßer als meine Augen!«
Wer hat dieses arme Kind hierhergestellt und demselben diesen Ruf vorgeschrieben? Gewiß ein berechnender Geschäftsmann, denn die dunklen Augen der Kleinen mit dem traumverlorenen Blicke sind allerdings süß. Es ist ein schönes Kind, wenngleich von schwarzer Farbe. Die ängstlich bittende Stimme und die flehend ausgestreckten Händchen müßten eigentlich jeden Vorübergehenden veranlassen, einige Para gegen Feigen umzutauschen. Ich konnte den Blick kaum von der Kleinen wenden. Ihre feine Stimme hatte einen so ängstlichen Ton, und das »Feigen, Feigen« klang wie ein Hilferuf an mein Ohr. ich nahm mir vor, ihr beim Fortgehen ein gutes Bakschisch zu geben. Ich hatte bemerkt, daß ich nicht der einzige war, welcher sich von dem Kinde angezogen fühlte. Der Kellnerjunge war in der Zeit von einer Stunde dreimal zu ihr hinübergegangen, um sich eine Feige zu kaufen. War er ein Leckermaul oder that er das aus kindlicher Sympathie? Wenn er sich ihr näherte, so leuchteten ihre Augen auf, und ihr Gesichtchen nahm den Ausdruck hervorbrechender Liebe an. Dies geschah auch allemal, wenn sie hinüberblickte und ihr Auge dem seinigen begegnete.
Jetzt eben hatte er nichts zu thun; er hockte, halb abgewendet von uns in einer Ecke und – — ja wahrhaftig, er weinte; ich sah, daß er mit der äußern Handfläche immer und immer wieder die hervorquellenden Thränen trocknete. Konnte der naseweise Junge auch traurig sein? Dann war es kein gewöhnliches, kindisches Herzeleid, welches ihn bewegte und ihm hier in dieser Umgebung, in dieser Öffentlichkeit das Wasser in die Augen trieb.
Der Blick der Kleinen entdeckte ihn in seinem Winkel; sie sah ihn weinen, und sofort fuhr auch sie mit den beiden Händen nach den Augen. Es mußte irgend ein zärtliches Verhältnis zwischen den beiden schönen Kindern bestehen. Wie es eigentlich kam, und warum ich es that, das vermag ich nicht zu sagen, aber ich war aufgestanden und ging in die Ecke. Als der Junge mich vor sich sah, stand er auf und wollte, ein leises Schluchzen unterdrückend, sich entfernen. Ich hielt ihn am Arme fest und fragte in vertrauenerweckendem Tone:
»Warum weinst du? Magst du mir das sagen?«
Er sah mir ins Gesicht, wischte sich die Augen thränenleer und antwortete:
»Weil niemand von Djangeh kauft.‹,
»Meinst du die kleine Feigenverkäuferin da drüben?«
»Ja.«
»Nun, du kaufst ihr doch ab; ich sah