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Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
Читать онлайн.Название Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Jeremias Gotthelf
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Wie ein Stein war es mir ab dem Herzen, als ich wieder aus der Kirche war und des Nachmittags schien ich mir einen halben Schuh länger geworden. Kecker antwortete ich in der Kirche und als es vor dem Wirtshause ans Düpfen ging, da schien mir, als guckten alle Mädchen nach mir; aber düpfen wollte ich mit keinem, ich fürchtete harzige Eier. Sorgsam wie eine Gluggere hielt ich meine vier Eier schön warm in der Tasche (zwei gelbe und zwei braune waren es), sah dem Düpfen zu und freute mich allemal, wenn ein fremdes Ei zerbrach und ich die meinen noch ganz fühlte. Allein das Gewinnen der zerbrochenen Eier gefiel mir doch auch wohl und immer wöhler. So ein Sack voll gewonnener Eier, welch Schleck für einen Weberbub, der im Sommer nicht einmal Tschägge, sondern nur altrote Erdäpfel kriegt! Mit klopfendem Herzen ging ich bei Seite, untersuchte lange mit Zähnen und Zunge, welchem meiner Eier am besten zu trauen sei und wagte es endlich mit einem gelben. Einen kleinen Buben suchte ich aus, um an ihm mein Glück zu probieren; er aber traute mir lange nicht. Endlich ließ er sich bereden und nachdem wir lange darum gemärtet hatten, wer schlagen solle, that ich mit bebender Hand den Schlag und, o Glück! gewann ein Ei, gewann später noch eins, zwei drei, eine ganze Tasche voll. In Wonne schwimmend, hatte ich die Zeit vergessen, hatte die Sonne nicht untergehen sehen; da wurde es dunkel auf dem Platze, die Leute verliefen sich und einsam war ich mit meiner Tasche voll Eier, niemand mehr da, der mit mir düpfen wollte. Traurig wanderte ich heim, Ei um Ei essend, aber meines Glückes mich nicht freuend, weil mit dem Glücke meine Wünsche sich gemehrt und die fliehende Zeit ihre Erfüllung unterbrochen hatte. Es ist eine eigene Sache mit den Wünschen, wie sie mit ihrer Erfüllung sich vervielfachen, wie ein erfüllter Wunsch ein Dutzend andere gebiert. Wem Ruhe und Frieden lieb sind, der hüte sich vor den Wünschen, sie sind nimmer satt und quälen ärger als Hunger und Durst. Und wie die Zeiten eilen, wenn sie unsere Wünsche krönen und glücklich machen, und wie sie langsam unerträglich schleichen, wenn sie Wünsche versagen, Hoffnungen töten, Schmerz spenden. Aber die Zeiten sind menschenfreundlich; mit schnellem Flügelschlag eilen sie samt dem Glück vorüber, damit das schwache Herz sich nicht selbst verliere; und langsamen Schrittes treten sie mit Unglück und Unerwünschtem ihn an, um den irdischen Sinn zu bekämpfen, die Seele zu läutern; langsam ziehen sie da an ihm vorüber, denn der Seele Reinigung ist ein langsam Werk.
Wenn so ein glücklicher Augenblick oder Tag entschwunden ist, wer hat es nicht erfahren, wie da eine Leere, eine Öde im Herzen bleibt, wenn nicht im Hintergrunde der Zeit ein neuer Tag auftaucht, der neue Freuden verspricht, an den das Auge fest sich heftet über die trübe, unlustige Gegenwart hinweg. So hatte ich auch einen Tag, der mich die geschwundene Ostern und ihre Eier vergessen ließ, der mir neue Freuden, etwas noch Unerlebtes versprach. Es war der Sonntag nach Ostern, an welchem alle Jünglinge, welche die Erlaubnis erhalten hatten, nach der Kirche des Amtssitzes mußten, um da den Huldigungseid zu schwören. Was Huldigung sei und was sie zu bedeuten habe, darum bekümmerten wir uns wenig. Was sollten auch Buben von fünfzehn bis sechzehn Jahren wissen, was Huldigung sei, denen man nie etwas gesagt hatte, was ein Staat sei, was eine Obrigkeit zu bedeuten habe und welche Pfichten jedem Bürger obliegen; Buben, die nur von dem Landvogt gehört, entweder er sei ein freiner Schlufi, oder ein böser Tüfel, oder e grusam e stolze; Buben, die von keinen Gesetzen einen Begriff hatten und nun einen Eid des Gehorsams schwören sollten: ist das nicht Unsinn? Von uns kannte wohl kaum ein einziger den Namen des Landes, in dem er wohnte, geschweige denn seine Begründung, seine Einrichtung. Von einem Vaterland hatten wir nie gehört, wußten daher nicht, was ein solches Ding sei und doch sollten wir Vaterlandsverteidiger werden. Heißt das nicht, dem Lande, das nur der Vaterlandsliebe seine Begründung, dankt, den Boden unter den Füßen wegnehmen? Und doch ist es merkwürdig, daß von Ur-Ureltern her in jedem Schweizer Vaterlandsliebe schlummert, wie in jedem reinen Mädchen Mutterliebe, wie im Feuerstein der zündende Funke; daß des Schweizers Auge weint um sein Land, wenn es ihm entrissen wird, wie die Frau um ihr Kind; daß das Schweizerherz Funken sprüht des freudigsten Todesmutes, wenn ein gieriger Franzose oder ein wandschiger, gfüdleter Östreicher den Dalpen nach dem Vaterlande ausstreckt; — über Schwaben oder Savoyer lacht man und würde nur Haselstöcke nehmen statt des Stutzers oder der Sense. Wie gut man wußte, was man schwor, bezeugte gewöhnlich das Benehmen der schwörenden Buben am Tage selbst nach abgelegtem Eide.
Das war nämlich der erste Tag, an welchem man der Welt zu zeigen gewohnt war, daß man nun Erlaubnis, d. h. mit dem Nachtmahl die Berechtigung empfangen habe, wie ein Erwachsener zu thun, zu Kilt und in die Wirtshäuser, die früher vom Pfarrer einem verboten gewesen, zu laufen, auf den Straßen wüst zu thun und sich zu prügeln nach Herzenslust; so nämlich legt man die Erlaubnis aus. Man übertrat also an diesem Tage, an welchem man der Obrigkeit den ersten Eid abgelegt hatte, ihnen und ihren Gesetzen unterthan zu sein, auch zum ersten Mal mit Bewußtsein ihre Gesetze, beging brühwarm einen Meineid. Diese Übertretung der beschwornen Gesetze wurde aber gewöhnlich nicht viel mehr als belacht, während ganz anders verfahren worden wäre, wenn einer nur den Schein des Zweifels an der Rechtmäßigkeit der Oberkeit hätte blicken lassen. Eine solche Scheidung, wo mehr Respekt für die Personen als für die Gesetze gefordert wird, ist schlimm. Sie begründet den noch immer unselig wirkenden Glauben, daß die Oberkeit um ihretwillen da sei, um ihres Nutzens, ihrer Ehre willen, und nicht zum Besten des Landes, zur weisen Handhabung weiser Gesetze. Für diesen Tag sorgte jeder Bube lange voraus, daß er einen Kreuzer Geld im Sack habe. Er sparte zusammen, bettelte den Eltern, flökte, entlehnte — kurz, Geld mußte sein. Den neu erhaltenen Sonntagsstaat zog man an und zog dann in Begleit des Statthalters nach dem Amtssitze. Nach angehörter Predigt und abgenommenem Eide schlug sich der Statthalter zum Landvogt, der ein schönes Essen geben mußte; die Knaben sollten nach Hause. Das thaten sie aber nicht; sie dachten, ebenso gut das Recht zu haben, zu essen und zu trinken, als der Statthalter und der Landvogt. Zahlten sie doch, wie sie meinten, ihre Üerti aus dem eigenen Sack und nicht von anderer Leuten Gelde.
Sie machten sich aber von den schmausenden Honoratioren weg, so weit, daß diese sie nicht mehr hören konnten, in irgend ein Wirtshaus, wo noch Knaben aus mehreren Gemeinden beisammen waren. Wie die Burschen da so stolz eintraten, sich in die Brust warfen, kommandierten, anstießen, daß die Gläser spalteten und der Wein überfloß; es war eine Freude für alle Anwesenden. Jeder wollte der Größte sein und meinte, er müßte es dadurch zeigen, daß er am wüstesten thäte.
Aber noch auf etwas anderes paßten die Leute. Es war nämlich die Zeit noch, wo jede Gemeinde die andere haßte, jede ihren Übernamen hatte, keine Gemeinde mit der andern gemeinsame Sache machte, außer etwa im Streit, gegen eine dritte die Zeit, wo fast allemal, wenn Leute aus verschiedenen Dörfern in einem Wirtshause tranken, blutige Händel entstunden und nicht nur zwischen jungen Burschen, sondern wo auch erwachsene Männer, ja selbst Greise daran teilnahmen. Es war die gute alte liebe Zeit, welche die Unverständigkeit der heutigen Zeit immer wieder als Muster der Religiosität und guten Sitte vorhält, vorhält als eine Zeit, in welcher Ordnung und Einigkeit geherrscht hätten. Die Buben, schon lange eingeweiht in diesen Haß, mußten nun zeigen, daß sie ihrer Väter würdig seien, treue Söhne der Oberkeit, d. h. unfähig, unter sich gemeinschaftliche Sache zu machen. Bald fing der ungewohnte Wein in den jungen Schläuchen an zu gären, Stichworte flogen, Begegnende müpften sich wie zufällig, ältere schürten das Feuer; Gläser folgten den Worten nach und bald war ein Handgemeng zustande gebracht, das heftiger und blutiger wurde, je nachdem die Anwesenden, welche am Ende die Streitenden auseinander brachten, vernünftiger oder unvernünftiger waren. Geprügelt zog man heim mit zerzaustem Sonntagsstaat und blutigen schlag- und weinsturmen Köpfen. Und um ja alles zu thun, was die Großen, rauchten viele zum ersten Male aus kreuzerigen Pfeifchen dreikreuzerigen Tabak in vollen Zügen. Der setzte nun das Düpfli auf den I und übel zugeputzt kam man nach Hause und am folgenden Morgen dachte man an alles andere, nur nicht an den Eid, den man abgelegt.
Dieser Tag und seine Erwartungen waren es, welche mich die entschwundene Ostern vergessen ließen. Einige Batzen Examengeld hatte ich mir erspart, hatte meinem