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Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
Читать онлайн.Название Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Jeremias Gotthelf
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Das gefiel dem Schulmeister gar wohl. »Peterli«, sagte er, »du gisch e rechte Bickel ab. Es isch schad, daß du ume e‘s Webers Bueb bisch, u daß dr alles, du masch lere was d‘wilt, nüt nützt und dr nit viel abtreit«. Ich hielt bei ihm um zwei Dinge an. Vor allem wünschte ich, die andern bhören zu können, oder mit andern Worten, sein Stellvertreter zu werden. »Peterli«, sagte er, »es ist mr leid; du chasch wohl bhöre, aber eis chasch no nit: du chasch no nit z‘hingerfür lese, u bis das chasch, cha di nit bruche drzue; dr anger Winter cha ‚s de scho gä«. Wer nämlich sein Stellvertreter sein wollte, der mußte mehr auswendig können als die andern, so daß er zum Abhören derselben kein Buch brauchte. So that es der Schulmeister, so, meinte man, müsse es auch dessen Stellvertreter können. Zweitens mußte er die Buchstaben verkehrt kennen und so lesen können. Der Schulmeister stund vor den Büchern der Lernenden, sah in der Kinder verkehrte Bücher und mußte sie so verstehen. So that der Schulmeister, und daß es sein Stellvertreter auch könne, war seine zweite notwendige Eigenschaft. — Drittens mußte er, wie schon gesagt, vornehm sein, und es gehörte zu den denkwürdigen Seltenheiten, wenn einer der Untergebenen die Rute, d. h. als Scepter erhielt. Und dieses Letztere war wahrscheinlich eigentlich der Grund, warum der gute Mann mir das Amt nicht anvertrauen konnte. Im andern Winter ging dann des Statthalters Bueb in die Unterweisung, und kein vornehmes Söhnchen war vorhanden, das alt genug dazu war.
Das andere, warum ich ihn bat, war, daß ich auch schreiben und rechnen lernen dürfte. »Peterli«, sagte er, »das treit dr glatt nüt ab; du wirsch nie Gülti z‘rechne ha, u-n-e Gemeinsvater wirsch o nie. Die müeße öppe Gschribnigs chönn e aber je minger je besser, u we‘s die Manne gsächte, daß i di das lehrti, su würde si mi balge u säge, das bruchti si nüt; wer Tüfel wett Vorgsetzte sy, wenn e jedere Hudel öppis lerti und schrybe u rechne chönnti; u we eine nüt heig und z‘viel chönni, su gäb das dr Wüestischt und so eine heig geng ume z‘räsoniere. Drum, Peterli gib lugg, es treit dr nüt ab«. Aber Peterli het nit lugg gäh, sondern chärete fort und fort, bis er endlich das Versprechen erhielt, daß im andern Winter, wenn er sich gut stelle und das z‘Hingerfürlese gut lerne, er auch solle in die Geheimnisse der Schreib- und Rechenkunst eingeweiht werden.
Auf das hin studierte ich mit unermüdlichem Eifer in umgekehrten Büchern, bis ich es zu ordentlicher Fertigkeit im Lesen brachte. Mein Vater sah dem Ding mit Verwunderung zu. Daß so ein Weberlein sich gerne rühmt und eben nicht viel Stoff zum rühmen hat, so rühmte er sich meiner nicht wenig, obgleich er mir deswegen nicht holder ward. Er habe einen Buben, pflegte er zu sagen, der könne lesen bed Weg in allen Büchern, man möge ihm vorlegen welche man wolle; eine Halbe vom Bessern wolle er wetten, er mög dr Pfarrer weit. Gewöhnlich pflegte er dann noch hinzuzusetzen: ob er aber ein Narr wird oder öppis angers, das weiß ich selbst noch nicht.
Im nächsten Winter übergab mir der Alte, mit einigem Widerstreben freilich, die Rute; es machte aber auch nicht geringes Aufsehen, daß ds Webers Bueb in der Schule z‘bifehle habe. Es chömm afe lustig, hieß es im Dorfe, wenn me sellige Lüte dGringe gai ga groß mache, u so am-e-ne Schuldebürlis Bueb meh ästimieri, als dBuresöhn, so syg‘s afe nimme drby z‘si. Eine Mutter, deren Mädchen ich mit der Rute getroffen, kam geradezu in die Schule, sagte dem Schulmeister wüst, und wollte an mir Gegenrecht üben. Glücklicherweise war es nur eine Taunersfrau, die halt nicht wollte ihre Kinder von ihresgleichen züchtigen lassen. Von den Vornehmern hätte sie es geschehen lassen. Weil also die Frau auch nicht viel zu bedeuten hatte, so wurde sie bündig zur Thür ausgewiesen. Der Schulmeister war aber doch in Verlegenheit, und würde mich wohl abgesetzt haben, wenn er sich bei meinem Regiment nicht so wohl befunden hätte. Früher hatten alle Kinder gegen ihn Partei gemacht, ja die Lehrmeister waren als die Ältesten oder Vornehmsten gewöhnlich die Rädelsführer aller Streiche gegen ihn gewesen. Jetzt stund ich auf seiner Seite, und konnte kraft meines Amtes vieles abwenden. Darum konnte er sich nicht entschließen, mich zu entlassen; aber er schärfte mir die größte Vorsicht ein, und bezeichnete mir die, welche ich schlagen dürfe, ohne daß es etwas mache. Die andern sollte ich ihm überlassen. Unter denen, die am meisten kriegten, waren meine Schwestern. O wie that das mir so wohl, wenn ich ihnen in der Schule eintreiben konnte, was ich zu Hause von ihnen abthun mußte; o wie wohl that mir überhaupt das Regieren! Wenn ich so mit der Rute in der Hand die Stube auf- und abspazierte; wenn ich mit angestrengter Stimme rufen konnte: »Lerit;« oder einem das Buch in der Hand zurückstoßen und sagen konnte: »Du chast aber nüt, lehr‘s besser« — o da glaubte ich nicht, daß irgend auf der Erde jemand mehr zu bedeuten hätte als ich.
Freilich ging dieses alles mir nicht ungestraft hin. Sobald die Schule aus war und die Herde auf der Gasse, so war ich wie vogelfrei, und jedes suchte sich an mir zu rächen, und zu Hause vergaßen meine Schwestern auch nicht, was sie in der Schule von mir erhalten hatten. Ich war keiner der stärksten und verstund anfangs gar nicht, mich zu wehren. Ich glaubte, sie sollten auch außer der Schule vor mir Respekt haben, und drohte mit Verklagen, statt wieder zu schlagen. Allein da der Respekt nicht kommen wollte, so lehrte die Not mich besser zu verteidigen und die andern Kinder so viel möglich zu meiden. Das machte mir die Schule und den Schulmeister immer lieber, weil ich in derselben und bei demselben am sichersten und wöhlsten war.
Die Erfüllung des zweiten Versprechens hielt aber noch viel härter als die des ersten. Schreiben und Rechnen wollte ich jetzt auch lernen, aber mein Schulmeister wollte lange nicht daran. Er dürfe es uf sy Seel nicht veranworten bei den Vorgesetzten, sagte er. So lang das Schulhaus stehe, sei es nicht erhört gewesen, daß e sellige, wie ich, schreiben oder gar rechnen gelernt. Die Bauren würden sagen, wenn er selligi Kinder alles lernen wolle, wo ihre Kinder, so sollen die ihm auch die Würste und die Küchli bringen, wo ihre Kinder ihm sonst gebracht hätten. Wenn sie nicht mehr lernten als die andern, so wüßten sie gar nicht, warum sie ihm noch apparti bringen sollten; sie müßten ohnehin den Schullohn fast allein zahlen. Einen so großen Schaden vermöge er bei seinem kleinen Lohn nicht zu ertragen und seine Frau würde auch ein Wörtlein dazu sagen wollen. Aber ich ließ nicht nach, und unter andern Gründen brachte ich ihm vor, daß ich doch den andern auch das müsse zeigen können, wenn er schlafe oder küfere; und daß wenn ich ihnen es nicht zeigen könne, sie nur wüst thäten und etwas uwatligs anfingen. Er meinte, je weniger sie schrieben und rechneten, um so lieber sei es ihm. Daß sie während demselben am uwalligsten seien, wisse er wohl und habe es schon manchmal erfahren. Darum auch wolle er mir etwas davon zeigen, aber ich müsse ihm versprechen, keinen Examenzettel machen zu wollen, es mache dann minder. Vorgesetzte kämen keine in die Schule und auf Kindergschwätz achte man sich doch nicht so viel. Und wenn der Pfarrer komme, so könne ich die Schrift geschwind unter den Bank thun.
Es versteht sich, daß ich diese Bedingungen einging. Voll Jubel kam ich heim, kündete an, daß ich künftig rechnen und schreiben könne in der Schule, daß ich dafür Federn, Tinte, Papier, Tafel und Griffel nötig hätte, also 1 Kreuzer für Federn, 1 Kreuzer für Tinte, 1 Batzen für das Tintenhaus, ½ Batzen für Papier, 2 Batzen für die Tafel; den Griffel hoffe ich dazu einmärten zu können, Summa Summarum also 4 Batzen. Ein Jude hätte »Wai, Wai« geschrien über das Zorngeschrei, das mich bei diesem Antrage aus allen Ecken empfing. Es ergoß sich aus des Vaters, der Mutter, der Schwestern Mäuler, es ergoß sich über den Schulmeister, was der für ein Kolder sei, was für einen Narrengring er habe, daß er mich etwas lernen wolle, das ich mein Lebtag nicht brauchen werde, denn ich habe ja weder Heimet noch Gülti; daß er dem Vater zumute, so viel Geld auszugeben. Man finde das Geld nicht auf der Gasse, und wenn man Geld hätte, so hätte man es für ganz andere Sachen zu gebrauchen als für selligs Narrenwerk. Lehre er das alles doch die, wo es begehrten, die Bauernsöhne.