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Das blutige Blockhaus. Charles Sealsfield
Читать онлайн.Название Das blutige Blockhaus
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Charles Sealsfield
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Louis Victor de Vignerolles? Ich kannte einen Grafen Hugo de Vignerolles.«
»Ich bin sein Sohn.«
»Ma foi!« Er schlug sich an die Stirn. »Wo hatte ich nur die Augen? Vergeben Sie, Herr Graf de Vignerolles, man wird blind in diesen Attacapas, unter diesem Bauern- und Handwerkervolk, man verbauert. Tausendmal Vergebung, aber so ganz sind wir doch noch nicht verbauert!«
Er trat einen Schritt zurück, setzte seinen geflickten, durchlöcherten Hut auf, nahm ihn wieder ab, schnitt ein Kompliment und umarmte mich nochmals in der Art der Hofkavaliere während der sechziger und siebziger Jahre. Dann faßte er mich bei der Hand und wandte sich mit einer Verbeugung gegen die am Ufer stehende Adelaide.
»Mademoiselle Adelaide de Morbihan, ich habe die Ehre, Ihnen den Herrn Grafen Louis Victor de Vignerolles vorzustellen. Herr Graf, ich habe die Ehre, Ihnen Demoiselle Adelaide de Morbihan, meine Tochter, vorzustellen.«
Demoiselle Adelaide knickste am Ufer, ich verbeugte mich im Fahrzeug.
Monsieur de Morbihan schritt zum nächsten. Es war Hauterouge.
»Monsieur, ich bin der Sieur de Morbihan.«
»Herr de Morbihan, ich nenne mich Vincent de Hauterouge.«
Morbihan umarmte Hauterouge, nahm ihn dann bei der Hand und sprach zu Adelaide gewendet: »Mademoiselle de Morbihan, ich habe die Ehre, Ihnen hier den Herrn Baron Vincent de Hauterouge vorzustellen. Herr Baron, ich habe die Ehre, Ihnen Demoiselle Adelaide de Morbihan vorzustellen.«
Die Tochter knickste abermals, der Baron verbeugte sich. Morbihan trat an Lassalle heran. Genau dieselbe Etikette. Als die Reihe an Ducalle kam, stutzte der Alte. Er warf einen forschenden, beinah ängstlichen Blick auf die Tochter. Sie war hocherrötet, senkte die halbgeschlossenen Augen zu Boden. Der Vater stand und starrte Ducalle mißtrauisch an.
»Monsieur de Ducalle«, nahm ich endlich das Wort.
»Capitaine im Regiment Monsieurs, mein teurer Freund.«
Sichtbar im Kampf mit sich selbst näherte sich der Alte dem jungen Mann. Die Tochter heftete einen starren Blick auf den Vater, und dieser schloß nun den verwirrt errötenden Ducalle heftig in seine Arme.
Mittlerweile waren die Bretter ans Land gelegt. Wir begaben uns ans Ufer und begrüßten dort nochmals Vater und Tochter, worauf sie uns dem Hause zuführten.
Dieses war weit bequemer eingerichtet, als wir bei unserm Eintritt vermuten konnten. Die nackten Kinder, Knaben und Mädchen, und die beinah ebenso nackten schwarzen Weiber, die im Saal herumhockten, hätten uns fast wieder hinausgetrieben. Kaum traten wir in Begleitung des etwas sonderbaren Monsieur de Morbihan in die Veranda ein, als sie alle mit einem gellenden Geheul auseinanderstoben und sprangen und uns nicht wenig erstaunt allein ließen.
Nicht nur das Haus geriet in Bewegung, der Aufruhr, den unser Erscheinen verursachte, teilte sich der ganzen Niederlassung mit. Noch waren keine zwei Stunden verflossen, und wir saßen gerade an der Mittagstafel, als eine Menge Stimmen, und zwar nichts weniger als angenehme, sich vor der Veranda hören ließen. Von allen Seiten kamen die Einwohner der Niederlassung herbeigeströmt, in Fahrzeugen und zu Pferde und mit einer Eile, als ob sie im Wettrennen begriffen wären.
Und in den seltsamsten Trachten. Einer hatte eine Kattunjacke, ebensolche Hosen und einen betreßten Hut à la Frédéric, ein anderer kam im Ginghamfrack, ein dritter im Samtrock mit verblichener Goldstickerei à la Louis Quinze und ungebleichten Kattunbeinkleidern, ein vierter im Taftrock. Die Kostüme aller Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts waren zu schauen. Die Leute debattierten und gestikulierten, das Geschrei wurde immer heftiger, je näher sie dem Hause kamen. Dann brach es geradezu in Gezänk aus, das so erbittert wurde, daß wir jeden Augenblick erwarteten, sie würden sich in die Haare geraten.
»Zu mir müssen sie, bei mir haben sie alle zehn Platz!« schrie einer.
»Badaud — Maulaffe!« höhnte ein anderer. »Willst du sie füttern wie deine Schweine? Was sollen sie bei dir, der du nichts als Gombo hast?«
Gombo ist zerstoßener Mais, in Milch und Wasser zu dicker Brühe gekocht.
»Und du hast nichts als Petitgru!« schrie ein dritter dem zweiten zu. »Zu mir müssen sie!«
Petitgru ist Mais in größere Körner zerrieben und mit wenig Wasser mehr geröstet als gekocht.
»Was willst du?« fuhr ein vierter den dritten an. »Du hast kaum ein halbes Dutzend Neger und zweimal so viele Morgen Land mit Mais bepflanzt! Sollen diese Herren bei dir unsere Attacapas kennenlernen, bei deinem Sagamite?«
Sagamite ist Mais in noch größere Stücke zerstoßen und in Wasser gekocht.
»Ah, der da will auch ein Adeliger sein!« lachte ein fünfter. »Und jedes Kind bei uns weiß, daß sein Vater ein Katalonier war!«
Katalonier waren während der spanischen Regierung häufig in Louisiana eingewandert, trieben meist kleinen Handel und waren ebenso gewinnsüchtig und tätig wie verachtet.
Wir sahen einander an. Der Auftritt war komisch, roch aber auch stark nach Gemeinheit. Auf einmal sprang Monsieur de Morbihan aus dem Hause.
»Messieurs!« schrie er noch auf der Treppe. »Ist das eine Art, französischen Kavalieren Ihre Aufwartung zu machen? Morbleu! Parbleu! Was müssen die Herren von Ihnen denken? Ich sage Ihnen — wir machen einen Ball! Gehen Sie mit Gott, Ihre Familien zu benachrichtigen, dann wollen wir weiter sehen!«
Das Wort Ball machte allem Streit ein Ende. Ein fröhliches Bravo erschallte aus aller Mund, lachend schüttelten sie Morbihan die Hand, lachend traten sie in die Galerie und lachend erzählten sie uns, während sie uns umarmten, die Ursache des Streites. Er hatte uns gegolten, jeder wollte uns zuerst in seinem Hause haben, und darüber wäre es fast zu einer Keilerei gekommen. Wir stimmten in das Gelächter ein.
Nachdem sie uns von allen Seiten beschaut hatten und wir sie und ihre Trachten, Erbstücke von Vätern und Großvätern, auf die sie um so stolzer taten, je älter und abgeschabter sie waren, drangen sie heftig in uns, zu erzählen. Nur einige entfernten sich, den Ihrigen die Nachricht vom Ball zu überbringen, die meisten blieben, um etwas vom schönen Frankreich zu hören.
Wir saßen also und erzählten von den ungeheuren Schicksalsschlägen, die auf unser armes geliebtes Land hereingebrochen waren, von der Ermordung des besten Königs, der je einen Thron geziert, von den Wirren der Konventions-, der Berg-, der Gironde-Parteien, von Marat, Robespierre, St.-Just, vom Direktorium und dem kühnen Korsen. Von alledem wußten die guten Leutchen in den Attacapas nichts. Sie waren so unschuldig an der großen Weltrevolution wie neugeborene Kinder. Ihr Staunen war grenzenlos, obwohl sie nur die Hälfte von dem, was wir sagten, verstanden.
Während wir noch erzählten, begann es abermals in den Straßen der Niederlassung lebendig zu werden. Wir sahen Damen zu Pferde und in Kabrioletts im wildesten Galopp dem Wohnhause zusprengen. Fröhlich verließen sie Sättel und Wagen und kamen die Treppe herauf.
Wir waren sehr angenehm überrascht. Die Herren waren großenteils in den beschriebenen altmodischen Kleidern, die Damen aber waren durchgängig nach der neuesten Mode angezogen, in Krepp, Seide und gestickten Musselinen, mit Gewinden in den Haaren, viele mit reichen Geschmeiden. Es versammelte sich ein Kreis von Schönheiten, deren edle Formen seltsam gegen die der etwas gemeinen Männer abstachen.
Durch zwei Zeremonienmeister wurden wir in den Ballsaal eingeführt. Er war mit Talglichtern beleuchtet, die Wände ärmlich. Die beiden Neger, die das Orchester bildeten, waren groteske Gestalten. Für uns hatten aber diese Dinge den Reiz der Neuheit, der noch ungemein durch die geschmackvollen Kostüme der Damen, ihre Schönheit und Lebhaftigkeit gesteigert wurde. Wir fühlten uns in unser geliebtes Frankreich zurückversetzt, auf eine jener entzückenden Landpartien, die durch den Beigeschmack des Bäuerischen erst ihre eigentümliche Frische erlangten.
Auch hatten wir nicht bald so viele Schönheiten auf so engem Raum beisammen gesehen. Wir erwarteten mit einiger Ungeduld die Eröffnung des Balles, und ich gestehe, unsere Überraschung