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Der Waldläufer. Gabriel Ferry
Читать онлайн.Название Der Waldläufer
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Gabriel Ferry
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Don Estévan allein ging in seinem Zimmer mit großen Schritten auf und ab wie der Ehrgeizige, der gewohnt ist, zu wachen, wenn die anderen schlafen, als Cuchillo zweimal an seine Tür klopfte. Beim Anblick seiner bestürzten Züge bebte der Spanier; er fürchtete und wünschte zugleich die Vollziehung seiner Befehle.
»Meine zwanzig Unzen sind futsch!« sagte Cuchillo. »Der junge Mann ist nicht mehr in der Hacienda.« »Er ist fort!« rief Don Estévan. »Und Ihr habt ihn entkommen lassen!«
»Wie war es zu verhindern? Dieses Tier Baraja war ebenso wie Oroche trunken vom Mescal; Diaz hat sich geradezu geweigert, mit mir gemeinsame Sache zu machen; und ehe ich den beiden Trunkenbolden begreiflich machen konnte, worum es sich handelte, hatte der junge Mann das Weite gesucht und die Mauer überstiegen. So wenigstens haben wir vermutet.«
»Weshalb?« fragte der Spanier.
»Als wir anlangten, hatte sich Doña Rosarita, mit dem Gesicht nach dem Wald, der sich hinter der Hacienda erhebt, über die Mauer gelehnt, und wenn der junge Mann, der offenbar diese Richtung eingeschlagen hat, nicht schon sehr weit entfernt gewesen wäre, so ist es mehr als gewiß, daß die Liebesworte, die ihr Mund ihm nachsandte, ihn hätten umkehren lassen.«
»Also liebt sie ihn doch!« rief Don Estévan.
»Leidenschaftlich! Dafür bürge ich – oder ihre Worte und ihre Stimme waren sehr trügerisch.« Und Cuchillo wiederholte Don Estévan den leidenschaftlichen, aber erfolglosen Ruf, den das junge Mädchen Tiburcio nachgeschickt hatte.
»Man muß zu Pferd steigen und ihm nachsetzen; der Erfolg unserer Expedition hängt vom Leben dieses jungen Mannes ab. Sattelt schnell unsere Pferde, Ihr und Eure Freunde; weckt Benito, die Diener, so daß wir spätestens in einer Stunde alle im Sattel sitzen. Während dieser Zeit will ich noch zuvor Don Agustin und den Senator benachrichtigen.«
Geradeso habe ich ihn vor zwanzig Jahren gekannt: immer feurig und voller Verachtung aller Schwierigkeiten, sagte Cuchillo für sich, als Arechiza weggegangen war. Wenn er mit solchem Charakter kein Glück in seinem Vaterland gemacht hat, so weiß ich nicht mehr, wozu Ausdauer und Energie gut wären. Unter diesen Betrachtungen beeilte sich Cuchillo, die Befehle seines Chefs auszuführen.
Dieser zog sogleich seine Reisekleider wieder an und ging nach dem Zimmer des Senators. Die Tür stand offen wie meist in diesen Ländern, wo man fast das ganze Leben außer Haus zubringt. Der Mond schien in vollen Strahlen durch die Fenster des Senators und erleuchtete hinreichend das Zimmer, in dem er schlief.
»Was gibt es denn, Señor Estévan? Señor? Herzog wollt‘ ich sagen« (vielleicht träumte Tragaduros vom Hof des Königs von Spanien), rief der Senator, indem er, erwacht, sich aufrichtete.
»Ich will Abschied von Euch nehmen, Don Vicente, und Euch meine letzten Verhaltensbefehle geben.«
»Wie denn?« sagte der Senator. »Wieviel Uhr ist es denn? Oder habe ich etwa drei Tage geschlafen?«
»Nein«, erwiderte der Spanier, »aber eine große Gefahr bedroht Eure und meine Pläne: Dieser junge zerlumpte Bauer kennt ebenso wie ich das Dasein des Val d‘Or; und – was noch schlimmer ist – er liebt Doña Rosarita, und diese liebt ihn!«
Tragaduros aber, anstatt wie Don Estévan zurückzuprallen, drückte sich nach dieser Nachricht in sein Kopfkissen und rief: »Dann adieu Mitgift von einer Million, mit der ich schon liebäugelte; adieu schöne Felder mit springenden Herden, die ich schon als die meinigen betrachtete; adieu Ehre und Auszeichnungen am Hof König Karls I.!«
»Noch ist nicht alles verloren!« erwiderte Don Estévan. »Das Unglück kann wiedergutgemacht werden, aber wir müssen uns beeilen. Dieser junge Mann hat heute abend die Hacienda verlassen – wir müssen ihm zuvorkommen; wir müssen wissen, nach welcher Seite er seine Schritte gewandt hat, und ihm den Weg abschneiden. Um so schlimmer für ihn, daß ihn sein böses Geschick in unseren Weg geworfen hat.«
Der Spanier sagte weiter nichts über Tiburcio. Was den Senator betrifft, dem ohne Zweifel wenig daran lag, auf welche Weise man einen so furchtbaren Mitbewerber um den Geldkasten Don Agustins fernhielt, so bekam er den Mut wieder, den er kurz verloren hatte.
»Wie es auch ablaufen mag«, fügte Don Estévan hinzu; »dieser junge Mann wird nicht wieder in der Hacienda aufgenommen werden. Ich benachrichtige jetzt noch Señor Peña davon; Ihr seid also Herr der Festung, und an Euch ist es, so zu handeln, daß niemand in diese eindringt. Macht Euch liebenswürdig; es ist eine Kleinigkeit für Euch, da Ihr es nur mit einem Abwesenden und vielleicht mit einem – Toten zu tun habt. Diese Steppen sind so gefährlich, und Ihr kennt das Sprichwort über diejenigen, die nicht da sind.«
»Ich werde unwiderstehlich sein!« rief Tragaduros. »Denn seit gestern stehe ich in Flammen für das göttliche Mädchen, das vom Himmel herabgestiegen zu sein scheint. Es ist so weit gekommen, daß, wenn man mir die Mitgift ohne das Mädchen geben wollte, ich glaube, ich würde sie annehmen … das heißt, ich meine das Gegenteil!« verbesserte sich der Senator.
»Niemals hat ein Mann ein wünschenswerteres Ziel im Auge gehabt als diese unermeßliche Mitgift und diese schöne Blume der Steppe; laßt also kein Mittel unversucht, um Euren Zweck zu erreichen!«
»Ich will spinnen für sie, wenn es nötig ist, wie Herkules zu den Füßen der Omphale.«
»Wenn Herkules als Spinner in Omphales Augen einigen Verdienst hatte, so geschah es, weil er Herkules war, was Ihr, soviel ich weiß, nicht seid. Macht es besser: Morgen, bei jener Jagd auf wilde Pferde, zeichnet Euch durch irgendeine kühne Tat aus; besteigt zu Ehren der schönen Augen Doña Rosaritas ein ungebändigtes Pferd und bringt es keuchend und gezähmt zu ihren Füßen zurück!«
»Ich sage nicht nein … ich sage nicht nein«, erwiderte der Senator, etwas weniger von diesem zweiten Mittel, sich liebenswürdig zu machen, begeistert als von demjenigen, das die Erinnerung an eine klassische Zeit in ihm zurückgerufen hatte; »aber mir fehlen die nötigen Mittel, um den Platz eng einzuschließen; mir fehlt dieser goldene Schlüssel zum Geldkasten, der nach dem Wort eines Philosophen auch der zum Herzen ist.«
»Ich werde Sorge dafür tragen«, antwortete der Spanier. »Ich werde Euch einen bedeutenden Kredit bei Peña eröffnen; dieses verführerische Mittel darf Euch nicht fehlen. Aber Ihr denkt doch auch an unser Übereinkommen im Fall des Gelingens?«
»Fünfhunderttausend Franken durch Freigebigkeit aller Art für politische Zwecke verbraucht! Ach, wenn es mir doch ebenso leicht würde, die Mitgift zu gewinnen, als es mir sein wird, sie zu verzehren!«
Der Senator stieß einen Seufzer aus; dann gab Don Estévan ihm noch Ratschläge und Verhaltensbefehle, erinnerte ihn noch einmal an das Ziel, das sie verfolgten, indem er alle Saiten des Ehrgeizes, der Liebe und der Habsucht bei ihm erklingen ließ, drückte ihm die Hand und begab sich zum Hacendero.
Das Klirren der Sporen Don Estévans weckte Don Agustin, der beim Anblick der Reitkleider seines nächtlichen Besuches ausrief: »Ist es denn schon Zeit, zur Jagd aufzubrechen?«
»Nein, aber für mich hat die Stunde zu einer ernsteren Jagd als die auf wilde Pferde geschlagen!« antwortete der Spanier. »Es geht darum, dem Feind der Größe Eures Hauses den Vorsprung abzugewinnen – dem Mann, der die Gastfreundschaft, die Ihr ihm bewiesen habt, mißbrauchte, um eine Verschwörung um uns anzuzetteln, in der alles vernichtet werden konnte: Eure Pläne, die meinigen und die Tragaduros!«
Man sieht, daß Don Estévan Tiburcios Sache dem Hacendero in einem viel düsteren Licht darstellte als dem Senator. Wirklich mußte der letztere ganz natürlich seinen Gegner überall und immer hassen, während – alles in allem betrachtet – der reiche Eigentümer wegen seiner zärtlichen Liebe für seine Tochter die Dinge in einem viel günstigeren oder doch weniger traurigen Licht betrachten konnte.
»Die Größe meines Hauses, die Gastfreundschaft, die man mißbraucht?« rief der Hacendero ganz erstaunt, indem er mit einer Hand nach einer langen, breiten