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Der Waldläufer. Gabriel Ferry
Читать онлайн.Название Der Waldläufer
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Gabriel Ferry
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Wie meint Ihr das?« fragte Cuchillo, obgleich er fühlte, daß er offenbar die Rolle eines Dummkopfs spielte.
»Ich meine, daß bei der einzigen guten Handlung, die Ihr getan habt, Eure Hand sehr unglücklich war.«
»Eine gute Handlung?« wiederholte Cuchillo, der sich ganz verlegen zu erinnern suchte, bis zu welchem Abschnitt seines Lebens er zurückgehen müßte, um eine zu finden.
»Ja, durch die Rettung des jungen Mannes!«
»Aber Ihr habt ja diese gute Handlung begangen; denn für mich war sie ja nur gewinnbringend.«
»Sei es! Ich wollte sie Euch leihen trotz des Sprichwortes, das sagt, daß man nur dem Reichen leihen soll. Doch hört, was ich erfahren habe; ich, der ich mir weder soviel Gewissenhaftigkeit noch soviel Scharfsinn anmaße als Ihr! Dieser junge Mann hat in seiner Tasche die Marschroute zu dem fraglichen Val d‘Or und alle prachtvollen Pferde des Vaters seiner Geliebten zu seiner Verfügung; er kommt zu dieser Hacienda, um sich zu ihrem künftigen Eigentümer zu machen!«
»Tod und Blut!« rief Cuchillo zurückprallend. Dann, ruhiger geworden durch den spöttischen Blick des Spaniers, sagte er: »Das kann nicht möglich sein! Ich hätte mich von einem Kind nicht so bei der Nase herumführen lassen …«
»Dieses Kind ist ein Riese gegen Euch, Cuchillo«, sagte der Spanier kalt.
»Es ist unmöglich!« erwiderte Cuchillo aufgeregt.
»Wollt Ihr Beweise?«
»Gewiß! Ich muß sie haben!« antwortete der Bandit, seine Wut verbeißend.
»Ihr wollt sie haben, Cuchillo?« fuhr der Spanier sehr ernsthaft fort. »Bedenkt, daß sie von der Art sind, Euch von der Fußsohle bis zum Scheitel mit Schauder zu bedecken!«
»Ich will sie haben, wie sie auch sein mögen!« sagte Cuchillo mit erstickter Stimme.
»Merkt wohl – ich rede nicht von Eurem Gewissen; das bekommt niemals Schauder. Ich will nur von dem Schauder körperlicher Angst reden, wie ihn etwa der Anblick des Jaguars beim Menschen hervorruft; Ihr wißt …« Don Estévan hielt inne; es war in seinem eigenen Interesse sehr leicht, durch seine Überlegenheit einen Mann zu erdrücken, dessen Treue ihm aus tausend Gründen verdächtig war. Er fuhr fort: »Tiburcio stammt aus einem Geschlecht – scheint von einem Geschlecht zu stammen, wollt‘ ich sagen —, dessen Feinde nicht lange leben; von einem Geschlecht, das Verstand und Kraft als Erbteil empfangen hat – und Ihr seid sein Todfeind! Fangt Ihr an, zu begreifen?«
»Nein«, sagte Cuchillo.
»Wohlan! Ihr werdet es jetzt durch einige sehr einfache Fragen begreifen lernen. Hier ist die erste: Habt Ihr auf Eurer Expedition mit Arellanos nicht ein Pferd geritten, das mit dem linken Fuß strauchelte?«
»Ach!« machte Cuchillo erbleichend.
»Sind es wohl die Indianer, die Euren Gefährten erwürgt haben?«
»Ich soll es vielleicht sein?« wiederholte der Bandit mit häßlichem Lächeln.
»Habt Ihr nicht in einem tödlichen Kampf eine Wunde am Fuß erhalten? Habt Ihr nicht auf Euren Schultern den Leichnam Arellanos‘ getragen?«
»Ja, um ihn den Beschimpfungen der Indianer zu entziehen!«
»Und aus diesem Grund stürztet Ihr in einen nahen Fluß einen Leichnam, der – vielleicht noch gar kein Leichnam war?«
Der helle Mondschein warf durch das Blätterdach der Granatbäume ein bleiches Licht auf die Gestalt des Banditen, der mit verstörten Blicken diese Beweise eines Mordes anhörte, ohne begreifen zu können, woher sie kamen; eines Mordes, den er für immer in der Steppe begraben wähnte.
Man kann sich leicht denken, daß Cuchillo beim Verkauf seines wertvollen Geheimnisses an Don Estévan sich nicht mit großer Selbstliebe wegen der Art und Weise gerühmt hatte, wie er in dessen Besitz gekommen war. Er war leicht über seine erste Expedition nach dem Val d‘Or – wenigstens was seine Gefährten betraf – hinweggegangen, um einzig und allein die Einzelheiten hervorzuheben, die am meisten geeignet waren, den Señor aus Spanien von der Wichtigkeit der Entdeckung zu überzeugen. Man kann sich nun einen Begriff von seinem Entsetzen machen, als er sah, daß die Steppe geredet hatte.
»Weiß Tiburcio das?« fragte Cuchillo mit schlecht verhehlter Ängstlichkeit.
»Nein; aber er weiß, daß der Mörder seines Vaters ein Pferd hatte wie das Eure; daß er am Fuß verwundet war; daß er den Leichnam seines Vaters ins Wasser geworfen hat; er weiß nur den Namen des Mörders nicht. Doch damit ich auf Eure Ehrlichkeit bauen kann … Ich meinesteils werde bei dem geringsten Argwohn dieses Geheimnis jenem jungen Mann übergeben, der Euch wie einen Skorpion zertreten wird … Echtes Blut kann sich nicht verleugnen. Also, ich wiederhole es Euch: Kein Verrat, Cuchillo, keine Treulosigkeit, oder Euer Leben wird mir dafür bürgen.«
Solange ich es noch habe, sollst du dieses Geheimnis bezahlen, dachte Cuchillo bei sich. Was Tiburcio anlangt, so kann man es morgen um diese Zeit seinen Ohren anvertrauen – sie werden es nicht mehr hören. »Wie dem auch sein mag«, sagte er unverschämt; »Eure Herrlichkeit hat mir nicht bewiesen, daß dieser junge Mann Doña Rosarita liebt, und bis auf weiteres muß ich daran zweifeln, daß mein Scharfsinn …«
»Still!« sagte der Spanier. »Ich glaube hier ganz nahe Stimmen zu hören, die einander antworten.«
Sie verhielten sich ruhig. Durch den Garten gehend waren sie nicht weit von einem Pavillon angekommen, den die Tochter des Hacenderos bewohnte; und so groß war die Stille der Nacht, daß in ziemlich großer Entfernung die Stimmen – sogar die einzelnen Worte vernehmbar waren.
16. Die Liebe hinter dem Gitter
In dem Augenblick, wo alles Geräusch des Tages nahe und fern verstummt war; wo die Nachtluft, kühl und duftend, kaum in dem weiten Garten der Hacienda leise rauschte, war keine Täuschung möglich über die Stimmen, die man hörte. So groß war die Ruhe in der Luft, daß weit von da im Wald hinter der Wohnung Don Agustins der widerhallende Ruf des wilden »Cuitlacoche«, der sich nachts auf den Schlingpflanzen über den Wasserfällen hin und her schaukelt, bis zu den Ohren der nächtlichen Spaziergänger gelangte.
»Das ist die Stimme Tiburcios und Doña Rosaritas!« sagte der Bandit.
»Halt, Cuchillo, da haben wir schon, wie mir scheint, einen Anfang des Beweises.« Ein Gedanke kam dem Spanier plötzlich wie ein Blitzstrahl. Wenn dieses junge Mädchen ihn zufällig liebte, sagte er bei sich, so müßte man also auf eine Heirat verzichten, die ich zum Eckstein eines großen politischen Gebäudes gemacht habe! Obgleich der Spanier der einzige war, der den wirklichen Stand und den Namen Tiburcios wohl wußte, und in seinen Augen der letzte Mediana der Tochter des Hacendero keineswegs unwürdig war, so hatte er doch keinen einzigen Augenblick voraussetzen können, daß Doña Rosarita die Liebe eines jungen Mannes erwidern würde, der in seinen eigenen Augen – wie in den Augen anderer – nur ein Kind ohne Namen und ohne Familie war. Der Gedanke, daß nichtsdestoweniger die Tochter Don Agustins die Kühnheit dieses jungen, zerlumpten Bauern, wie er ihn nannte, nicht mit allzu ungünstigem Auge betrachten könnte, war ihm plötzlich in den Sinn gekommen, als er in der Nacht, ohne einen anderen Zeugen als die Sterne des Himmels, Tiburcio und Rosarita im Gespräch miteinander hörte. Ein solches Zusammentreffen unter dem Auge Gottes allein – war das nicht schon eine besondere Vergünstigung? Das Herz des Spaniers schwoll vor Zorn bei diesem Gedanken, und sein Ehrgeiz erhob sich für die Pläne, die dieser ihm eingeflüstert hatte. Hier war ein Hindernis, an das er keinen Augenblick gedacht hatte.
Die Stirn des Herzogs von Armada wurde sorgenvoll. Er fand sich unvermutet einer jener dringenden Forderungen gegenüber, vor denen die Politik nicht zurückweichen darf und die, wie man sagt, von den Staatsgründen gerechtfertigt werden. Der Spanier hatte hinter sich einen Arm, bereit, das Opfer zu treffen, das er ihm bezeichnen würde; aber schon lasteten zwanzig Jahre der Buße auf seinem Haupt, ohne ihn von einem Mord, dessen er sich angeklagt hatte, reinzuwaschen. Sollte er sich nun in dem Augenblick, wo er schon die Hälfte seines Lebens überschritten hatte, der Gefahr aussetzen, die Zeit, die ihm noch