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Schwanenflügeln abhebend und auf den Tisch setzend, »wo ist dein Vater?« — »Der Segen des Herrn ruhe auf deinen goldenen Locken«, sprach der Alte, in das Gemach tretend. — »Gegrüßt, treuer Isak!« rief Totila, warf den langen, glänzend weißen Mantel ab, der ihm von den Schultern floß, und hüllte sich in einen braunen Überwurf, den ihm Miriam von der Wand reichte. »Ihr guten Leute! Ohne euch und eure verschwiegene Treue wüßte ganz Neapolis um mein Geheimnis. Wie kann ich euch danken!« — »Dank?« sagte Miriam, schlug die dunkelblauen Augen auf und ließ sie leuchtend auf ihm ruhen. »Du hast voraus gedankt für alle Zeit.«

      »Nein, Miriam«, sagte der Gote, den braunen, breitkrempigen Filzhut tief in die Stirne ziehend, »ich mein’ es herzlich gut mit euch. Sage, Vater Isak, wer ist der Kleine, den ich schon öfter hier gesehen und eben wieder begegnet? Mir ist, er hat sein Auge auf Miriam geworfen. Sprich offen, wenn es bei ihr nur am Gelde fehlt — ich helfe gern.« — »Es fehlt an der Liebe, Herr, bei ihr«, sagte Isak ruhig. — »Da kann ich freilich nicht helfen! Aber wenn sonst ihr Herz gewählt — ich möchte gern etwas tun für meine Miriam.« Und er legte freundlich die Hand auf das glänzende schwarze Haar des Mädchens. Nur leise war die Berührung. Aber wie vom heißen Blitz getroffen fiel Miriam plötzlich auf die Knie: die Arme über dem Busen kreuzend, und das schöne Haupt tief nach vorne beugend: wie eine tauschwere Blume glitt sie zu den Füßen Totilas nieder.

      Dieser trat bestürzt einen Schritt zurück.

      Aber im Augenblick war das Mädchen wieder auf: »Verzeih, es war nur eine Rose — sie fiel vor deinen Fuß.«

      Sie legte die Blume auf den Tisch, und so gefaßt war sie, daß weder ihr Vater noch der Jüngling des Vorfalls weiter achteten.

      »Es dunkelt schon, eile Herr«, sprach sie ruhig und reichte ihm den Korb mit den Blumen. — »Ich gehe. Auch Valeria schuldet dir reichen Dank: ich habe ihr viel von dir erzählt, und sie fragt mich stets nach dir. Sie möchte dich lang schon sehen. Nun, vielleicht geht das bald — heut’ ist’s wohl das letztemal, daß ich diese Vermummung brauche.«

      »Willst du sie entführen, die Tochter von Edom?« rief der Alte. »Bring’ sie nur hierher! Hier ist sie wohl geborgen.«

      »Nein«, fiel Miriam ein, »nicht hierher, nein, nein!«

      »Weshalb nicht, du seltsames Kind?« zürnte der Alte.

      »Das ist kein Raum für seine Braut — dies Gemach — es brächte ihr kein Heil.« — »Beruhigt euch«, sagte Totila, schon an der Türe, »offne Werbung soll der Heimlichkeit ein Ende machen. Lebt wohl.« Und er schritt hinaus, Isak nahm den Speer, das Horn und einige Schlüssel von der Wand; er folgte, ihm zu öffnen und die Abendrunde längs allen Pforten des großen Torbaues zu machen.

      Miriam blieb oben allein.

      Lange Zeit stand sie unbeweglich mit geschlossenen Augen an derselben Stelle. Endlich strich sie mit beiden Händen über Schläfe und Wangen und schlug die Augen auf. Still war’s im Gemach; durch das offene Fenster glitt der erste Strahl des Mondlichts. Er fiel silbern auf Totilas hellen Mantel, der in langen Falten über dem Stuhl hing. Rasch flog Miriam auf den weißen Schimmer zu und bedeckte den Saum des Mantels mit heißen Küssen. Dann ergriff sie den blinkenden Schwanenhelm, der neben ihr auf dem Tische stand, sie umfaßte ihn mit beiden Armen und drückte ihn zärtlich an die Brust. Dann hielt sie ihn eine Weile träumend vor sich hin: endlich — sie konnte nicht wiederstehen — hob sie ihn rasch auf und setzte ihn auf das schöne Haupt: sie zuckte, als die Wölbung ihre Stirn berührte, dann strich sie die schwarzen Flechten aus den Schläfen und drückte einen Augenblick den harten, kalten Stahl fest mit beiden Händen an die glühende Stirn. Dann hob sie ihn wieder ab und legte ihn, scheu umblickend, auf seinen frühern Ort zu dem Mantel. Darauf trat sie ans Fenster und sah hinaus in die duftige Nacht und das zauberische Mondlicht. Ihre Lippen regten sich wie im Gebet: aber die Worte des Gebets klangen aus in der alten Weise:

      »An Wasserflüssen Babylons

      Saß weinend Judas Stamm:

      Wann kommt der Tag, der all dein Leid,

      Du Tochter Zions, stillt?«

      DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

      Indessen Miriam schweigend aufsah zu den ersten Sternen, hatte Totilas rascher, sehnsuchtsbeflügelter Schritt alsbald die Villa des reichen Purpurhändlers, die etwa eine Stunde vor dem capuanischen Tor gelegen war, erreicht.

      Der Türstehersklave wies ihn an den alten Hortularius, den Freigelassenen Valerias, dem die Sorge für die Gärten überlassen war. Dieser, der Vertraute der Liebenden, nahm dem Gärtnerburschen die Blumen und Sämereien ab, die er angeblich von dem ersten Blumenhändler von Neapolis brachte, und geleitete ihn in sein gewöhnliches Schlafgemach im Erdgeschoß, dessen niedrige Fenster in den Garten führten: am anderen Morgen noch vor Aufgang der Sonne — so wollte es die Geheimlehre der antiken Gärtnerei — müßten die Blumen eingesetzt werden, auf daß das erste Sonnenlicht, das sie in dem neuen Boden träfe, das segenbringende der Morgensonne sei. —

      Ungeduldig erwartete der junge Gote in dem engen Gemach bei einem Kruge Weines die Stunde, da sich Valeria von ihrem Vater nach dem gemeinsamen Nachtmahl verabschieden konnte.

      Immer wieder sah er zum Himmel auf, an dem Auftauchen der Sterne und dem Gang des Mondes den Fortschritt der Nacht zu ermessen. Er schlug den Vorhang zurück, der die Fensteröffnung schloß; stille war’s in dem weiten Garten. In der Ferne plätscherte nur leise der Springbrunnen, und Zikaden zirpten in den Myrtengebüschen: der warme, üppige Südwind strich in schwülem Hauch durch die Nacht, stoßweise ganze Wolken von Wohlgerüchen aus Rosenbäumen auf seinen Fittichen mit sich führend, und weithin aus dem Pinienwäldchen am Ende des Gartens drang lockend und sinnaufregend der tiefgezogene, heiße Schlag der Nachtigall.

      Endlich hielt sich Totila nicht länger. Geräuschlos schwang er sich über die Marmorbrüstung des Fensters: kaum knisterte unter seinen raschen Schritten der weiße Sand der schmalen Wege, wie er, den Strom des Mondlichts meidend, unter dem Schatten der Gebüsche dahineilte. Vorüber an den dunklen Taxusgängen und den Lauben von Oliven, vorüber an der hohen Statue der Flora, deren weißer Marmor geisterhaft im Mondlicht schimmerte, vorüber an dem weiten Becken, wo sechs Delphine den Wasserstrahl hoch aus den Nüstern bliesen, rasch eingebogen in den dicht verwachsenen Laubweg von Lorbeer und Tamarinden, und nun, noch ein Oleandergebüsch durchdringend, stand er vor der Grotte aus Tropfstein, in der die Quellnymphe über einer dunklen, großen Urne lehnte.

      Wie er eintrat, glitt eine weiße Gestalt hinter der Statue hervor.

      »Valeria, meine schöne Rose!« rief Totila und umschlang glühend die Geliebte, die leise seinem Ungestüm wehrte. »Laß, laß ab, mein Geliebter«, flüsterte sie, sich seinem Arm entziehend. »Nein, du Süße, ich will nicht von dir lassen. Wie lang, wie schmerzlich hab’ ich dein entbehrt! Hörst du, wie lockend und wirbelnd die Nachtigall ruft, fühlst du, wie der warme Hauch der Sommernacht, der berauschende Duft des Geißblattes Liebe atmet? Sie alle mahnen und bedeuten, wir sollen glücklich sein! Oh, laß sie uns festhalten, diese goldnen Stunden. Meine Seele ist nicht weit genug, all ihr Glück zu fassen: all deine Schönheit, all unsre Jugend und diese glühende, blühende Sommernacht; in mächtigen Wogen rauscht das volle Leben durch das Herz und will’s vor Wonne sprengen.«

      »O mein Freund! Gern möcht’ ich, wie du, aufgehn im Glücke dieser Stunden. Ich kann es nicht. Ich traue nicht diesem berauschenden Duft, der üppigen Schwüle dieser Sommernächte: sie dauert nicht: sie brütet Unheil: ich kann nicht glauben an das Glück unsrer Liebe.«

      »Du liebe Törin, warum nicht?«

      »Ich weiß es nicht: der unselige Zwiespalt, der all mein Leben scheidet, übt seinen Fluch auch hier. Gern möchte mein Herz sich trunken, wie du, diesem Glücke hingeben. Aber eine Stimme in mir warnt und mahnt: es dauert nicht — du sollst nicht glücklich sein.«

      »So bist du nicht glücklich in meinen Armen?«

      »Ja und nein! Das Gefühl des Unrechts, der Schuld gegen meinen edlen Vater lastet

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