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Bobbie oder die Liebe eines Knaben. Hugo Bettauer
Читать онлайн.Название Bobbie oder die Liebe eines Knaben
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Hugo Bettauer
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Werd‘ ich wohl,« schmunzelte der Mann in der fadenscheinigen Uniform. »Ist doch das schönste kleine Ding, das es hier im Park zu sehen gibt!«
»Nun, das ist meine Freundin, Gertie Sehring, und sie ist spurlos verschwunden.«
Und in fliegender Hast, während ihm dicke Tränen über die Backen liefen, erzählte Bob, was sich ereignet hatte.
Der Invalide starrte dösig drein. »Verdammt, das ist eine saudumme Geschichte! Das blonde Ding schaut mir nicht wie eine Durchbrennerin aus, ist ja sanft und lieb wie ein Täubchen! Himmel und Teufel, wenn jemand dem Kind etwas Böses getan hat, so will ich ihm mit meinem Stelzbein die Gedärme eintreten!«
Bob drückte ihm nun einen größeren Schein in die Hand. »Das gleich für Ihre Mühe, und doppelt soviel, wenn wir Gertie finden. Vielleicht liegt sie irgendwo im Gras. Ich habe ja schon allein gesucht, aber möglicherweise nicht gründlich genug, und dann bin ich auch, müssen Sie wissen, vor Kummer und Aufregungen ein wenig verwirrt.«
»So! Kummer und Aufregung? Verdammt, kann ich mir denken! Hätte auch ohne Geld gesucht, aber zurückgeben kann ich es nicht. Wär‘ eine Gemeinheit gegen meine Alte, die Geld brauchen kann wie eine Spinne die Fliegen.«
Und sie suchten. Suchten die Wiesen ab, stiegen ins Gras, hinter jede Hecke, öffneten die Türe zu dem geheimnisvollen grauen Bretterhäuschen, in dem die Gärtner ihre Geräte verwahren. Nichts, keine Spur von dem kleinen Mädchen mit den großen, blauen Augen und den blonden Locken.
Noch ein Versuch. Im Park gab es einen Teich, in dem schöne Goldfische und ein einsamer, angeblich uralter Schwan ihr Leben fristeten. Vielleicht, daß in diesem Teiche – – aber nein, gerade heute war das Wasser hell und durchsichtig, so daß man bis auf den Grund sehen konnte. Nein, Gertie war nicht in den Teich gefallen.
VII. Kapitel. Bob hat eine böse Nacht
Es war inzwischen fast fünf Uhr geworden und Bob gab es auf. Er ging wieder zu Frau Sehring, bei der er seine Mutter noch antraf. Als sie an dem bleichen Gesichte des Knaben sahen, daß er ohne Ergebnis zurückkam, begannen beide zu weinen, und Frau Sehring bekam wieder eine Herzschwäche.
Bob konnte den Jammer nicht ertragen. Er zitterte am ganzen Körper und rief:
»Ich bin nur ein kleiner Junge, aber ich will nicht ruhen, bevor ich Gertie gefunden habe! Und ich weiß, daß der liebe Gott ihr kein Leid zufügen läßt!«
Diese Worte hatten eine gute Wirkung. Frau Sehring sank in die Knie und begann still und andächtig zu beten. Frau Holgerman aber ging leise, ihren Jungen an der Hand, fort in die Villa hinüber, um ihren Gatten zu verständigen.
Der Polizeipräsident hörte mit gefurchter Stirne den Bericht des ihm wohlbekannten und von ihm hochgeachteten Fabriksbesitzers an, während er sich hie und da eine Notiz machte. Wortlos drückte er einen Taster, worauf ein Polizist in Zivil eintrat.
»Bitten Sie Herrn Crispin, sofort zu mir zu kommen!« Und erläuternd zu Herrn Holgerman: »Herr Crispin ist einer unserer tüchtigsten Beamten von der Kriminalpolizei und Spezialist auf dem Gebiete der Nachforschung nach verschwundenen Personen.«
Inspektor Crispin, ein untersetzter, breitschulteriger, glattrasierter Mann in mittleren Jahren, trat ein und hörte schweigend den Bericht seines Chefs an, der mit den Worten schloß:
»Herr Inspektor, ich übergebe Ihnen hiermit den Fall Gertie Sehring und bitte Sie, ihn als wichtigste Angelegenheit zu betrachten und nichts, aber auch gar nichts zu versäumen, was die Auffindung des Kindes, tot oder lebendig, ermöglichen kann. Es ist dies, wenn ich nicht irre, der dritte Fall seit kurzer Zeit; die Presse wird Lärm schlagen, und die Sache muß auf jeden Fall aufgeklärt werden. Können Sie mir über die vorhergegangenen Fälle, in denen Kinder verschwunden sind, gleich Bericht erstatten?«
»Jawohl, Herr Präsident, ich habe sie genau im Gedächtnis. Zwei Tage vor Neujahr verschwand spurlos die neunjährige Ruth Clemens, Tochter eines Lehrers. Sie war zuletzt in der Gartenanlage im Nordviertel gesehen worden. Ein auffallend hübsches Mädchen, brav, folgsam, kein Konflikt in der Schule oder im Elternhaus. Alle Nachforschungen sind ergebnislos geblieben. Der nächste, fast ganz gleiche Fall ereignete sich am 25. März im Westendpark. Von dort verschwand die elfjährige Marie Peters, die Tochter eines kleinen Kaufmannes. Auch hier lag nicht der geringste Grund zu einem freiwilligen Verschwinden vor. Auch sie war ein sehr hübsches Mädchen.«
»Wie war ihre Haarfarbe?«
»Ebenfalls blond.«
Der Polizeipräsident sah düster vor sich hin.
»Kein Zweifel! Eine Bestie in Menschengestalt, ein Unhold, der es auf hübsche, blonde Mädchen abgesehen hat. Dem Schurken muß das Handwerk gelegt werden. Herr Crispin, die Sache ist ernst, sehr ernst, wir müssen das Äußerste tun!«
Inspektor Crispin nickte und wollte sich zurückziehen, aber Herr Holgerman hielt ihn zurück.
»Meine Herren, ich bitte Sie, keine Kosten zu scheuen, und ersuche Sie, eine hohe Belohnung öffentlich auszuschreiben, die derjenige bekommt, der das Kind so oder so – Herr Holgerman scheute sich, die Worte tot oder lebendig nachzusprechen – zur Stelle schafft. Ich bitte auch, durch Zusicherung von Prämien Ihre Unterbeamten anzuspornen, und erkläre, für sämtliche Kosten aufzukommen. Und nun hätte ich noch eine Frage, die ich, ohne in die erprobte Tüchtigkeit unserer Polizei die geringsten Zweifel zu setzen, doch stellen möchte. Wie wäre es, wenn wir einen erfahrenen, findigen Privatdetektiv zur Mithilfe heranzögen? Man hört doch oft, daß solche Leute Außerordentliches leisten.«
Während Herr Crispin nur leicht lächelte, lachte sein Chef laut auf.
»Verzeihen Sie, Herr Holgerman, aber es scheint, als wenn auch Sie hie und da einen Kriminalroman gelesen hätten! Ja, dann begreife ich Ihre Anregung. Also, ich kann Ihnen nur sagen, daß alles das, was unsere Herren Schriftsteller über sogenannte Privatdetektivs berichten, die, um Geld zu verdienen oder zum Vergnügen, Verbrechern nachjagen und geheimnisvolle Fälle aufdecken, der reinste Schwindel ist. Noch nie hat so ein Detektiv irgend etwas aufgedeckt, und er kann auch gar nichts aufdecken, weil ihm der Apparat der Behörden nicht zur Verfügung steht und er die großzügigen Hilfsmittel der Polizei nicht besitzt. Was Sie da von Fußspuren und vergessenen Kragenknöpfen, kunstvollen Verkleidungen und so weiter in den Büchern gelesen haben, ist phantastischer Humbug, sonst nichts. Jawohl, es gibt genug tüchtige Privatdetektivs, die ganz Gutes leisten, wenn es gilt, einem lockeren Ehemann oder einer verdächtigen Gattin nachzuschleichen oder sich nach dem Vorleben eines Buchhalters oder Bräutigams zu erkundigen. Kurz, überall dort, wo es sich um private Angelegenheiten handelt, um die sich die Polizei nicht kümmert und nicht kümmern darf, kann ein Privatdetektiv Ersprießliches leisten. Aber in Fällen, wie diesem hier, würde er nur eine komische Figur spielen, weil ihm die Schar der Hilfskräfte, die Kenntnis der Akten, der Einblick in das Verbrecheralbum, die Verbindung mit den auswärtigen Behörden und vor allem das Recht zu irgendeiner Amtshandlung fehlen.«
Herr Holgerman gab sich zufrieden und fuhr nach Hause, in der geheimen Hoffnung, daß sich das Einschreiten der Polizei doch noch als überflüssig erweisen würde. Aber zu Hause fand er nur niedergeschlagene Menschen, die miteinander im Flüstertone wie in einem Totenhause sprachen. Unerquicklich gestaltete sich auch das Abendessen, bei dem sonst Herr Holgerman, aller Geschäftssorgen ledig, gutgelaunt zu sein pflegte. Diesmal flog kaum hie und da ein abgerissenes Wort über den reichbedeckten Tisch. Bob hatte zum erstenmal in seinem jungen Leben Kopfschmerzen. Mühsam würgte er ein paar Bissen hinab, alles quälte ihn; der sorgenvolle Blick, den seine Mutter von Zeit zu Zeit auf ihn warf, die beschwichtigenden Äußerungen, die der Vater ersichtlich gegen seine Überzeugung tat, alles empfand der Knabe als Anreiz, laut hinaus zu weinen, und je krampfhafter er sich bemühte, die Tränen zurückzudrängen, um so stärker wurde der Schmerz in den Schläfen. Wie eine Erlösung empfand er es, als seine Mutter unmittelbar nach Tisch ihn an sich zog und ihm liebkosend sagte:
»Bobbie, du bist ganz blaß vor Müdigkeit und Sorge; am besten, du gehst gleich schlafen. Wer weiß, vielleicht ist morgen alles