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erteilen, oder gar ein Ersuchen an andere Gerichte um Ausführung der Vollstreckung erlassen mußte, – dazu die Kommunikation zwischen Gericht und Exekutor verweitläufigten die Prozedur ungemein. Bei der eigentlichen Ausführung der Vollstreckung war gleichwohl die Leitung des Gerichts kaum bemerklich, die Selbständigkeit der Vollstreckungsbeamten dagegen trotz der Leitung eine große“[66].

      6.50

      Die Grundkonzeption des Gesetzgebers, die sich mit der Dezentralisierung verbindet, ist angesichts schlechter historischer Erfahrungen mit einem zentralen System klar: Der Gläubiger disponiert über die Vollstreckung, und man soll ihm möglichst rasch den Weg zu den Organen an vorderster Front freigeben. Die Zuständigkeiten sind nach traditionellen Tätigkeitsmerkmalen spezialisiert: der Gerichtsvollzieher als Organ körperlichen Zugriffs; das Gericht – heute überwiegend repräsentiert durch den Rechtspfleger – als Organ rechtlichen Zugriffs; das Prozessgericht als Organ einer Vollstreckung, die Fallbeurteilung voraussetzt; das Grundbuchamt als Organ grundbuchbezogener Vollstreckung.

      6.51

      Der deutsche Gesetzgeber hat sich seinerzeit am französischen Reformvorbild orientiert (Rn. 3.20). Viele Rechtsordnungen kennen zwar eine umfassende Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts bzw. Prozessgerichts für Vollstreckungsanträge oder Vollstreckungssachen (z.B. Österreich, Italien, England, Frankreich nach der Reform), belassen aber dem Gläubiger doch die Disposition über die Vollstreckungsmaßnahme (Rn. 59.1 ff.); eine echte zentrale Vollstreckungsleitung durch Betreibungs- und Konkursämter kennt vor allem die Schweiz. Obwohl in der deutschen Reformdiskussion der Gedanke an zentrale Vollstreckungsleitung immer wieder aufflackert (Rn. 4.8, 4.10)[67], sollte man an dezentraler Gestaltung festhalten.

      6.52

      Die zentrale Vollstreckungsleitung ist gläubigerunfreundlich, soweit sie den freien Vollstreckungszugriff des Gläubigers reglementiert. Dass bei dezentraler Gestaltung „die linke Hand nicht weiß, was die rechte Hand tut“[68], ist übertrieben: es sind eben nicht Vollstreckungsorgane, die koordinieren, sondern es ist dies der Gläubiger; und es ist der Schuldner, der sich gegen Vielfachvollstreckung und Missbrauch des Zugriffs durch den Gläubiger wehren muss. Wer glaubt, die Rechte der Parteien seien nicht durch Behörden, sondern durch sie selbst am besten gewahrt, wird einer Zentralisierung zur Koordination widersprechen; natürlich prallen insoweit mehr liberal oder mehr versorgungsstaatlich orientierte Grundvorstellungen aufeinander. Wo die Rechtswahrnehmung durch die Parteien versagt, reicht Hilfestellung der Vollstreckungsorgane in Form der Aufklärung (§ 139) aus, die verhindert, dass Parteiverantwortlichkeit und Dezentralisierung zur Falle für die Parteien werden (s. schon Rn. 6.12).

      Schrifttum:

      Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 236 ff., 252 ff.; Gaul, Zur Struktur der Zwangsvollstreckung, Rpfleger 1971, 90; Stürner ZZP 99 (1986), 315; Rosenberg/Gaul/Schilken § 5 IV m.Nw.; Münch, Vollstreckbare Urkunde und prozessualer Anspruch, 1989, S. 183 ff.

      6.53

      Der Grundsatz der Formalisierung folgt aus der Zweiteilung in Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren und ist das Ergebnis der Spezialisierung zwischen erkennendem Gericht und Vollstreckungsorganen. Er besagt, dass den Vollstreckungsorganen die Würdigung der Rechtmäßigkeit des Titels verwehrt ist, der Gläubiger bei Vorliegen der formalen Voraussetzungen (§§ 704 ff., 724 ff., 750) ein subjektiv-öffentliches Recht auf Vollstreckung hat (Rn. 5.8 ff.) und der Schuldner auf § 767 verwiesen ist, um das Erkenntnisverfahren erstmals oder neu zu eröffnen. Die Entscheidung der Vollstreckungsorgane über die Vollstreckung steht unter strengster Gesetzmäßigkeit ohne Handlungsermessen (Rn. 2.6). Auch die Prüfung der Rechte Dritter ist formalisiert (§§ 808 Abs. 1, 828, 829 ZPO; 17, 28 ZVG), der Dritte muss ein Erkenntnisverfahren einleiten (§ 771). Dieser Grundsatz ist im Ausgangspunkt kaum umstritten[69].

      6.54

      Vom Formalisierungsgrundsatz gibt es einige echte oder vermeintliche Ausnahmen; wie jeder Rechtsgrundsatz ist er nicht in voller Strenge und Reinheit durchführbar.

      6.55

      Häufig hat das Vollstreckungsorgan wertende Überlegungen anzustellen, weil es sich mit konkretisierungsbedürftigen Rechtsbegriffen auseinandersetzen muss. Hier unterliegt es jedoch der vollen Rechtskontrolle auf Erinnerung (§ 766), es besteht kein eigener Beurteilungs- oder Entscheidungsspielraum[70].

      6.56

      Bei der Durchführung des Vollstreckungsauftrages können Vollstreckungsorgane Handlungsermessen haben, z.B. der Gerichtsvollzieher bei der Auswahl des Pfandobjekts aus mehreren gleichartigen Sachen oder bei der Auswahl des Spediteurs bei der Zwangsräumung[71] oder der Art einer Wohnungsdurchsuchung[72].

      Dieses Handlungsermessen wird sich aber regelmäßig nur auf das „Wie“ erstrecken, nicht auf das „Ob“ des Tätigwerdens, wobei beides schwer abgrenzbar ist: liegt z.B. die Anzahl der Vollstreckungsversuche beim anwesenden Schuldner im Ermessen des Gerichtsvollziehers[73]? Das „Ob“ der Vollstreckung muss letztlich vom Gläubigerantrag abhängen. Die Ermessenskontrolle auf Gläubigerantrag (§ 766) folgt dabei anderen Kriterien als die Kontrolle im Rahmen der Dienstaufsicht über Gerichtsvollzieher (Rn. 8.2). Zusätzlichen Ermessensspielraum hat der Gerichtsvollzieher dabei infolge der Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung erhalten, etwa hinsichtlich des Vollstreckungsaufschubs bei Zahlungsvereinbarungen (§ 802b Abs. 2).[74]

      6.57

      Vorsichtig sind Versuche zu beurteilen, die Bindung der Vollstreckungsorgane an formelle Vollstreckungsvoraussetzungen mithilfe des Missbrauchsgedankens, der Arglisteinrede oder der Berufung auf Treu und Glauben zu unterlaufen.

      Die Vollstreckungsorgane können den Gläubiger zwar über fehlende Erfolgsaussichten einer Vollstreckung aufklären (§ 139)[76], die Vollstreckung darf aber entgegen dem Antrag nur verweigert werden, wenn ihre Zwecklosigkeit endgültig feststeht[77]. Bei Bagatellforderungen liegt der Missbrauch der Vollstreckungsorgane nicht beim Gläubiger, sondern beim Schuldner, der trotz eines Titels nicht zahlt[78]. Einschränkungen von Vollstreckungsmaßnahmen bei Vollstreckung von Bagatellforderungen (§§ 755 Abs. 2 S. 4 a.F.; 802l Abs. 1 S. 2 a.F.) sind daher kritisch zu sehen.[79] Nicht missbräuchlich ist auch die Vollstreckung wegen eines Teilbetrags, der in einem auffälligen Missverhältnis zur Gesamtforderung steht (z.B. 500 : 63 000)[80]. Selbst die wiederholte Teilvollstreckung ist zulässig, solange sie keine schikanöse Belästigung des Gerichtsvollziehers darstellt. Der Schuldner ist nämlich an die Beschränkung nicht gebunden (§ 754 Abs. 2)[81] und kann endgültige Ruhe schaffen. Grundsätzlich

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