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Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band. Hugo Friedländer
Читать онлайн.Название Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band
Год выпуска 0
isbn 9783754958339
Автор произведения Hugo Friedländer
Издательство Bookwire
Zeugin: Ja. Ich sagte ihr auch, sie solle gehen; sie antwortete: Weshalb denn? Es sei ja kein Anlaß dazu da. Einmal sagte ich zur Angeklagten: »Das war doch eine teuflische Rache.« Darauf erwiderte die Angeklagte: »Sie glauben wohl, ich bin es gewesen?« Im Garten sagte die Angeklagte einige Tage später zu mir: »Beten Sie nur recht tüchtig, daß die Geschichte gut ausgeht.« Sie bekommen etwas Schönes, wir gehen dann nach Altöttingen wallfahrten.
Ingenieur Lippmann, früher in München, später Lehrer an der Kgl. Maschinenbauanstalt in Köln, bekundete: Ich habe unter dem Eindruck der öffentlichen Meinung Mitleid mit der Wagner empfunden und sie in meinen Haushalt genommen, wo sie mit leichter Hausarbeit und der Beaufsichtigung meines damals zweijährigen Kindes beschäftigt wurde. Sie machte zunächst einen sehr bescheidenen Eindruck und bedankte sich herzlich. Statt aber am 16. den Dienst anzutreten, kamen ihre Sachen erst acht Tage später, und es hieß, sie selbst habe eine falsche Bahn benutzt. Endlich erschien sie am 27. und sagte, sie hätte an einem Magenübel gelitten, während Justizrat Feust mir geschrieben hatte, sie sei vor Freude krank. Schon am Tage, nachdem sie eintrat, wurde das Fehlen von Lebensmitteln bemerkt, obwohl sie erklärt hatte, sie dürfe gar nichts essen. Eines Tages kam sie vom Dr. Decker zurück und erklärte, sie dürfe jetzt wieder alles essen, solle viel Bier trinken und Saures essen. Dabei war sie sechs Stunden weggewesen und roch nach Schnaps. Als Entschuldigung gab sie an, der Doktor habe ihr etwas eingegeben, was so sauer gerochen habe. Auf der Straße habe sie sich übergeben müssen; da sei ein Schutzmann zu ihr herangetreten und habe gesagt: »Fräulein, führen Sie sich doch anständig auf!« Sie habe geantwortet: »Ich bin ja die Minna Wagner,« da habe der Schutzmann nichts weiter gesagt. Meine Frau telephonierte dann an den Doktor Decker und erfuhr, daß alles nicht wahr sei. An demselben Tage hatten wir eine Gesellschaft. Schon bei der Zubereitung der Speisen bemerkte meine Frau im Spinat und im Gelee Fingerspuren. Die Wagner wurde deshalb früh zu Bett geschickt, hatte aber vorher noch Streit mit der Köchin. Nach der Gesellschaft schloß ich alle Gashähne und untersuchte selbst noch einmal überall, ob das Gas auch wirklich abgedreht sei. Als ich schon halb im Schlaf lag, nach etwa einer halben Stunde, weckte mich meine Frau mit dem Bemerken, daß es stark nach Gas rieche. Als ich in die Küche trat, roch ich nicht nur das Gas, sondern hörte es auch ausströmen. Ich weckte die Köchin. Den Gasometerschlüssel mußte ich erst lange suchen, so daß ich den Eindruck hatte, als ob er versteckt sei. Am nächsten Morgen, als ich die Gashähne wieder öffnete, leuchtete, wie ich durch eine Glasscheibe sofort bemerkte, die Flamme im Zimmer der Wagner, die einen Selbstzünder hatte, hell auf. Meine Frau und ich beschlossen deshalb schon nach einer Woche und einem Tage, uns der Minna Wagner ohne Aufsehen zu entledigen.
Vors.: Wurden der Wagner nicht Vorhaltungen gemacht?
Zeuge: Von uns nicht, aber von der Köchin. Die Wagner entgegnete, dergleichen könne wohl auch von selbst vorkommen und sei auch im Krankenhause vorgekommen. Sie könne einen Eid leisten, daß sie nichts angerührt habe. Die Köchin, die schon jahrlang bei uns ist, ist außerordentlich zuverlässig. Vert.: Wie charakterisieren Sie die Wagner?
Zeuge: Ich hielt die Wagner für eine boshafte Närrin. Ich traute ihr nach meinen Erfahrungen durchaus zu, daß sie selbst die Salzsäure in den Kaffee getan hatte.
Der praktische Arzt Dr. Decker, München, bekundete als Zeuge: Er habe Minna Wagner nach der ersten Schwurgerichtsverhandlung 23 Monate lang behandelt. Das fortwährende Erbrechen habe schließlich in ihm den Verdacht erweckt, als ob die Wagner vor den anderen Kranken mit ihrer Krankheit paradieren wollte. Durch die Magenausspülungen sei mehrfach festgestellt worden, daß sie Speisen entgegen den ärztlichen Verordnungen genossen habe; trotzdem leugnete sie es. Am 31. Januar 1905 ist sie an einer Eiterung im Unterleib gestorben. Was meine Beobachtungen über den Charakter der Minna Wagner anbetrifft, so war mir von Anfang an ihr scheuer Blick, ihr hinterlistiges und tückisches Wesen durchaus unsympathisch. Aber ich war damals viel zu fest davon überzeugt, daß sie das unschuldige Opfer einer verbrecherischen Tat war, als daß ich diesem ersten äußeren Eindruck besonderen Wert beigelegt hätte. Erst die Kenntnis des wahren Charakters der Wagner zwang mich zu einer anderen Annahme. Im Krankenhaus gab sie in der ersten Zeit zu Klagen keinen Anlaß. Erst später lernte ich ihre große Lügenhaftigkeit kennen. Ich merkte, daß sie Alkoholikerin war, die Verordnungen nicht beachtete und es ihr darauf ankam, nicht gesund zu werden. Als sie mir die Geschichte erzählte, daß ein Schutzmann sie auf der Straße wegen ihres Brechens angehalten hätte, wandte ich mich an den Polizeipräsidenten und ließ durch ihn die gesamte Schutzmannschaft befragen – keinem Beamten war von einem solchen Vorfalle etwas bekannt. Mit dem Nachweis ihrer Lügenhaftigkeit tauchte in mir der Gedanke auf, ob sie nicht auch vor Gericht einen Meineid geleistet hätte. Als ich nun die Vorfälle bei Lippmann erfuhr, das Öffnen der Gashähne und die Petroleumaffäre, da war mir das letzte Glied der Beweiskette geschlossen, daß Minna Wagner eine ganz andere sei, als sie in der vorigen Verhandlung erschienen war. Deshalb habe ich am 19. Dezember 1904 unter Darstellung aller dieser Umstände dem Staatsanwalt persönlich den Antrag auf Einleitung des Wiederaufnahmeverfahrens unterbreitet.
Als nächster Zeuge erschien Pater Burckardt. Über das, was die Wagner ihm in der Beichte gesagt habe, verweigere er unter Berufung auf den Schutz des Beichtgeheimnisses die Aussage. Aber auch alles andere, was er mit der Verstorbenen, gesprochen habe, falle in den Rahmen des Vertrauens. Er sei nach einer Gerichtsentscheidung nicht gezwungen, darüber nähere Bekundungen zu machen.
Staatsanwalt und Verteidiger verzichteten hierauf auf die weitere Vernehmung des Zeugen.
Oberinspektor Georg Zapf (Pasing bei München): Er kenne die Angeklagte seit 40 Jahren. Sie sei stets gutmütig, wohltätig und opferwillig gewesen.
Eine weitere Zeugin war Dienstmädchen Maier: Sie sei Dienstmädchen im Maximilianstift gewesen: An dem vielen Verdruß, den es im Stift gegeben, haben die Stiftsdamen selbst Schuld gehabt. Die Stiftsdamen haben alle Bemühungen der Oberin mit Undank gelohnt.
Vors.: Wie kommt es, daß Sie das in der vorigen Verhandlung nicht gesagt haben?
Zeugin: Als ich bei dem Herrn Untersuchungsrichter vernommen wurde, sagte mir dieser: Sie können der Heusler als Zeugin doch nicht helfen, die ist so gut wie überführt. Ich habe deshalb nicht erst viel in der vorigen Verhandlung gesagt. (Große anhaltende Bewegung und Ausrufe des Erstaunens im Zuhörerraum.)
Im ferneren Verlauf der Verhandlung kam zur Sprache, daß das Maximilianstift »Drachenburg«, auch »Eulenburg« im Volksmunde hieß. Sodann bekundeten mehrere Zeugen, daß die Wagner viel getrunken habe; ein halbes Maß habe sie in ein bis zwei Zügen geleert. Auf Vorhaltungen, die ihr wegen des reichlichen Alkoholgenusses gemacht wurden, habe sie erwidert, sie könne alles vertragen, denn Dr. Decker habe ihr bei der Operation eine Schweinsschwarte in den Magen genäht. Ferner wurden einzelne Vorfälle erzählt, aus denen hervorging, daß die Wagner andere Leute ohne Grund ins Gerede brachte, es aber bestritt, wenn sie deswegen zur Rede gestellt wurde. Wegen ihrer Neugier und Klatschsucht gab man ihr in Schönau bei Berchtesgaden, wo sie nach dem ersten Prozeß in dem Hotel von Zeller beschäftigt war, die Beinamen »Spitzel« und »Hausreporter«.
Eine Zeugin, die kommissarisch vernommen worden war, hatte bekundet: Die Wagner habe ihr einmal erzählt, im Krankenhaus habe sie bemerkt, daß der Arzt mit einer Schwester nähere Beziehungen habe. Sie habe deshalb lauschen wollen, ob die beiden geschlechtlich miteinander verkehren. Sie habe den Kopf zwischen zwei Latten gesteckt, dann aber beim Lauschen den Kopf nicht mehr herausbekommen, so daß man ihr zu Hilfe kommen mußte.
Alsdann wurde erwähnt, daß die Wagner sich in einen Burschen, den »Loisl«, verliebt und versucht habe, ihn einem anderen Mädchen abspenstig zu machen.
Gerichtsdiener Ludwig Fetzer, Oheim der Minna Wagner, bekundete: Seine Nichte sei ein fleißiges, tüchtiges und ordentliches Mädchen gewesen. Es kamen zwar hie und da Klagen von einer Dienstherrschaft, aber das sei ja immer so bei jungen Mädchen. Dagegen habe er sich über seine Nichte geärgert, als sie zum Katholizismus übertrat.
Vors.: Sie sollen davon gar nichts gewußt haben.
Zeuge: Ich habe keine Silbe davon gewußt. Ich kam eines Tages ins Franz-Joseph-Stift; da sagte mir die Oberin: