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sein, Umweltschutz allgemein und damit auch Klimaschutz als zulässige Rechtfertigung zur Einschränkung des freien Warenverkehrs anzusehen. Man wird daher nach anderen Wegen zur Rechtfertigung von unilateralen nationalen Klimaschutzmaßnahmen suchen müssen.

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      Hier bietet sich die EuGH-Rechtsprechung zu den sogenannten zwingenden Erfordernissen an. Die Dassonville-Rechtsprechung des EuGH führte zu einer erheblichen Ausweitung des Anwendungsbereichs von Art. 34 AEUV, was angesichts der begrenzten und abschließenden Liste der in Art. 36 AEUV genannten Ausnahmegründe nach einem einschränkenden Korrektiv des extrem weiten Anwendungsbereichs der Warenverkehrsfreiheit verlangte.

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      Dieses Korrektiv schuf der EuGH in dem bekannten Cassis de Dijon-Urteil[265]. Hiernach sind bei Fehlen einer Regelung der Union Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung eines Erzeugnisses ergeben, hinzunehmen, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes.[266] Mit dieser Entscheidung schränkt der EuGH den Anwendungsbereich von Art. 34 AEUV insoweit ein, als nicht-diskriminierende staatliche Maßnahmen mit handelsbeschränkender Wirkung aufgrund zwingender Erfordernisse notwendig scheinen. Dogmatisch handelt es sich bei den „zwingenden Erfordernissen” im Sinne der Cassis de Dijon-Rechtsprechung um immanente Schranken von Art. 34 AEUV.

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      Für den hier interessierenden Klimaschutz ist von Bedeutung, dass der EuGH seit seinem Dänischen Pfandflaschen-Urteil in ständiger Rechtsprechung anerkennt, dass auch nationale Umweltschutzmaßnahmen ein „zwingendes Erfordernis” sind und somit Einschränkungen des Anwendungsbereichs von Art. 34 AEUV rechtfertigen können[267]. Damit können jedenfalls vom Ansatz her auch nationale Klimaschutzmaßnahmen wie z.B. die verpflichtende Ausweisung eines CO2-footprints eine zulässige Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit sein.

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      Generell gilt, dass solche unilateralen Klimaschutzmaßnahmen nicht willkürlich diskriminieren und keine verschleierte Handelsbeschränkung sein dürfen. Außerdem müssen sie verhältnismäßig sein.[268] Dies soll ausschließen, dass mit der nationalen Klimaschutzmaßnahme primär andere als die im EUV und AEUV und durch die Rechtsprechung anerkannte nicht-wirtschaftliche Gründe verfolgt werden und es in Wahrheit nur um den Schutz der nationalen Industrie geht. Ob dies der Fall ist, lässt sich im Rahmen einer sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsprüfung feststellen.

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      Ausgangspunkt dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung ist, dass es in Abwesenheit einer unionsrechtlichen Regelung zum Klimaschutz den Mitgliedstaaten freisteht zu entscheiden, ob und auf welchem Niveau sie klimaschützende Maßnahmen ergreifen wollen.

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      Notwendig ist allerdings, dass die ergriffenen Maßnahmen zur Erreichung des Klimaschutzes überhaupt geeignet sind.[269] Hier stellt sich die Frage, ob angesichts der Tatsache, dass Deutschland nur für 2 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist und angesichts der weiteren Tatsache, dass sich zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen nur auf einen Bruchteil dieser 2 % beziehen, hier überhaupt noch von einem relevanten Einflussnahme auf das weltweite Klima gesprochen werden kann. Richtigerweise wird man dies aber bejahen können, denn jede Tonne CO2 weniger ist gut für das Klima, wenn wohl auch kaum messbar. Man wird die Frage dann aber auf den nächsten Stufen „Erforderlichkeit“ und „Verhältnismäßigkeit“ genauer prüfen müssen.

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      Eine unilaterale Klimaschutzmaßnahme ist dann erforderlich, wenn sie das den freien Warenverkehr am wenigsten behindernde Mittel ist.[270] Bei dieser Beurteilung kommt auch den in Art. 191 AEUV anerkannten Zielen und Grundsätzen der Umweltpolitik der Union eine Bedeutung zu, insbesondere dem Ziel eines hohen Schutzniveaus sowie den Grundsätzen der Vorbeugung, der Vorsorge und des Verursacherprinzips.

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      Schließlich muss eine unilaterale Klimaschutzmaßnahme angemessen sein (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne), das heißt, der mit dieser Maßnahme erreichte Gewinn an Klimaschutz darf nicht außer Verhältnis zu der hierdurch verursachten Handelsbeschränkung stehen.[271] Dies erfordert eine Güter- und Interessenabwägung zwischen Klimaschutzbelangen einerseits und dem freien Warenverkehr andererseits. Wegen der besonderen Bedeutung des Umweltschutzes im Unionsrecht, insbesondere mit Blick auf die Querschnittsklausel des Art. 11 AEUV, ließe sich argumentieren, dass dem Klimaschutz allgemein ein höheres Gewicht als der Warenverkehrsfreiheit einzuräumen ist.

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      Letztlich kann diese Frage jedoch nur in konkreten Fallkonstellationen anhand der jeweils relevanten Wertungen des nationalen oder europäischen Gesetzgebers beantwortet werden. Bei der bereits oben erwähnten Problematik des kaum messbaren Beitrags einer unilateralen deutschen Klimaschutzmaßnahme wird man je stärker die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigt wird, in einer Gesamtabwägung eher zum Schluss der Unzulässigkeit der Maßnahme kommen. Andererseits ließe sich aber auch argumentieren, dass zwar der Einfluss allein einer deutschen Maßnahme kaum messbar sein mag, es aber weltweit zahlreiche Regionen und Staaten gibt, die unilateral ambitionierter sind als die politischen Ebenen darüber. Man denke nur an Kalifornien, welches trotz der Leugnung des menschengemachten Klimawandels durch Trump weiterhin eine ambitionierte Klimaschutzpolitik auf Staatenebene betrieb. Und viele solcher Alleingänge weltweit zusammen könnten dann doch einen messbaren Einfluss auf die Klimaerwärmung haben.

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      Eine weitere zu überwindende Hürde ist die Tatsache, dass Deutschland bei nationalen unilateralen Klimaschutzmaßnahmen nicht – wie z.B. bei Maßnahmen zur Luftreinhaltung – seine eigene Umwelt schützt sondern mit der Erdatmosphäre ein Gut, welches Deutschland als „global common“ gar nicht zugeordnet ist. Es stellt sich also die Frage, ob die Berufung auf das zwingende Erfordernis Klimaschutz wegen seines mangelnden Bezug zum deutschen Hoheitsgebiet überhaupt zu Einschränkungen der Warenverkehrsfreiheit taugt.

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      Diese Frage wird bis heute diskutiert.[272] Betrachtet man sich die Rechtsprechung des EuGH, dürfte überwiegendes für die prinzipielle Zulässigkeit solcher unilateralen Maßnahmen sprechen. So hat z.B. der EuGH im Bereich des Abfallrechts angedeutet, dass solche „extraterritorialen” Maßnahmen mit dem AEUV vereinbar sein könnten.[273] Auch die Tatsache, dass der EuGH Einschränkungen des Warenverkehrs zum Schutz der Ozonschicht zuließ, spricht dafür.[274] Ebenfalls hierfür spricht, dass die Bewältigung globaler Umweltprobleme und auch die Klimaschutzpolitik explizit zu den Zielen der Umweltschutzpolitik der Union zählt.[275] Schließlich spricht auch der Ansatz des Pariser Abkommens und der Klimarahmenkonvention dafür, wo stets die Notwendigkeit internationalen Handelns betont wird.

IV. Unilaterale Klimaschutzmaßnahmen bei Vorliegen von Sekundärrechtsakten

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      Anders ist die Situation in Bereichen, in denen die

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