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die Differenzen betonten. Die nationalistischen Bewegungen[47] spielten ebenfalls eine wichtige Rolle. Dieser Kontext beeinflusste die Sicht auf das fremde Rechtssystem in Frankreich und England im Allgemeinen und die Konzeptionalisierung des jeweiligen Verwaltungsrechtssystems im Besonderen.

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      Zweitens waren beide Länder über Steuern finanzierte „Militärstaaten“: Sie hatten große Armeen zu führen, zu unterhalten und zu bezahlen und beanspruchten daher eine große Geldsumme von ihren Steuerzahlern. Interessanterweise ist festzustellen, dass Verteidigung und Finanzwesen gewöhnlich nicht zu den Bestandteilen des üblichen Bildes gehören, welches Verwaltungshistoriker zeichnen. Könnte sich das vorherrschende Verständnis ändern, wenn diese Aspekte miteinbezogen würden?

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      Nach allem ist das vorherrschende historische Narrativ insofern nicht korrekt, als es der Zentralisierung die Selbstverwaltung und dem Verwaltungsrecht die rule of law gegenüberstellt. Das Narrativ ist das Ergebnis einer gemeinsamen Vorstellung von Unterschieden oder Gegensätzen, die durch die parallel verlaufenden Geschichten Frankreichs und Englands im 19. Jahrhundert und die Entwicklung nationalistischer Bewegungen im 20. Jahrhundert produziert wurde.

      Einführung§ 41 Die Entfaltung des Verwaltungsstaates in Europa › V. Die Nachzügler

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      Der Bericht über die wichtigsten Verwaltungssysteme Europas wäre ohne Berücksichtigung Deutschlands und Italiens nicht vollständig. Diese beiden Länder teilen die charakteristische Besonderheit, dass sie erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebildet wurden. Sie gehören damit zur zweiten Generation westlicher Verwaltungssysteme, die auf die erste Generation der zur Zeit der Renaissance entstanden Verwaltungssysteme (in England, Frankreich und Spanien) folgte. Die Länder der zweiten Generation unterscheiden sich insofern, als Preußen, treibende Kraft der deutschen Vereinigung, sowohl über eine ausgeprägte Bürokratie als auch über eine eigene etablierte Verwaltungskultur verfügte, wohingegen Piemont, treibende Kraft der italienischen Vereinigung, eine schwache Verwaltungsstruktur hatte und dem französisch-napoleonischen Modell folgte.

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      Erstens wurde das Konzept des droit administratif als eines besonderen Rechtskorpus, der sich vom Privatrecht unterscheidet, nicht sofort in das italienische Verwaltungsrechtssystem übernommen. Zumindest in den ersten zwanzig Jahren nach der politisch-administrativen Vereinigung Italiens war das Privatrecht, insbesondere die Regelung durch Verträge, vorherrschend, während öffentlich-rechtliche Elemente fragmentarisch und von sekundärer Bedeutung blieben. Darüber hinaus verfügte die öffentliche Verwaltung nicht über eine generelle Vollstreckungsgewalt, wohingegen den ordentlichen Richtern ein weiter Entscheidungsspielraum zugebilligt wurde, soweit sie Streitigkeiten zu beurteilen hatten, in die der Staat einbezogen war. Zwei Jahrzehnte nach der Vereinigung (und mit besonderer Intensität gegen Ende des Jahrhunderts hin) vollzog sich jedoch ein Wandel: Die Entscheidungen des Staates wurden nunmehr als imperativ und von höherem Gewicht angesehen als diejenigen privater Individuen. Damit war die Grundlage gelegt für die Entwicklung des Verwaltungsrechts als eines eigenständigen Rechtsgebietes.

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