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      Der Austausch

      Miranya wusste nicht, wie viele Tage sie sich bereits in der Gefangenschaft Scruuls und seiner Mitverschwörer befand. Es waren nicht allzu viele, vielleicht drei oder vier, aber genau wusste sie es nicht, denn in dem dunklen, fensterlosen Raum hatte sie jedes Gefühl für die Zeit verloren. Die meiste Zeit hatte sie geschlafen, zumal ihr nicht viele andere Möglichkeiten geblieben waren, sich zu beschäftigen. Wenn sie wach war, hatte sie dumpf vor sich hin gegrübelt und versucht, Fluchtpläne zu schmieden. Einige hätten sogar durchaus Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn sie beispielsweise Scruul durch einen Hexenzauber (den sie nicht beherrschte) unter ihren Willen hätte zwingen können, oder wenn sie einen Schlafzauber über alle ihre Entführer hätte werfen können, oder sonst irgendwelche Dinge hätte tun können, die außerhalb ihrer Fähigkeiten lagen.

      Ansonsten jedoch waren ihre sämtlichen Fluchtpläne undurchführbar, und dass sie sie überhaupt so lange wieder und wieder im Kopf durchspielte, war nicht mehr als ein Versuch, sich gedanklich zu beschäftigen, da sie sonst nichts tun konnte. Zurzeit war sie ihren Entführern hilflos ausgeliefert.

      Immerhin hatte man ihr einige Stunden nach ihrem ersten Erwachen die Handfesseln abgenommen, als man ihr etwas zu Essen brachte, und darauf verzichtet, sie ihr anschließend wieder anzulegen. Ihre Füße blieben jedoch gefesselt, außerdem war sie durch eine stählerne Manschette um das linke Fußgelenk und eine Kette, die zu kurz war, als dass sie auch nur von ihrer Pritsche hätte aufstehen können, an die Wand gekettet. Das Schloss der Manschette war einfach aber stabil; ohne irgendwelche Hilfsmittel konnte sie es unmöglich öffnen.

      Außer Scruul bekam sie niemanden von ihren Entführern zu sehen. Der Magier jedoch suchte sie noch mehrfach auf und versuchte, sie in eine weitere Diskussion zu verwickeln, doch Miranya ließ sich schließlich erst gar nicht mehr darauf ein. Sie hatte erkannt, dass sie im Kampf der Worte gegen ihn keine Chance hatte, weil es ihm meisterhaft gelang, mit seiner Mischung aus Tatsachen, Thesen und subjektiven Schlussfolgerungen immer wieder Zweifel in ihrem Herzen zu säen. Er wirkte ernsthaft enttäuscht, dass es ihm nicht gelang, sie auf seine Seite zu ziehen, doch Miranya war fest entschlossen, sich nicht von seinem Netz aus Halbwahrheiten und Verdrehungen einwickeln zu lassen. Auch wenn seine Besuche die einzige Abwechslung von der Langeweile ihrer Gefangenschaft darstellten, verzichtete sie lieber von vornherein darauf, sich noch einmal mit ihm zu unterhalten.

      Auch ihr gefiel die bisherige Entwicklung der Menschheit nicht, aber das war in ihren Augen noch kein Grund, sich zu ihrem Herrscher aufschwingen und ihr auf diese Art den Frieden der Sklaverei bringen zu wollen. Und mochte Scruul auch noch so hehre Gründe anführen, dass er und die anderen Magier des Dunklen Bundes Kenran'Del, sein Wissen und seine Machtmittel nur bräuchten, um die Damonen erfolgreich zurückzuschlagen, so wusste sie doch, dass die Caer-Sharuun alles in erster Linie benutzen würden, um ihre eigennützigen Interessen durchzusetzen und jeden Widerstand dagegen gewaltsam zu brechen. Daran würde sie sich niemals beteiligen, und nach einiger Zeit schien Scruul auch einzusehen, dass es ihm nicht gelingen würde, ihre Ansichten zu ändern, denn er gab seine diesbezüglichen Versuche schließlich auf.

      Dabei hatte sie ein paarmal bereits darüber nachgedacht, wenigstens zum Schein auf sein Angebot einzugehen, um ihr Leben zu retten. Allerdings hatte Scruul ihre Hoffnung, sich auf diese Art zu retten, rasch zunichte gemacht. Wer sich einmal dem Weg des Dunklen Bundes verschrieben hätte, für den gäbe es keine Rückkehr hatte er behauptet. Obwohl er keine nähere Erklärung dafür geliefert hatte und die Caer-Sharuun als Meister von Lüge und Betrug bekannt war, hatte Miranya ihm dies auf Anhieb geglaubt. Sie hatte von Anfang an die ihn durchdringende Finsternis gespürt, und sie war nun sicher, dass diese etwas mit seiner Entscheidung für den Dunklen Bund zu tun hatte.

      Bislang hatte sie Magie stets als neutral betrachtet, weder als gut, noch als böse, sondern allein abhängig davon, wozu man sie einsetzte. Es schien jedoch durchaus auch eine finstere Seite der Magie zu geben, derer sich Scruul bediente, die Miranya aber mit abgrundtiefem Schrecken erfüllte. Ehe sie so wie Scruul wurde, würde sie lieber sterben. Das hatte sie ihm deutlich ins Gesicht geschleudert, und seither hatte er auf weitere Versuche verzichtet, sie zur Zusammenarbeit zu überreden.

      Immerhin brachte er ihr regelmäßig zu Essen und zu Trinken. Meist gab es nur Brot und Wasser, manchmal aber auch eine Suppe oder etwas Wein.

      Zu ihrer eigenen Verwunderung verspürte Miranya kaum Furcht. Sie zweifelte nicht daran, dass Scruul seine Drohung, sie zu töten, wahr machen würde, doch der Gedanke an ihren eigenen Tod war noch nicht einmal richtig bis in ihr Bewusstsein vorgedrungen. Irgendwie war die Vorstellung viel zu abstrakt für sie, um sie wirklich zu ängstigen. Alles kam ihr seltsam unwirklich vor und schien an ihr vorbeizulaufen, als wäre sie in einem Traum gefangen, in dem sie gleichzeitig die Hauptrolle und die eines unbeteiligten Zuschauers spielte. Vielleicht war es einfach ein Schutzmechanismus ihres Verstandes, auf diese Art die Augen vor der Wahrheit zu verschließen, doch wenn, dann funktionierte er hervorragend.

      "Maziroc ist in Therion eingetroffen", berichtete Scruul ihr schließlich bei einem seiner Kontrollbesuche. "Es ist ihm gelungen, Kenran'Del aus seinem magischen Schlaf zu erwecken, denn der befindet sich bei ihm, und wie ich es erwartet habe, ist er bereit, sich uns im Austausch gegen dich zu stellen."

      "Und was hättet ihr gemacht, wenn mein Schicksal ihm egal gewesen wäre?", erkundigte sich Miranya. "Immerhin kennt er mich ja nicht einmal."

      Lachend schüttelte der Magier den Kopf.

      "Diese Möglichkeit habe ich nicht einmal ernsthaft in Betracht gezogen. Das ist das Problem mit Helden oder Menschen, die sich zumindest dazu berufen fühlen. Sie handeln immer und in jeder Situation so albern heldenhaft, was ihr Verhalten leicht berechenbar macht." Er wurde wieder ernst. "Damit er und Maziroc erst gar keine Gelegenheit bekommen, irgendwelche Vorbereitungen zu treffen, um uns zu hintergehen, werden wir den Austausch schon direkt heute Abend durchführen. Ich denke, du weißt, was das für dich bedeutet."

      "Allerdings." Miranya musste schlucken, weil sie plötzlich einen Frosch im Hals verspürte.

      "Wir werden dich töten, sobald sich Kenran'Del in unserer Hand befindet, aber das muss nicht sein. Noch ist es nicht zu spät, dich anders zu entscheiden und dein Leben zu retten. Wechsle nur auf unsere Seite, dann wird dir nichts geschehen."

      "Lieber sterbe ich", wiederholte sie, was sie ihm schon bei einem der letzten Gespräche gesagt hatte. Diesmal allerdings fiel es ihr deutlich schwerer. Ihre Ermordung war nicht länger ein zu einer ungewissen Zeit bevorstehendes Ereignis irgendwann in der Zukunft. Es war näher gerückt, hatte einen genaueren Zeitpunkt, und allmählich spürte Miranya nun doch, wie sich Angst in ihre Gedanken schlich und von ihr Besitz ergriff.

      "Wie du willst, ich wollte es dir nur noch einmal anbieten." Scheinbar gleichgültig zuckte Scruul mit den Schultern. Er schien einzusehen, dass er sie nicht umstimmen konnte, denn ohne einen weiteren entsprechenden Versuch zu unternehmen, verließ er den Raum.

      Miranya blieb allein zurück. Schon in den vorangegangenen Tagen war ihr langweilig gewesen, doch es hatte nichts gegeben, worauf sie warten konnte, abgesehen von dem ungewissen Zeitpunkt, an dem Maziroc und Kenran'Del nach Therion kommen würde. Nun jedoch war das anders. An diesem Abend sollte der Austausch stattfinden, und dabei würde sie sterben, wenn kein Wunder geschah. Vermutlich waren dies die letzten Stunden ihres Lebens, und sie sollte versuchen, jede einzelne Minute zu genießen, doch das genaue Gegenteil war der Fall. Die Zeit schien noch langsamer als zuvor zu verstreichen. Miranya fühlte eine kaum bezwingbare innere Unruhe und Ungeduld; sie konnte kaum erwarten, dass es Abend wurde, obwohl sie dann sterben würde. Wenigstens hätte sie dann alles hinter sich, und das war besser, als dieses tatenlose Abwarten, Grübeln und sich fürchten.

      "Verdammt!", stieß sie hervor. Sie war eine Vingala, auch wenn ihre Weihe erst ein knappes Jahr zurücklag, und auch wenn sie nicht gedacht hätte, dass ihr Leben so frühzeitig und unter solchen Bedingungen enden würde, so wollte sie ihrem Orden doch keine

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