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werden, Art. 5 Abs. 3 EUV,

      „sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind“.

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      Hierbei überträgt Art. 69 AEUV den mitgliedstaatlichen Parlamenten die Aufgabe, bei Gesetzgebungsvorschlägen für den RFSR „für die Achtung des Subsidiaritätsprinzips nach Maßgabe des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität“ Sorge zu tragen.41 Die mitgliedstaatlichen Parlamente machen von der Möglichkeit der sog. Subsidiaritätsrüge nicht selten Gebrauch.42

      Ein Beispiel für eine vom Deutschen Bundesrat erhobene Subsidiaritätsrüge ist diejenige gegen die DSRL-JI,43 die wegen der weitreichenden Bedeutung für die polizeiliche Datenverarbeitung hier Erwähnung findet:

      Der Bundesrat berief sich u. a. mit folgender Begründung auf die Nichtbeachtung des Prinzips der Subsidiarität: „Soweit der Richtlinienvorschlag auch die rein innerstaatliche polizeiliche Datenverarbeitung in den Anwendungsbereich einbezieht, lehnt der Bundesrat den Vorschlag ab, da er von den vertraglichen Grundlagen nicht gedeckt ist. Der Kompetenzrahmen des Artikels 16 Absatz 2 AEUV wird im polizeilichen Bereich durch Artikel 87 AEUV konkretisiert. Danach ist nur die Zusammenarbeit zwischen den mitgliedstaatlichen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden erfasst. Artikel 87 Absatz 1 AEUV vermittelt insofern keine Kompetenz zur Regelung von Sachverhalten, die ausschließlich die Tätigkeit dieser Behörden innerhalb eines Mitgliedstaats und damit keine Form der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten betreffen.“44

      Neben dem Bundesrat hatten noch der schwedische Reichstag, das belgische Repräsentantenhaus, das italienische Abgeordnetenhaus sowie der französische Senat von der Befugnis zur Erhebung der Subsidiaritätsrüge Gebrauch gemacht. Das für eine Überprüfung gem. Art. 7 Abs. 2 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit45 erforderliche Quorum wurde aber nicht erreicht.

       e) Prinzip der gegenseitigen Anerkennung

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      Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die gegenseitige Anerkennung zur rechtlichen Grundlage für die gesamte justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, Art. 82 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 AEUV. Als Konsequenz daraus, dass das Straf- und Strafverfahrensrecht in den EU-Mitgliedstaaten weiterhin sehr unterschiedlich konzipiert ist, steht der Grundsatz gegenseitiger Anerkennung justizieller Entscheidungen im Mittelpunkt der EU-Strategie. Danach muss eine in einem Mitgliedstaat rechtmäßig ergangene justizielle Entscheidung in jedem anderen Mitgliedstaat als solche anerkannt werden.46 Die unionsweite Anerkennung nationaler gerichtlicher Entscheidungen soll die im Bereich der Rechtshilfe traditionell bestehenden, zeitaufwändigen Hindernisse abbauen und so eine effektive grenzüberschreitende Strafverfolgung ermöglichen.47

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      Dabei wird vorausgesetzt, dass „ein gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme besteht“.48 Auf dieser Annahme basieren insbesondere der Europäische Haftbefehl49 und die Europäische Ermittlungsanordnung (dazu A.II.1.i.).50

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      Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass die gegenseitige Anerkennung ohne weitreichende Angleichung der Strafrechtssysteme der Mitgliedstaaten und ohne Garantie unabdingbarer Verfahrensrechte für die Beschuldigten die Gefahr birgt, dass grundlegende Verteidigungsrechte verkürzt werden oder verloren gehen.51 Der Einzelne sei regelmäßig der „Leidtragende des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung“.52 Nur ausnahmsweise – etwa bei der Verwirklichung des „ne bis in idem“-Grundsatzes – wirke das Prinzip zugunsten des Beschuldigten.53

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      Dass das „gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme“ eine Fiktion ist und seit einiger Zeit in diesem Zusammenhang (teilweise) von einem wachsenden Misstrauen gesprochen werden kann, belegen Entscheidungen zahlreicher mitgliedstaatlicher Gerichte,54 sowie diejenigen des EuGH55 zum Europäischen Haftbefehl. Das Recht des Europäischen Haftbefehls wird daher derzeit als „Brennglas harter Integrationskonflikte innerhalb der EU“56 bezeichnet. So tendiert sowohl die aktuelle Rechtsprechung des EuGH57 als auch die des BVerfG58 und anderer nationaler Gerichte hier inzwischen zu einer „Abschwächung“ der gegenseitigen Anerkennung bei extremen Ausnahmefällen. Faktisch wird damit das gegenseitige Vertrauen durch einen „europäischen Ordre-public“ (EuGH)59 bzw. einen „nationalen Ordre-public“ (BVerfG) begrenzt (s. A.II.1.g.).

      Auch wenn Norwegen nur ein mit der EU assoziierter Staat ist, soll hier wegen der möglichen Vorbildwirkung das aufsehenerregende Urteil des norwegischen Verwaltungsgerichts vom 27. 02. 2020 Erwähnung finden, wonach sich Norwegen aus Protest gegen die umstrittenen rechtsstaatlichen Reformen in Polen aus einem mit Mitteln des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) finanzierten Justizprogramm zurückzieht. Die politische Kontrolle über die Gerichte in Polen sei so weit fortgeschritten, dass es sich nicht mehr rechtfertigen lasse, sich an solch einer Zusammenarbeit zu beteiligen.60

       f) Verfassungsfeste Integrationsschranke

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      Strafrecht und Polizeirecht gehören zum Wesenskern staatlicher Souveränität, denn Strafen und sicherheitsbehördliche Zwangsmaßnahmen betreffen das Grundverhältnis von Staat und Bürger.61 Beide Rechtsgebiete zählen daher im Kern zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland.62 „Die Wahrung eines gehaltvollen nationalen Grundrechtsschutzes“ stellt hier die „verfassungsänderungsfeste Integrationsschranke“ dar.63 Den EU-Mitgliedstaaten muss deshalb laut Urteil des BVerfG zum Vertrag von Lissabon:64

      „ein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse“ bleiben. „Dies gilt insbes. für Sachbereiche, die die Lebensumstände der Bürger, vor allem ihren von den Grundrechten geschützten privaten Raum der Eigenverantwortung und der persönlichen und sozialen Sicherheit prägen, sowie für solche politische Entscheidungen, die in bes. Weise auf kulturelle, historische und sprachliche Vorverständnisse angewiesen sind, und die sich im parteipolitisch und parlamentarisch organisierten Raum einer politischen Öffentlichkeit diskursiv entfalten. Zu wesentlichen Bereichen demokratischer Gestaltung gehören unter anderem die Staatsbürgerschaft, das zivile und militärische Gewaltmonopol, Einnahmen und Ausgaben einschl. der Kreditaufnahme sowie die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Eingriffstatbestände, vor allem bei intensiven Grundrechtseingriffen wie dem Freiheitsentzug in der Strafrechtspflege oder bei Unterbringungsmaßnahmen (…) .“

       g) Ordre-public-Vorbehalt

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      Im gesamten Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gilt der sog. Ordre-public-Vorbehalt, Art. 72 AEUV. Danach bleibt die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit unberührt.65 Art. 72 AEUV ist eine Vorgabe für die EU, ihre Kompetenzen nach Titel V dergestalt wahrzunehmen, dass die nationale Zuständigkeit für die Wahrung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der öffentlichen

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