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denn die östliche Domäne war unbesetzt. Beinahe zumindest. Anstelle der spirituellen Aura einer Druidin, die vor Energie nur so überschäumte und fortwährend energetisch knisterte, weilte dort das schummrige Abbild einer dösenden Wildkatze. Zusammengerollt und ihren Kopf im graubraunen Fell vergraben, nahm das Raubtier keinerlei Anteil an den Belangen der Frauen. Lediglich das vereinzelte Zucken ihres buschigen Schwanzes teilte den Druidinnen das Missfallen der Katze über die unfreiwillige Störung mit.

      „Urd!“, riss Verdanis Stimme sie aus ihren Gedanken. „Hörst du uns überhaupt zu? Was hältst du von dem Vorschlag?“

      „Welchem Vorschlag?“

      Die spirituelle Flamme loderte wütend auf. „Das wir als Zirkel – und Bewahrer des Gleichgewichts – eingreifen? So, wie wir es schon immer taten in Zeiten des Umbruchs … seit die Strahlen der Sonne und des Mondes das erste Mal das Antlitz der Welt berührten.“

      Urd blickte wieder zu dem geisterhaften Schemen zu ihrer Rechten. „Ich halte nichts von der Idee“, gestand sie und erklärte zögerlich: „Der Zirkel ist noch immer zerbrochen.“

      „Woran du schuld bist“, bemerkte Verdani bissig. „Hättest du nicht auf diese verdammte Albin vertraut …“

      „Sie hatte mehr Potential als wir alle drei zusammen!“ Urds Stimme hallte mit einem drohenden Echo durch die Ewigkeit. Sie deutete auf die dösende Katze. „Schau dir ihre Kraft genau an. Sie ist noch immer irgendwo dort draußen.“ Die schwarze Schwanzspitze der Katze zuckte erneut und leitete beklommenes Schweigen ein, welches sich nebelgleich über den Zirkel legte und Urd frösteln ließ. Lohnt es sich denn überhaupt?, überlegte sie. Immerhin haben uns die Bewohner der Fünf Provinzen schon längst vergessen. Einst waren wir wie Götter für sie. Lebende, nahbare Götter, die unter ihnen wandelnden und ihre Wünsche erhörten. Und dann? Dann breitete sich die Magie auch unter den ihnen aus und sie verstießen uns. Sie wurden ihre eigenen Götter! Urd erinnerte sich mit gekräuselten Lippen gerade noch an die bitteren Ereignisse des letzten Umbruchs, als etwas in ihrem Augenwinkel ihre Aufmerksamkeit erregte. Der Lebensbaum.

      Obwohl die Druidin zunächst nicht erkennen konnte, was genau es war, spürte sie eine tiefgreifende Verunsicherung. Dann sah sie es ganz deutlich: Yggdrasil - durch die Natur selbst von aller Endlichkeit freigesprochen - begann sich gerade in diesem Moment zu verändern; sein volles Blattwerk verfärbte sich innerhalb weniger Herzschläge von einem satten Dunkelgrün in ein trotziges Gelborange. Und dann, noch bevor Urd ihrem Erstaunen Ausdruck verleihen konnte, rieselten die vormals kräftigen Blätter des Baums wie traurige Überreste seiner einstigen Unantastbarkeit leblos zu Boden. Nicht lange und Yggdrasil würde sein gesamtes Haupt entblößt haben.

      Unmöglich!, erschrak Urd und verlor über den Anblick ihre Konzentration. Das gelangweilte Gähnen der Wildkatze war das Letzte, was die Druidin sah, bevor sie schmerzhaft durch die astrale Barriere der Ewigkeit brach und in ihre Hülle aus Fleisch und Blut zurück stürzte.

Erster Teil

      1

      Isolde schreckte ruckartig aus ihrem Traum auf und wusste nicht, ob sie tatsächlich geschrien oder nur davon geträumt hatte. Unter dem mürrischen Knarren ihres Bettes lehnte sie sich erschöpft an das Kopfende und fröstelte. Ihr durchgeschwitztes Nachthemd klebte nicht nur an ihrem feuchtkalten Rücken, sondern verband sich ebenso mit dem klammen Luftzug im Raum. Stöhnend rieb sie sich den Schlaf aus den Augen und hoffte mit dieser Geste auch die letzten Überreste des schrecklichen Albtraums aus ihrem Geist zu vertreiben: Jenem Schreckgespenst, dass sie nun schon seit knapp einem Monat regelmäßig heimsuchte. Wie ein unausweichliches Grauen lauerte es in der Dunkelheit und Isolde wusste nicht, wie sie ihm entrinnen sollte. Bei ihrem Sohn hatte sie beobachtet, dass dieser nach dem Erwachen aus einem Albtraum erleichtert aufatmete. Glücklich darüber, der Traumwelt endlich entkommen zu sein. Isolde konnte die kindliche Erleichterung nicht nachvollziehen.

      Angewidert starrte sie auf die Ratte, welche sich auf der gegenüberstehenden Kommode ausgiebig kratzte und dabei zahlreiche Haare verlor. Dabei störte das Nagetier selbst Isolde eher weniger - sogar die fehlenden Fellstücke und zerschlissenen Ohren ließen sie kalt. Solche Anblicke begleiteten sie schon ihr Leben lang in den Straßen Freistadts. Was sie wirklich störte, war die Tatsache, dass sich die Ratte in ihrer erbärmlichen Verfassung perfekt in das Erscheinungsbild ihres Schlafzimmers einzufügen schien. Sie gehörte einfach dazu. Isolde lächelte bitter.

      Ein weiterer glücklicher Einwohner Freistadts, der Stadt in den Fünf Provinzen, die Wohlstand und Aufstieg für alle versprach - vollkommen ungeachtet ihrer Herkunft oder Rasse. Sie war nie naiv genug gewesen, um an derartige Versprechen zu glauben. Sicherlich bot Freistadt gegenüber anderen Städten im Königreich vielerlei Vorzüge, doch galten diese meist nur für die Wohlhabenden.

      Der Windzug im Raum schwoll an und Isolde entschied sich aufzustehen. Unter neuerlicher Kommentierung des Bettes warf sie die löchrige Bettdecke beiseite und setzte sich an den Bettrand, wobei sie ihr Rückenschmerz gnadenlos an die fehlenden Latten im Bettrost erinnerte. Durch das erneute Knarren des Bettes hatte sich nun auch die Ratte zum Verlassen entschieden und verschwand mit kratzenden Geräuschen unter dem Kleiderschrank neben der Kommode.

      Isolde raffte sich auf und ging zum Nachttopf. Als sie ihr Nachthemd anhob und sich über den Topf kniete, fiel ihr auf, wie hungrig sie war. Wann sie das letzte Mal richtig gegessen hatte, wusste sie nicht - und eigentlich interessierte es sie auch nicht. Denn selbst wenn sie es gewusst hätte, wäre sie davon auch nicht satt geworden.

      Mühsam stand sie auf und schritt zu der ausgebleichten Holzkommode, auf der eben noch die Ratte gekauert hatte, und wischte beiläufig deren Hinterlassenschaften von der Oberfläche, bevor sie die Temperatur des Wassers in der Waschschüssel prüfte. Eigentlich hasste sie es, sich mit eiskalten Wasser zu waschen, doch wenn sie heute Nacht noch ein paar Reichsmark verdienen wollte, durfte sie nicht mehrere Schritt weit gegen den Wind stinken. Zwar waren die Freier in ihrer Nachbarschaft nicht allzu wählerisch, doch war Isolde auch nicht mehr die Jüngste.

      Während sie sich das Gesicht zu waschen begann, versuchte sie abzuschätzen, wie spät es war und spähte aus dem Augenwinkel zu den kleinen Löchern, die sich in der Wand an der Westseite ihres Schlafzimmers befanden. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages fielen hindurch und Isolde wusste, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte. Sie setzte die Wäsche mürrisch unterhalb ihrer Gürtellinie fort und nachdem sie zumindest die wichtigsten Körperstellen für die Sicherung ihres Lebensunterhaltes gewaschen hatte, stellte Isolde die Waschschüssel vorsichtig zur Seite. Das Wasser war freilich nicht mehr trinkbar, doch deswegen nicht weniger wertvoll in den Armenquartieren Freistadts.

      „Wenn ich es dir doch sage!“, rief Josef über den kleinen Holztisch dem jungen Matthias zu. „Du musst jede Nacht mindestens fünf Stunden schlafen, sonst wächst du nicht mehr. Und ich glaube nicht, dass du den Rest deines Lebens wie ein nichtsnutziger Zwerg verbringen willst, oder?“

      Isolde hatte die Küche betreten und betrachte Josef, der soeben mit ihrem Sohn diskutierte. Josef war nicht der Vater des Jungen, doch unterstütze er sie beide so gut er konnte.

      „Ich mag Zwerge“, entgegnete Matthias trotzig. „Die sind stark und machen den ganzen Tag, was sie wollen. Viele handeln sogar im Auftrag der Gilde und bereisen das gesamte Königreich.“

      „Und genau deshalb sind das ja auch alles Nichtsnutze, die niemand hier in Freistadt respektiert!“, entgegnet Josef und ließ nicht locker. „Oder hast du schon einmal jemanden getroffen, der dieses verlogene Pack gerne hat?“

      Isolde fand es immer wieder rührend, wie entschieden ihr Sohn und Josef stritten, wenn es darum ging, dass Matthias rechtzeitig zu Bett ging. Dabei wussten alle beide ganz genau, wie ihre Auseinandersetzung enden würde. Josef würde noch eine halbe Stunde lang versuchen, ihren Sohn unter fadenscheinigen Argumenten zum Schlafen zu überreden und Matthias würde energisch dagegenhalten. Matthias war eben noch ein Kind und voller Tatendrang. Für ihn war alles neu und interessant. Wie die Händler der Gilde wollte er die Welt außerhalb der Stadtmauern Freistadts selbst erleben und die

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