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      nomen

      Oskar Lafontaine

      Die Wut wächst

      Politik braucht Prinzipien

      nomen

      Copyright © Nomen Verlag, Frankfurt am Main 2017

      Alle Rechte vorbehalten

       www.nomen-verlag.de

      Copyright © 2002 by Econ Ullstein List Verlag GmbH & CO.

      KG, München

      © 2004 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

      Erschienen im Econ Verlag

      Umschlaggestaltung: Blazek Grafik, Frankfurt am Main

      ISBN 978-3-939816-38-6

      eISBN 978-3-939816-39-3

Inhalt

      Vorwort zur Neuauflage

      Der Titel des im Jahre 2002 geschriebenen Buches »Die Wut wächst – Politik braucht Prinzipien« war rückblickend nicht falsch gewählt. Die Wut auf die Politik ist in den zurückliegenden Jahren gewachsen. Die Menschen wollen sich nicht damit abfinden, dass viele Arbeitsplätze immer unsicherer geworden sind, dass Druck auf die Löhne ausgeübt und millionenfache Altersarmut programmiert wurde und dass die sozialen Leistungen immer weiter gekürzt werden. Die Folge: Immer mehr Menschen gehen nicht mehr zur Wahl und diejenigen, die von den etablierten Parteien enttäuscht sind und dennoch zur Wahl gehen, geben in zunehmendem Maße der AfD ihre Stimme. Auch die Unterzeile »Politik braucht Prinzipien« ist hochaktuell. Wenn man heute die Prinzipien aufzählen wollte, die der herrschenden Politik zu Grunde liegen, dann käme man zu allerletzt auf Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit oder Demokratie, sehr wohl aber auf internationale Wettbewerbsfähigkeit, Strukturreformen, Globalisierung oder humanitäre Intervention. Der Merkel zugeschriebene Begriff der marktkonformen Demokratie sagt im Grunde genommen alles. Wir leben in einer Zeit, in der die wirtschaftlichen Interessen die gesellschaftliche Entwicklung bestimmen und die Politik immer weiter zurückgedrängt wird. TTIP und CETA, die internationalen Konzernen eine eigene Gerichtsbarkeit zubilligen wollen, sind aktuelle Beispiele.

      Letztendlich führt eine Politik, die von wirtschaftlichen, sprich kapitalistischen Interessen geführt wird, zum Krieg. Der französische Sozialist Jean Jaurès, der den Ersten Weltkrieg verhindern wollte und deshalb von einem Fanatiker ermordet wurde, fasste das in der Formel zusammen: »Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen«. Von dieser Formel ausgehend habe ich 2002 vorausgesagt, dass die USA Krieg gegen den Irak führen würden und weiter geschrieben: »Die Waffenindustrie wird im Verein mit den Ölfirmen weitere Indianerkriege im Vorderen Orient verlangen.« Der Krieg gegen Libyen und die Destabilisierung Syriens sind ebenfalls Beispiele dafür, dass ein auf grenzenlose Expansion orientiertes Wirtschaftssystem zu Krieg und Zerstörung führt.

      Auch die Einkreisung Russlands folgt dieser imperialen Logik. Das riesige Land verfügt über viele Rohstoffe, ist ein beachtlicher Absatzmarkt und lädt die Konzerne geradezu zum Beute machen ein. Solange Boris Jelzin russischer Präsident war und den westlichen Wirtschaftsinteressen weit entgegen kam, war die kapitalistische Welt in Ordnung. Seit Wladimir Putin sich der Plünderung seines Landes widersetzt, ist er zum Hauptfeind der westlichen Hegemonialmacht geworden. Euphorisch schrieb ich vor 14 Jahren: »Michael Gorbatschow brach die Verkrustungen auf, die sich über viele Jahre durch den Kalten Krieg entwickelt hatten, und stieß für die kommunistische Staatenwelt das Tor zur Freiheit auf.« Wie kein anderer hat er dem Westen die Hand gereicht, um den Kalten Krieg zu überwinden. Heute sagt er über die NATO: »Sie sprechen nur über die Verteidigung, aber im Grunde treffen sie Vorbereitungen für Angriffshandlungen. … Von einem Kalten Krieg geht die NATO zu den Vorbereitungen für einen heißen Krieg über.«

      Der US-Außenpolitiker George F. Kennan nannte die NATO-Osterweiterung den größten Fehler der US-Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Warnungen Gorbatschows zeigen, dass dieses Urteil mehr als berechtigt war. Ein noch größerer Fehler war es aber, dass die europäischen Staaten diese US-Politik unterstützt haben. Der Frieden in Europa ist immer unsicherer geworden. Wir brauchen endlich eine eigenständige europäische Außenpolitik, die dem US-Imperialismus die Gefolgschaft verweigert. Ich schrieb: »Deutschland und Frankreich müssen das Heft in die Hand nehmen. Eine deutsch-französische Konföderation, der sich die Benelux-Staaten anschließen können, wäre der Beginn einer neuen Rolle Europas in der Weltpolitik. … Eine deutsch-französische Konföderation, die eine institutionalisierte gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik ebenso umfasst wie eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, kann Europa zu einem Partner werden lassen, der die Politik Amerikas ausgleicht und korrigiert.« Diese Überlegungen sind auch heute aktuell.

      Die in dem Buch gemachten Vorschläge zur Neuordnung des Weltfinanzsystems sind nach wie vor auf der Tagesordnung. Als ich als deutscher Finanzminister der Clinton-Regierung diese Überlegungen vortrug, sagte der damalige Finanzstaatssekretär Larry Summers: »Du glaubst doch nicht, dass wir das machen. Schließlich hat die Wall Street den Wahlkampf des Präsidenten finanziert.« Daran hat sich bis heute nichts geändert und wenn, was wahrscheinlich ist, Hillary Clinton die neue US-Präsidentin wird, dann werden Finanz-, Öl- und Waffenindustrie weiter die US-Politik bestimmen. Ich schrieb: »Die notwendige politische Antwort auf die globalen Fehlentwicklungen könnte ein amerikanischer Präsident geben, der es als seine Aufgabe betrachtet, die Hegemonie der USA durch die Einbindung seines Landes in die demokratische Entscheidungsfindung der Vereinten Nationen in den Dienst einer neuen Weltordnung zu stellen. …« Dafür müsste er sich von den Fesseln der US-Konzerne, allen voran der Finanzindustrie, befreien. Mit dem demokratischen Sozialisten Bernie Sanders bewarb sich ein Mann um die US-Präsidentschaft, der der Wall Street den Kampf angesagt hatte. Aber das US-Establishment verhinderte seine Nominierung und sieht in Hillary Clinton die Politikerin, die ihre Interessen weiter vertreten wird.

      Die vorgelegten Reformvorschläge zur deutschen Innenpolitik harren ihrer Realisierung. Zwar gibt es bescheidene Fortschritte wie den gesetzlichen Mindestlohn, aber der neoliberale Parteienblock, bestehend aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen, hält nach wie vor an der mit dem Namen Agenda 2010 verbundenen Politik fest und überträgt sie auf Gesamteuropa. Der europäische Fiskalpakt und die Dominanz von Merkel und Schäuble auf europäischer Ebene zeigen, dass Thomas Manns Traum von einem europäischen Deutschland nicht verwirklicht wurde. Wenn Europa nicht auseinanderfallen soll, muss die deutsche Politik eine andere Richtung einschlagen. Statt Gewinnmaximierung sollten Demokratie und Sozialstaat wieder die politische Agenda bestimmen.

      Seit längerem wird in Deutschland wieder über eine rot-rot-grüne Regierung gesprochen. Rot-rot-grün ist aber ein politisches Projekt für mehr Demokratie, soziale Gerechtigkeit, eine friedliche Außenpolitik und eine ökologische Erneuerung. Solange SPD und Grüne an der Agenda-Politik und dem damit verbundenen Sozialabbau und einer Außenpolitik mit Interventionskriegen, die der ehemalige Bundeskanzler Schröder im Falle des Jugoslawien-Krieges als Völkerrechtsbruch bezeichnet hat, festhalten, ist eine rot-rot-grüne Politik nicht möglich. Ein Zusammengehen von SPD, Linken und Grünen bei Fortsetzung der jetzigen Politik hätte nur ein Ergebnis: Die AfD würde immer stärker und der Linken drohte das Schicksal anderer europäischer Linksparteien, die ihre Grundüberzeugung auf dem Altar der Regierungsbeteiligung geopfert haben und mittlerweile bedeutungslos sind. Politik braucht Prinzipien.

      Saarbrücken, im Juli 2016

      Oskar Lafontaine

      Links und rechts – ohne Standpunkt geht es nicht

      Jede Zeit hat ihre Begriffe. In den letzten Jahren ist von neuer Unübersichtlichkeit und neuer Beliebigkeit die Rede. Hoch im Kurs steht auch das Wort Modernisierung. Aber die neue Unübersichtlichkeit entbindet uns nicht von der Pflicht einen Standpunkt zu beziehen und uns zu entscheiden. Die neue Beliebigkeit steht für Orientierungslosigkeit und Opportunismus. Ihre Protagonisten erwecken den Eindruck, alles mitzumachen, solange sie selbst gut dabei wegkommen. Und die Modernisierer sind eifrig dabei, den Sozialstaat zu demontieren, der den Zusammenhalt der demokratischen Gesellschaft garantiert. Sie wirken wie unfreiwillige Handlanger und Trottel des

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