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fälschlicherweise mit »Norah« angegeben. Daneben steht im Feld »Todesursache« nur lapidar »No Doctor«. Auf der Rückseite findet sich dann eine Mitteilung der damals zuständigen Beurkundungsbeamtin aus dem Leflore County, Cornelia J. Jordan, die Gayle Dean Wardlow in seiner Studie Chasin’ That Devil Music von 1998 zitiert:

      Ich sprach mit dem weißen Mann, auf dessen Land dieser Schwarze verstarb, und ich unterhielt mich dort auch mit einer schwarzen Frau. […] Der weiße Mann hat diesem Schwarzen keinen Arzt gerufen, weil er ja nicht für ihn gearbeitet hatte. Er wurde in einem selbstgezimmerten, vom County bezahlten Sarg begraben. Der Plantagenbesitzer erzählte, dass seiner Meinung nach dieser Schwarze an Syphilis gestorben sei.

      Dieser Bericht auf der Sterbeurkunde provozierte Widerspruch: Ein Arzt namens Dr. Walter Holladay vertrat die Meinung, Johnson hätte mit angeborener Syphilis durchaus im Alter von 27 Jahren sterben können. Die dreitägige Frist von seiner plötzlichen Erkrankung bis zu seinem Tod sei aber Ergebnis der »Kombination aus Gift, Moonshine-Whiskey und Leberschaden«, die eine Lungenentzündung bei ihm ausgelöst haben könnte, die 1938 wegen fehlender Antibiotika noch unheilbar war.

      Wer daran glaubt, dass Johnson an einer Vergiftung starb, versteht seinen Tod als Mord. Aber von wem wurde der und warum verübt? Honeyboy Edwards insistiert darauf, dass ein eifersüchtiger Juke-Joint-Besitzer ihn vergiftet habe. Der Mundharmonika-Virtuose Sonny Boy Williamson II. , der früh am Abend des 13. August mit Johnson zusammen gespielt hatte, will bei der Ermordung seines Kollegen selbst eine Rolle gespielt haben: Johnson sei in der Pause eine offene Flasche Whiskey gereicht worden. Als erfahrener Bluesman habe er, Williamson, weil er von Johnsons Affäre und der Eifersucht des Besitzers wusste, Johnson die Flasche mit den Worten aus der Hand geschlagen: »Mann, trink niemals aus einer schon geöffneten Flasche.« Diese Warnung habe Johnson so verärgert, dass er Williamson erbost entgegnete: »Mann, schlag mir niemals eine Flasche Whiskey aus der Hand.« Als Robert dann eine zweite, geöffnete Flasche angeboten wurde, musste Williamson mitansehen, wie Robert einen tiefen Schluck daraus nahm. Kurz danach zeigte Johnson die ersten Symptome einer Strychnin-Vergiftung.

      Andere Deutungen im Delta gehen davon aus, dass Johnson von einer eifersüchtigen Frau getötet wurde, entweder durch Gift im Kaffee oder Whiskey. In allen Varianten ist jedoch sexuelle Eifersucht im Spiel. Johnsons langjährige Freundin Elizabeth ›Bet‹ Thomas will erfahren haben, dass Johnson auf dem Weg zu einem Konzert von hinten erstochen wurde. Thomas’ Nachbar, Miller Carter, dagegen meinte zu wissen, dass ihr Vater Johnson mit einer Schrotflinte erschossen habe, nachdem er Elizabeth verprügelt hätte.

      Kurz: All die zahlreichen Interviews, die mit Zeitzeugen zu Johnsons mysteriösem Tod geführt wurden, zeichnen sich durch Ungenauigkeiten, versteckte Anspielungen, Gerüchte und Klatsch aus. Wahrscheinlich ist es längst zu spät, mehr als 80 Jahre nach seinem Tod hieb- und stichfeste Beweise für Umstände und Ursache zu finden. Es fällt allerdings auf, dass die Erklärungsversuche weißer Blues-Forscher allesamt auf Krankheit und körperliches Leiden wie Lungenentzündung, Syphilis oder eine Leberschädigung abheben. Die schwarzen Bewohner des Mississippi-Deltas dagegen fokussieren sich auf Gewalt: Vergiftung, Erstechen und Erschießen. Sie beziehen die Geschichte von Johnsons Tod auf ihre eigenen Erfahrungen oder ihre Familiengeschichte, die in der Depressionszeit im Jim-Crow-Süden von Gewalttaten und Unterdrückung geprägt waren.

      Wallfahrtsstätte für Blues-Jünger: Robert Johnsons Grabstein nahe Greenwood

      Wahrscheinlich wurde Johnson auf dem kleinen Friedhof der Little Zion Missionary Baptist Church begraben, knapp zwei Meilen außerhalb von Greenwood, wo heute noch ein Grabstein an ihn erinnert. Später fand sich im Nachlass Johnsons eine handschriftliche Mitteilung, die er in seinen letzten Lebenstagen verfasst haben muss: »Jesus of Nazareth, King of Jerusalem, I know that my Redeemer liveth and that He will call me from the Grave.«

      Konzertflyer From Spirituals To Swing

      Es passt ins verschwommene Bild eines vor der Zeit gestorbenen Genies, dass im Spätherbst 1938 John Hammond, Produzent und Talentscout bei Columbia Records, in der New Yorker Carnegie Hall ein Konzert unter dem Titel From Spirituals To Swing plante, bei dem Robert Johnson auftreten sollte. Ernie Oertle wurde beauftragt, Johnson zu suchen. Als der herausfand, dass sein Star zwischenzeitlich gestorben war, buchte er als Ersatz Big Bill Broonzy, der später mit seinen Reisen nach Europa und besonders in das Vereinigte Königreich die Lehre des Blues weitertragen sollte. Doch Hammond eröffnete das Konzert, indem er dem New Yorker Publikum zwei Schallplattenaufnahmen von Johnson vorspielte, den »Walkin’ Blues« und den »Preachin’ Blues«. In einer Art Nachruf in der linken Zeitschrift New Masses, die das Konzert gesponsort hatte, schrieb Hammond im Januar 1939:

      Für das Publikum in der Carnegie Hall hätte Robert Johnson die große Überraschung werden sollen. Ich kannte ihn nur von seinen Blues-Aufnahmen für Vocalion und aus den unglaublichen Geschichten, die die Aufnahmetechniker und -ingenieure aus den provisorischen Studios in Dallas und San Antonio über ihn erzählten.

      Auf dem Cover der zweiten Robert-Johnson-Veröffentlichung King Of The Delta Blues Singers II von 1970 ist ein Gemälde zu sehen, auf dem Robert Johnson, im Studio sitzend, dem Betrachter den Rücken zuwendet. Don Law, der Produzent von Johnsons beiden Aufnahmesessions, erzählt, dass es damals üblich gewesen sei, an einem Tag mehrere Künstler/Gruppen ins Studio einzuladen, die dann nacheinander ihre Aufnahmen machten. Während also ein Musiker seine Songs einspielte, warteten die anderen im Control Room nebenan auf ihren Auftritt. Schon bei Johnsons erster Session sei eine Gruppe von mexikanischen Musikern zugegen gewesen, denen er bei seiner Aufnahme laut Law demonstrativ den Rücken zugewandt hätte und »in die Zimmerecke sang«. Law erklärte sich dieses Verhalten durch Johnsons Schüchternheit. Er sei halt ein »Junge vom Lande, der niemals die Plantage verlassen hatte, auf der er geboren wurde«. Johnson habe im Studio einen heftigen Anfall von Lampenfieber erlitten: Dabei verkannte Law, dass Robert ein vielgereister, professioneller Blues-Performer war, der tatsächlich noch nie Probleme gehabt hatte, vor einem Publikum aufzutreten.

      Man muss vielmehr davon ausgehen, dass Johnson es vermeiden wollte, anderen Musikern seine Spieltechnik, sein brillantes Picking, all die Patterns und Slide-Linien offen zu zeigen, damit sie ihn nicht kopieren konnten. Wenn er beispielsweise gefragt wurde, wie er denn eine bestimmte Stelle gespielt habe, antwortete er demonstrativ blauäugig: »Genauso, wie du es machst«, anstatt Details zu verraten. Es konnte auch vorkommen, dass er bei zu offenkundigem Interesse an seiner Technik durch einen Zuhörer dem Publikum den Rücken zuwandte, damit seine Finger auf dem Griffbrett nicht mehr zu sehen waren. Johnson schien eine Heidenangst vor geistigem Diebstahl zu haben. Robert Lockwood Jr. – oft als Johnsons ›Stiefsohn‹ bezeichnet, weil Robert eine Zeit lang mit dessen Mutter zusammenlebte – ergänzt, dass Johnson besonders seine speziellen »offenen Stimmungen« der Gitarre geheim halten wollte.

      Eine dritte Erklärung für Johnsons demonstrative Abwendung von seinen Zuhörern ist viel prosaischer: Durch seine zahlreichen Live-Erfahrungen war Robert durchaus mit akustischen Problemen vertraut: Er singt und spielt nicht nur deshalb »in die Zimmerecke« des Aufnahmestudios, weil er sich so selbst besser hört, sondern weil der Sound von den Wänden reflektiert und verstärkt wird, seine Musik also voller klingt. Der Slide-Spezialist Ry Cooder spricht in diesem Zusammenhang von einem spezifischen ›corner loading‹, das die Höhen und Bässe des Gitarrensounds zugunsten der Mitten beschneidet – ähnlich wie bei einer National-Resonator- oder einer verstärkten E-Gitarre. Durch die strategische Platzierung in einer Zimmerecke kann man so auch mit einer akustischen Gitarre einen schneidenden, metallisch scharfen Ton erzielen, wie er für die Johnson-Stücke charakteristisch ist. Keith Richards beglaubigt dies: »Johnson ging es dabei nur um den Sound.«

      48 Jahre lang blieb Johnson ein gesichtsloses Phantom, eine Tabula rasa, auf die jeder seine Fantasien vom Aussehen dieser Blues-Ikone projizieren konnte. Erst 1972 entdeckte der Johnson-Forscher Mack McCormick drei Fotos von ihm. Doch es war der Blues-Produzent Steve LaVere, der zwei Jahre später zwei dieser Bilder von Johnsons Halbschwester

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