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Stock des Hauses mussten vermietet werden. Bis auf Johns Mutter, die an chronischer Arthritis litt, schliefen alle im Wohnzimmer im Erdgeschoss. Nach den Erinnerungen seiner Kusine Mary kämpfte John zu dieser Zeit mit chronischen Atemwegsproblemen und wachte mehrmals in der Nacht auf, um nach Luft zu schnappen. Seine einzige Freude bestand in dieser tristen Zeit darin, seinen jüngsten Onkel John Blair in Hamlet zu besuchen, der bei der Seaboard Railroad angestellt war. Coltrane war von der Eisenbahn fasziniert.

      Im Sommer 1942 kam er zum ersten Mal nach Philadelphia, wo er eine Tante väterlicherseits besuchte. Gegen Ende jenes Jahres entschloss sich seine Mutter, nach Philadelphia überzusiedeln, weil sie hoffte, dort leichter Arbeit zu finden. Doch die meiste Zeit verbrachte sie dann in Atlantic City, New Jersey, wo sie eine kranke, ältere Schwester betreuen konnte und bald auch zu einem Job kam. Als auch Mary und ihre Mutter Bettie Goler im Februar 1943 zu Verwandten nach Newark zogen, blieb John allein in High Point zurück, um dort zumindest seine Highschool abzuschließen. Mit Hilfe seiner Freunde Franklin Brower und James Kinzer und der materiellen Unterstützung durch die Nachbarfamilie Thomas Fair kam er ganz gut über die Runden. Wenn er nicht gerade stundenlang auf einem geliehenen Altsaxophon übte, versuchte er noch immer zusammen mit Brower, ein eigenes »big little book« voller Comics zu erstellen.

      Während seines letzten Highschool-Jahres, nach dem Tod seiner Großmutter und dem Wegzug seiner Mutter nach Philadelphia, genoss John viele Freiheiten. Auf den obligatorischen Friday-Night-Parties trank er gern mal mit Freunden wie Red Martin oder Carl Chavis einen Whiskey über den Durst. Auch begann er jetzt, Zigaretten zu rauchen – eine Angewohnheit, die er sein Leben lang beibehalten sollte. In dieser Zeit, in der er weitgehend auf sich allein gestellt war, dürfte Coltrane auch erste sexuelle Erfahrungen gemacht haben: Die Frau eines ständig von zu Hause abwesenden Versicherungsagenten war wegen ihrer Vorliebe für ältere Schüler stadtbekannt.

      John mied Auseinandersetzungen und hielt sich von Streitereien in der Schule fern. Selbst wenn er spätabends zusammen mit Franklin Brower durch die örtlichen Spielhallen zog, um sich im Pool-Billard zu versuchen, ließ er sich nie in irgendwelche Schlägereien verwickeln. Er war nicht jemand, der versuchte, sich auf Teufel komm raus durchzusetzen. Allein in musikalischen Fragen machte er keinerlei Zugeständnisse. Sein wachsendes Musik-Interesse zeigte sich während des letzten Highschool-Jahres nicht zuletzt darin, dass er sich regelmäßig das Down Beat-Magazin – das Sprachrohr der Jazzszene – kaufte und begierig darin die Kleinanzeigen für Musikinstrumente studierte.

      Seinen ersten Instrumental-Unterricht erhielt John im Alter von zwölf Jahren auf dem Althorn, einer kleinen Ausgabe der Tuba – auch Charlie Parker hatte damit begonnen. In der Community-Band der Kirche seines Großvaters Blair, die vor allem Märsche und Spirituals im Repertoire hatte, lernte Coltrane ab Herbst 1939 erste Finessen des Ensemblespiels. Bald wechselte er zur B-Klarinette, die er sich im örtlichen Nash Jewelry Store ausgeliehen hatte. Eines seiner ersten Stücke war »A Dream of Two Blue Orchids« im Arrangement des Klarinettisten Artie Shaw. 1939 wurde es in der Version von Glenn Miller sogar ein landesweiter Hit. Zwar spielte John seine Klarinette auch in der William Penn High School Band unter der Leitung von Warren B. Steel, einem seiner Pfadfinder-Führer, doch ab Herbst 1949 begann er sich mehr und mehr für das Saxophonspiel zu interessieren: »Ich wählte das Saxophon, weil Lester Young es spielte.«

      Und doch suchte sich Coltrane zunächst – wie er später zugab, ohne besonderen Grund – das Alt- und nicht wie sein Vorbild das Tenor-Saxophon aus. Auf dem neuen Lieblingsinstrument erprobte John jetzt unermüdlich die Komposition »Tuxedo Junction«, die er vom Trompeter Erskine Hawkins kannte. Da er keine Noten des Stücks besaß, lernte er es nach dem Gehör auswendig und quasi automatisch richtig phrasiert zu spielen. Schon damals war Coltrane dafür berühmt und berüchtigt, sein Horn kaum noch aus dem Mund zu nehmen: er übte buchstäblich Tag und Nacht. Motiviert wurde er nicht zuletzt durch Charlie Haygood, der in der Washington Street von High Point ein Restaurant besaß und nachmittags oft in der Küche saß, um Saxophon zu üben. Bei ihm war John Coltrane während seines letzten Highschool-Jahres oft zu Gast. Am 28. Mai 1943 schloss John die Schule ab – als »Most Musical Boy« in seiner Klasse. Eine Woche zuvor war er zum ersten Mal mit einer Tanzband während eines Schulballs an Klarinette und Altsaxophon öffentlich aufgetreten. In seiner Heimatstadt hielt ihn jetzt nichts mehr, am 11. Juni folgte er seiner Mutter nach Philadelphia; auf der langen Zugfahrt wurde er von Franklin Brower – dessen Brüder nur Positives über die Arbeitsmöglichkeiten in der Großstadt berichtet hatten – und seinem Freund James Kinzer begleitet.

      Zunächst bezog John zusammen mit Kinzer ein Appartement in 1450 North, 12th Street. Am 11. September 1943 konnte Coltranes Mutter ihrem Sohn endlich das erste eigene Instrument, ein gebrauchtes Altsaxophon, als »vorgezogenes Geburtstagsgeschenk« kaufen. Der Preis von 63 Dollar wurde in Raten von vier Dollar über die nächsten Monate abbezahlt. Seinen Lebensunterhalt verdiente John sich zunächst in einer Zuckerraffinerie, später in Campbells Suppenfabrik im nahebei gelegenen Camden. Inzwischen waren auch seine Tante Bettie und Kusine Mary nach Philadelphia gekommen und bei John und James mit eingezogen. Coltrane empfand das liberalere Klima in der Großstadt als befreiend, die Rassentrennung wurde hier nicht so strikt praktiziert wie in High Point.

      Den Schauplatz seiner Jugend sollte John nur noch zwei, drei Mal besuchen; eine Einladung in den Sechzigern, ihm zu Ehren in High Point ein Fest zu feiern, lehnte er höflich ab. Zu viele ambivalente Erinnerungen waren damit verbunden, und doch hatte er hier, in North Carolina, die prägenden Jahre seiner Jugend verbracht. Tief im Innern dürfte er sich dessen auch bewusst gewesen sein, denn Kompositionen wie »Goldsboro Express« von 1958 oder das friedfertige »Welcome« von 1965 spielen explizit auf seinen Heimatstaat an.

      Obwohl er sich in Philadelphia gut eingelebt hatte, wurde Coltrane nach ein paar Monaten Opfer einer Straßengang aus Schwarzen, die ihm spätabends nach der Arbeit auflauerte und ihn beraubte – ernsthafte Verletzungen trug er nicht davon, doch er musste sich zähneknirschend eingestehen: »Ich war ein bisschen dämlich, aber ich habe meine Lektion gelernt und passe in Zukunft besser auf mich auf.« Seine Mutter, die als Hausmädchen bei ihren Arbeitgebern lebte, sah John nur am Wochenende, Tante Bettie war während dieser Zeit eine Art Ersatzmutter für ihn. Auch zu seiner Kusine Mary, die als Sekretärin arbeitete, hatte er noch immer ein Vertrauensverhältnis. Später erinnerte sie sich: »Wir lebten in Philadelphia zu viert in zwei Zimmern, und in einem davon saß John, der ständig übte und Zigaretten rauchte.« Nicht nur sein neues Horn, sondern auch das Piano seiner Mutter Alice stellten immer wieder Herausforderungen an ihn.

      Ab 1944 nahm Coltrane für ein Jahr Saxophonunterricht an der vier Jahre zuvor begründeten »Ornstein School of Music« in der Spruce Street. Sein Lehrer dort, Mike Guerra, war ursprünglich ein Klarinettist, der sich vornehmlich in der klassischen Musik auskannte, aber ab 1941 auch als Saxophonlehrer zunehmend populär wurde. Später studierten auch Stan Getz und Gerry Mulligan bei ihm. Im Herbst 1944 war Coltrane vor allem damit beschäftigt, Schuberts »Serenade« aus der Liedersammlung »Schwanengesang« auf dem Altsaxophon zu üben. Wochenlang spielte er nichts anderes als diese Melodielinie. Guerra erinnerte sich später gern an Johns Übungsfleiß: »In der Theorieklasse gab ich den Studenten komplexe Akkordfortschreitungen als Übungen auf, er war einer der wenigen, die sie am nächsten Tag auf ihrem Instrument perfekt beherrschten. Und er konnte nie genug kriegen von diesem komplizierten Zeug!«

      Schon bald gehörte John zum Jazz-Zirkel Philadelphias, wo in den Vierzigern eine vitale Szene entstand: Neben Swing-Musikern der älteren Generation, wie Jimmie Tisdale oder dem Trompeter Charlie Gaines, erforschten hier auch jüngere Musiker, wie der Pianist Ray Bryant, der Saxophonist Benny Golson oder der Drummer Charlie Rice, das neue Vokabular des Bebop. Clubs gab es jede Menge; gleich um die Ecke von Johns Wohnung bot der After Hours Woodbine Club an jedem Wochenende die Möglichkeit zu ausufernden Jam-Sessions. Benny Golson erzählte später gern die Anekdote, nach der der junge Coltrane »On the Sunny Side of the Street« so beseelt und perfekt wie Johnny Hodges spielen und damit Golsons Mutter, wenn er in ihrem Haus zu Besuch war, immer wieder aufs Neue zu Tränen rühren konnte. Vielleicht war es Hodges sämiges Balladenspiel, das den angehenden Musiker faszinierte. Coltrane sollte sein Leben lang – wie übrigens zuvor schon sein Vater – eine Vorliebe für romantische Balladen bewahren.

      Seine ersten professionellen Engagements

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