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Aloronice. Judith Weber
Читать онлайн.Название Aloronice
Год выпуска 0
isbn 9783844232790
Автор произведения Judith Weber
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Impressum
Aloronice
Judith Weber
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright © 2013 bei Judith Weber
ISBN 978-3-8442-3279-0
Marie
„Ich muss hier einfach mal raus!" So hatte es angefangen!
Vor etwa vier Monaten hatte Marie mit Thea telefoniert und ihren ganzen Frust raus gelassen.
„Was ist denn los?"
„Ach ich weiß nicht, die Kinder machen mich ganz kirre. Eigentlich brauchen sie mich nicht mehr wirklich und anderseits halten sie mich dauernd mit unsinnigem Kram auf Trab. Und weißt du, was das Schlimmste ist? Ich habe dazu gar keine, aber auch gar keine Lust mehr! Ich kann verstehen, dass es manche Tierarten gibt, die irgendwann ihren Nachwuchs vertreiben."
„Hast du eine Midlifecrisis?", Thea lachte.
„Vielleicht." Marie zögerte „Kannst du dich noch dran erinnern, wie toll es war, so gänzlich ohne Verantwortung für andere zu sein? Nur auf sich selbst aufpassen zu müssen? Und" sie grinste ein wenig „ natürlich auf die beste Freundin und deren Dummheiten?"
„Ja", Thea atmete tief ein und wieder aus, „das waren schon super Zeiten!" „Weißt du noch, wie all die Typen hießen, die wir zusammen kennengelernt haben?"
„Puh, wo soll ich denn da anfangen? Michael? Nee, das war vor deiner Zeit. Den habe ich mit einer Freundin zusammen in Österreich, glaube ich, kennengelernt. Da war ich fünfzehn oder so. Wie hieß noch der im Urlaub in Schweden? Bjarne oder Björn."
„Keine Ahnung, habe ich vergessen, aber sein Freund war süß, der hieß Carl, wenn ich mich richtig erinnere. Der konnte so gut Windsurfen. Weißt du noch, als er versucht hat uns das beizubringen? Damals war ich zwar noch recht sportlich, aber ich glaube ich bin nicht ein einziges Mal mit diesem Segel aus dem Wasser rausgekommen. Das war echt nicht mein Ding! Aber dafür war der Surflehrer richtig klasse!"
„Ähem!" Thea räusperte sich vernehmlich „beim Surfen, oder was?"
„Nur da! Lass uns mal weiter überlegen, dann gab es da noch diesen dunkelhaarigen in Griechenland."
„Ja, aber der war kein Grieche, der kam aus Wuppertal."
„Sicher? Auf jeden Fall hat der dich jeden Abend in der Hotelbar fast mit den Augen verschlungen. Du wärst fast mit ihm auf sein Zimmer gegangen, nur deine brave, tugendhafte Freundin hat dich vor Schlimmerem bewahrt!" Marie kicherte.
„Dafür sollte ich dir wohl noch immer dankbar sein, du Pappnase, dass du mir meinen ersten One-Night-Stand vermasselt hast, oder was?"
„Sicher, du warst viel zu schade für den!"
„Danke! Aber ich hätte ihn damals genommen!"
Marie grinste, das war nicht die Thea von heute, heute hatte sie strengere Moralvorstellungen, aber damals, na ja, damals war ja auch alles viel einfacher gewesen, oder vielleicht kam es ihr im Rückblick auch nur so vor.
„Mama! Mama! Tessa hat schon wieder mein blaues Top angezogen. Sag ihr, sie soll es sofort ausziehen! Mama!"
Man hörte lautes Gekreisch. Im oberen Stockwerk knallten die Türen, dann ein elefantenähnliches Getrampel. Maries fünfzehnjährige Tochter stürzte im Eiltempo die Treppe hinunter, ihr dicht auf den Fersen Hannah, ihre große Schwester. Sie war, wie Hannah selbst immer wieder betonte nun schon bald siebzehn. Die wilde Jagd ging ins Wohnzimmer, um den Couchtisch herum, vor und zurück. Im allerletzten Moment rettete sich Tessa durch einen beherzten Sprung über den Tisch in den Flur und von dort in das Badezimmer. Mit einem Rums flog die Badezimmertür zu, der Schlüssel wurde gedreht und Hannah blieb nichts anderes übrig, als mit beiden Fäusten heftig an die verschlossene Tür zu hämmern.
„Warte mal ganz kurz Thea ja? Tessa gib Hannah das Top zurück, bitte! Ich möchte mit Thea in Ruhe telefonieren."
„Ich denke ja gar nicht daran! Es passt ihr doch sowieso nicht mehr, sie ist viel zu fett geworden!"
„Arghhhhh" ein Aufschrei aus tiefster Kehle erschütterte das ganze Haus. Marie bekam Angst um die Glasscheibe in der Badezimmertür.
„Was für ein Theater!" Robert kam die Treppe herunter. Langsam, mit ruhigen Schritten, wie es so seine Art war. Er war so ganz anders als seine beiden Schwestern. Sie blond und blauäugig, wie ihre Mutter, er mit dunklen Haaren und ebenso dunklen Augen. Robert war groß, in den letzten Jahren war er fast unaufhörlich in die Höhe geschossen. Jetzt, kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag, überragte er seine Mutter um mindestens dreißig Zentimeter. Sein Vater hatte schon vor Jahren scherzhaft erklärt, er werde wohl mal einen Vaterschaftstest machen lassen müssen. Marie lachte innerlich, als sie daran dachte. „Wer könnte sonst sein Vater sein, wenn nicht du?" hatte sie ihn gefragt und er grinste, gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze und sagte:" Wird schon stimmen, du treue Seele!" Treu war sie wirklich gewesen, all die Jahre, selbst bis heute, wo sie doch schon seit über einem Jahr verwitwet war. Es ging alles so schnell damals, er kippte bei der Arbeit einfach um. Herzinfarkt! Die Nachricht traf die ganze Familie wie ein Schlag, mitten ins Gesicht. Gerade hatten sie und Tom angefangen sich neu zu entdecken, die Kinder wurden langsam selbstständig, gingen mehr und mehr ihre eigenen Wege. Jetzt sollte ihre große Zeit beginnen. Sie war viel zu schnell schwanger geworden vor neunzehn Jahren. Robert kam zur Welt, da waren sie gerade mal vier Monate verheiratet. Nicht dass sie nicht sowieso vorhatten zu heiraten, aber als sich Robert ankündigte, beschleunigte das die Sache doch enorm.
Marie schnappte sich das Telefon und ging in die Küche, sie zog hinter sich die Tür zu und atmete einmal tief durch.
„Das ist das reinste Irrenhaus, verstehst du jetzt was ich meine?"
Thea, die liebe Thea stets so verständnisvoll und voller Mitgefühl schlug sich natürlich sofort auf die Seite der Kinder. „Kümmere dich ruhig erst um die Kids, wir können ja später nochmal miteinander telefonieren." Thea selber hatte keine Kinder, hatte also ihr Herzblut komplett in ihre Patenkinder gesteckt und war stets und immer bereit, ihnen alles zu verzeihen.
„Nein, nein", es ist schon wieder gut!" das Gezänk der beiden Mädchen war durch die geschlossene Küchentür nur noch leise zu hören.
Nun öffnete sich jedoch die Küchentür und die Geräuschkulisse wurde wieder unerträglich laut.
„Thea", Marie seufzte, „ich rufe dich gleich zurück, wenn ich das hier -äh-geklärt habe."
„Kein Problem! Ich bin zuhause. Bis dann!" Marie steckte sich das Telefon in die Jackentasche, ärgerlich über die aufgezwungene Gesprächspause. Robert setzte sich an den Küchentisch, seine langen Beine ausgestreckt und schnappte sich einen Apfel aus dem Korb.
„Ich hau gleich ab.", murmelte er zwischen zwei Bissen, „zu Mike, Mathe lernen."
„Du lässt mich mit diesen wildgewordenen Handfegern allein?" Marie konnte ihren Großen gut verstehen, seit dem Tod seines Vaters hatte er sich zunehmend verantwortlich für seine jüngeren Schwestern gefühlt. Er selbst hatte vermutlich bis heute nicht ausreichend getrauert. Kein Wunder, dass er langsam anfing sich abzunabeln, der Vereinnahmung durch seine Schwestern zu entfliehen.
„Robert!" das war es, was sie meinte.
Tessa hatte inzwischen das Badezimmer verlassen, Hannah das Top vor die Füße geknallt und war nun auf der Flucht vor ihrer Schwester ihrem großen Bruder auf den Schoß gesprungen.
„Robert! Rette mich!"
Sie schnaufte, die wilde Jagd hatte sie aus der Puste gebracht, dabei war deutlich zu merken, dass sie den Tränen nahe war.
„Ist ja gut Kleine, ist ja gut!" Wie konnte er nur so ruhig bleiben? Marie schaute bewundernd auf ihren Sohn, der jetzt seiner kleinsten Schwester mit der rechten Hand beruhigend über die Haare strich und, seinen Apfel mit den Zähnen festhaltend, versuchte, sie mit der linken Hand bequemer auf seinen Schoß zu ziehen.
In diesem Moment wirkte er so erwachsen,