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      Kapitel 1

      Mein ganzes Leben lang hatte ich von einem Haus am Meer geträumt. Ich war 58, als sich dieser Traum erfüllte.

      Jetzt, zwei Jahre später, an diesem milden südkalifornischen Frühsommertag, stand ich am Fenster meines Strandhauses am Rand von Venice Beach und sah auf die Horizontlinie, die das blaugrüne Meer mit seinen kleinen Schaumkrönchen scharf vom dunkelblauen Himmel trennte. Mein rechtes Auge schwoll langsam zu, und aus der Platzwunde an der Stirn lief ein schmales Blutrinnsal an der Schläfe entlang bis zu meinem Mundwinkel.

      Die zwei Schläger hatten in meinem Haus auf mich gewartet und sich nicht lange mit Höflichkeiten aufgehalten. Beide waren fast schon Karikaturen des Typus Mafia-Handlanger – groß, stark, blöd und ausgesucht schlecht gekleidet. Ich hasse Klischees. Schon deshalb mochte ich die beiden nicht. Und natürlich auch wegen meines Auges und der Platzwunde.

      „Wo sind die Fotos, Du Penner? Wir gehen hier nicht weg, bevor Du uns nicht die Fotos gegeben hast“, knurrte der jüngere, etwas kleinere, der einen metallicblauen italienischen Anzug mit schmalen Hosen, messerscharfen Bügelfalten, einem schwarzen Seidenhemd mit offenem Kragen und (man glaubt es nicht) zweifarbigen Budapestern trug.

      „Welche Fotos meinst Du?“, gab ich zurück. „Die von Dir und dem Stricher am Bahnhofsklo oder das von Deiner Mutter mit diesem arabischen Vollbluthengst, wo sie…“ Er schlug hart und schnell zu, meine Lippe platzte auf und er guckte verblüfft auf seinen Knöchel, den er sich an einem meiner Zähne verletzt hatte.

      So langsam sah ich nicht mehr richtig gut aus, und selbst mein Hund, ein kreuzbraver Golden Retriever (der mich natürlich nicht vor den fremden Besuchern gewarnt hatte, worüber noch mit ihm zu reden sein würde), knurrte jetzt ganz leise meinen Widersacher an.

      Der zweite Kerl, sonnenstudiogebräunt, fitnessclubtrainiert und in enge, dunkelblaue Jeans, ein kanariengelbes Seidenhemd und irgendwelche HiTec-Sneakers gewandet, schwenkte seine Kanone in Richtung meines Hundes. Der begann treuherzig, mit dem Schwanz zu wedeln.

      „Sitz, Struppi!”, befahl ich ihm, und sofort trollte er sich aus dem Zimmer und verschwand in der Küche. Na also – das ist mein Junge! Jetzt ging es nur noch darum, ein bisschen Zeit zu gewinnen… so hoffte ich wenigstens.

      „Also noch mal: wo ist diese Scheiß-Speicherkarte?”, fragte der erste Mann, der immer noch wehleidig seine Fingerknöchel betrachtete.

      „Jungs, beim Leben meiner Mutter: Ich habe erstens keine Ahnung, was Ihr eigentlich wollt und besitze zweitens sowieso keine einzige Scheiß-Speicherkarte“.

      Beides war übrigens wahr, ich hatte wirklich keine Ahnung. Und besaß eben auch keine Speicherkarte (ich fotografierte immer noch auf Film). Allerdings lebte auch meine Mutter nicht mehr.

      „Dann werden wir Dir weh tun müssen”, sagte der mit dem gelben Hemd und sah dabei ziemlich zufrieden aus. Die schiere Vorfreude sprach aus seiner Mimik.

      „Dann mal los”, entgegnete ich schulterzuckend und hoffte inständig, möglichst schnell das Bewusstsein zu verlieren.

      Das klappte leider nicht so richtig. Und die beiden taten mir ziemlich weh.

      ***

      Zwanzig Minuten später hätte ich den Jungs jede Speicherkarte dieser Welt auf einem goldenen Servierwägelchen hinterhergefahren – nur: woher nehmen? Auch mit wirklich professionellen Prügeln kann lässt sich nicht herbeizaubern, was es nicht gibt. Und professionell war die Vorstellung – die beiden achteten sorgfältig darauf, mich weder umzubringen noch ohnmächtig werden zu lassen. Ich lag zusammengekrümmt am Boden und versuchte, wenigstens meine Gesicht vor den derben Tritten zu schützen. Scheiße. Mir ging es gar nicht gut. Und ich war gerade nicht sonderlich optimistisch.

      Das änderte sich allerdings in dem Moment, als ich ein zweimaliges dezentes Plopp hörte, nahezu synchron. Und nicht minder synchron gingen ein metallicblauer Anzug und ein kanariengelbes Hemd zu Boden, nicht ohne dass deren Insassen mit schmerzverzerrtem Gesicht und unter Stöhnen ihr jeweils rechtes Knie umklammerten.

      Ich grinste, blutverschmiert am Boden liegend, und murmelte etwas, das vermutlich klang wie „Gtz cheti ma wa chmersis”, und „Jetzt seht Ihr mal, was Schmerz ist”, heißen sollte. Ich bot wahrscheinlich den Anblick eines Irren, weil ich dazu mit der rechten Hand in die dunkelrote Lache auf dem Boden schlug und dabei mein eigenes Blut verspritzte.

      „Na komm Partner, hoch mit Dir“. Tyler grinste mich mit einem Gesichtsausdruck an, der irgendwo zwischen Erleichterung und Sorge schwankte, und streckte mir seine Pranke entgegen. Ich ergriff sie und stand auf – oder besser: wurde aufgestanden. Ich tat nicht wirklich viel dazu.

      „Schön Euch zu sehen“, versuchte ich zu artikulieren. Und blickte von Tyler zu Tim, der, in jeder Hand eine Pistole, etwas abseits bei den am Boden liegenden Teilzeit-Mafiosi stand und aussah, als wünsche er sich nichts sehnlicher, als dass einer von den beiden eine Dummheit machen würde.

      Er winkte mir mit seiner rechten Pistolenhand zu. „Gern geschehen. Wir haben uns echt beeilt als der Notruf von George reinkam.”

      Dazu muss ich vielleicht sagen: George ist mein Hund (er hieß schon so, als ich ihn aus dem Tierasyl geholt hatte, ich kann also nichts dazu). ‚Sitz, Struppi’ ist ein Befehl, der bedeutet: ‚Lauf in die Küche, drück mit der Schnauze auf den verdammten roten Knopf unten am Schrank, freu Dich über den Kauknochen, der dann aus der Klappe fällt und bete gefälligst, dass Tim oder Tyler oder beide zuhause sind, wenn bei ihnen die Alarmklingel losgeht. Und bleib in der Küche, bis ich Dich rufe’. Fragen Sie nicht, wie wir auf diese Idee gekommen sind. Und schon gar nicht, wie lange es gedauert hat, bis George aufhörte, fünfmal am Tag in der Hoffnung auf einen Kauknochen den roten Knopf anzustupsen.

      „Darf ich die beiden erschießen? Bitte!“

      „Nein Tim, das geht nicht! Später vielleicht. Erst mal müssen wir versuchen rauszukriegen, was die beiden Holzköpfe eigentlich von Bob wollten”, entgegnete Tyler.

      „Schade!“ Tim schaute schwermütig. Es war wirklich nicht einfach, ihm eine Bitte abzuschlagen.

      ***

      Eine Stunde später hatte Tyler mich einigermaßen verarztet – zumindest soweit, dass ich mithilfe einiger Vicodin halbwegs schmerzfrei und dabei angenehm benebelt war. Außerdem hatte er die Platzwunde an der Stirn mit Tape verschlossen und mir eine Packung Tiefkühlerbsen aufs Auge gelegt, nachdem er mich auf mein altes Ledersofa geschleppt hatte. Ich war so froh, endlich eine Verwendung für die Erbsen gefunden zu haben.

      Ein, zwei Zähne wackelten bedenklich, aber das fiel nicht in Tylers Kernkompetenz. So wenig wie meine schmerzende Niere, von der ich hoffte, dass sie sich bis morgen oder übermorgen erholen würde. Ich bin ja nicht so der Freund der Ärzteschaft. George machte eine besorgte Mine und leckte mir quer über das Gesicht. Sonst lächelt er eigentlich dauernd.

      Tim hatte sich inzwischen rührend um die beiden Schläger gekümmert. Sie lagen, sauber verschnürt und mithilfe ihrer eigenen Socken geknebelt, versandfertig neben der Haustür. Was sie eigentlich von mir wollten, mal abgesehen von der ‚Scheiß-Speicherkarte’, und vor allem in wessen Auftrag sie unterwegs waren, hatte Tim trotz geduldiger Befragung nicht erfahren.

      „Die zwei sind völlig verängstigt”, meinte Tim. „Die wollen mir gar nichts erzählen. Da könnte ich sie doch eigentlich erschießen, oder?“

      Tyler schüttelte den Kopf. „Tim, reiß Dich bitte zusammen und hör auf zu quengeln. Und lass mich mal kurz nachdenken.“

      Ich nickte zustimmend. Hätte ich lassen sollen. Mein Schädel protestierte pochend.

      „Jungs, ich habe nach wie vor nicht den Hauch einer Idee, was für Fotos die beiden suchen. Ich meine... Ihr wisst ja, was ich mache. Street Fotos, ganz normale Menschen auf der Straße. Ich wüsste nicht, was da verfänglich sein könnte.“

      Ich nuschelte immer noch, aber es wurde langsam besser.

      „OK, Du erholst Dich jetzt erst mal und versuchst zu schlafen. Tim und ich überlegen uns, was wir mit den Blödmännern machen. Oder besser: ich überlege und Tim macht es dann. Mach Dir keine Sorgen, wir lassen sie leben.

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