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      Attila Heller

      R.O.M.E.

      Die grüne Hölle von Rod

      © 2015 Attila Heller

      Covergestaltung: text+taler GmbH, Hamburg

      Published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

      ISBN 978-3-7375-2755-2

      1. Kapitel

      Jakob steuerte sein Auto über die regennasse Fahrbahn. Ans Lenkrad geklammert wie ein ängstliches Kind, schaute er immer wieder in die Nacht hinaus. Wann würde dieser Sturm endlich enden?

      Es goss in Strömen und dazu wehte ein unangenehmer Wind. Von oben herab schüttete es schon seit Stunden und allmählich verwandelte sich alles um ihn herum in ein einziges Gemisch aus Schlamm und Kieselsteinen. Die braune, trübe Brühe sammelte sich in jeder noch so kleinen Straßensenke. Immer wieder schwappte sie bedrohlich von unten donnernd an das Bodenblech seines Kleinwagens. Er musste sich sehr konzentrieren, um nicht die Kontrolle über sich und sein Fahrzeug zu verlieren, auch weil die Fahrbahn grell und ohne Rücksicht auf seine Müdigkeit das Licht der Scheinwerfer zurückwarf. Seine Augen brannten stark und gelegentlich schloss er sie für einige kurze Sekunden zur Erholung.

      Erschöpft schaute er auf die grün leuchtende Uhr im Armaturenbrett. Achteinhalb Stunden waren nun schon vergangen, seit er sich am Flughafen von Debrecen auf den Weg gemacht hatte. Knapp an die vierhundert Kilometer holpriger Landstraße lagen hinter ihm und abgesehen von einer kurzen Pinkelpause und einem ausgiebigen Stopp in einem Wirtshaus bei Cluj-Napoca hatte er die ganze Zeit in dieser unbequemen Blechschüssel gesessen. Dabei hatte die Autovermietung am Terminal ihm schon den bestmöglichen Untersatz zur Verfügung gestellt: einen gelben, osteuropäischen Kleinwagen als „Special Edition“ mit Klimaanlage.

      „Haben Sie denn gar nichts Besseres?“, hatte Jakob die knauserige alte Dame hinter dem Tresen gefragt. Aber die schüttelte nur ihren dicken Kopf und reichte ihm herablassend die Schlüssel.

      Ein Lenkrad mit Fellbezug und Schonbezüge mit Sonnenblumenmuster würden diesem Auto den letzten Schliff verleihen, dachte er schmunzelnd, als er den Wagen sah. Statt eines Allradfahrzeugs hatte Jakob also einen Wagen bekommen mit einem eingebauten, eingeschränkt funktionierenden Ventilator, der vor sich hin rotierte und nur spärlich Frischluft erzeugte. Immerhin versteckten sich einige Pferdestärken unter der Haube, mit denen er relativ zügig und schneller vorankam, als zunächst geglaubt. Er haderte mit seinem Glück, doch angesichts der Situation blieb ihm sowieso nichts anderes übrig, und so musste er seinen gewohnten Standard eben für einige Zeit zu Hause lassen.

      Jakob war jetzt schon eine halbe Ewigkeit auf der D17 unterwegs, einer Nationalstraße in den Ostkarpaten, deren Einzigartigkeit nicht in den vielen Serpentinen, sondern, eher ungewollt, in den Lücken und Löchern des rauen Asphaltbelages bestand. Es kam einem Wunder gleich, dass die Ölwanne noch kein Leck hatte nach den unzähligen ungewollten Berührungen mit der Straßendecke. Diese hob und senkte sich gleichmäßig mit der Landschaft und schlängelte sich immer parallel am Fluss Somesul Mare entlang, dem Herzen dieser Region.

      Gespannt und vom Adrenalin aufgeputscht, schoben sich seine Augen den kargen Straßenrand entlang. Irgendwo hier draußen, zwischen den beiden Örtchen Rodna und Valea Mare, musste es doch sein! Das hatte der Professor geschworen.

      Jakob drosselte die eh schon langsame Geschwindigkeit seines Autos um weitere zehn Stundenkilometer, sodass dieses nun um jede Kurve schlich, die sich vor ihm auftat. Er beobachtete beide Straßenseiten genauestens. Wassermassen stürzten in regelmäßigen Abständen von den Hängen auf die Fahrbahn und Jakob wurde das Hirngespinst nicht los, die Natur würde sich hier auf radikale Art und Weise von allem überflüssigen Übel trennen. Absolut alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde ohne Gnade weggespült, ja vom Somesul Mare verschlungen. Eines war ihm klar: In diesem reißenden Fluss wollte er nicht enden! Deshalb besann er sich aufs Autofahren, vielleicht war er ja doch noch nicht am erhofften Ziel!

      Die Straße führte nun über eine weite Brücke auf die gegenüberliegende Seite des tosenden Gewässers. Er steuerte den Wagen sicher hinüber und gab Gas. Doch plötzlich überkamen ihn Zweifel. Sollte er etwa doch schon zu weit gefahren sein? Unsicher und irritiert, schaute Jakob durch den winzigen Rückspiegel auf den hinter ihm liegenden, vom Rücklicht rot leuchtenden Streckenabschnitt.

      „So ein Mist!“, zischte er. „Wenn dieser Spinner mich verarscht hat …“

      In diesem Moment ertönte ein Klingeln, ein Läuten eines Mobiltelefons. Er zuckte vor Schreck zusammen. Es war mitten in der Nacht! Hektisch begann er den Innenraum des Autos abzusuchen. Die Ruftonabfolge hatte ihr Maximum nahezu erreicht, als er endlich das Handschuhfach öffnete und es herausnahm.

      „Hallo“, sagte er zögerlich in das fremde Handy, „hallo?“

      Kein Laut am anderen Ende, nur ein leises Rauschen, das unter dem Getuschel zu hören war. Jakob schaute auf das Display. Die Nummer war unterdrückt.

      „Hallo, ist da wer?“, versuchte er es erneut. „Können Sie mich hören?“

      Wieder bekam er keine Antwort und somit beschloss er, die Verbindung zu trennen. Er schaltete das Telefon gleich komplett aus und ließ es mit einem geschickten Wurf im offenen Handschuhfach verschwinden. Es hatte sowieso keinen Sinn hier in den Bergen, denn der Empfang war schlecht und der Akku verbrauchte nur unnötig Strom. Gottverlassene Gegend!

      Jakob gähnte kurz. Müdigkeit und Frustration machten sich erneut breit. Sein Geist und sein Körper gerieten allmählich an ihre Grenzen und signalisierten ihm offen den Wunsch nach etwas Ruhe. Er schaute frustriert über seine rechte Schulter, als mit einem Mal und ohne jegliche Vorwarnung ein äußerst heftiger Knall die ohnehin tobende Nacht erschütterte. Vom Aufprall getroffen, geriet der Wagen ins Schleudern und rutschte über den abgetragenen seifigen Straßenbelag auf einige Bäume am Fahrbahnrand zu. Wild an seinem Steuer kurbelnd, versuchte Jakob die Kontrolle zurückzugewinnen. Er stellte die Räder quer und zog die Handbremse. Kurz vor einem Abhang kam er schließlich zum Stehen. Sein Herz raste!

      Jakob löste seinen Griff vom Lenkrad. Bebend versuchte er, die letzten Sekunden zu rekonstruieren. Da sich der Wagen um hundertachtzig Grad gedreht hatte, starrte er jetzt in die Richtung, aus der er ursprünglich gekommen war. Er sah sich um und überlegte. In einem Augenblick der Unachtsamkeit musste er irgendetwas, wahrscheinlich ein Tier, mit voller Wucht erfasst haben. Der rechte Kotflügel war demoliert, der Seitenspiegel abgerissen und die Frontscheibe beschädigt. Das dünne Sicherheitsglas hatte dem Druck glücklicherweise trotz vieler Risse, in denen sich nun kleine, rote Wasserläufe bildeten, standgehalten. Er schaute durch die beschlagenen Fenster. Da war nichts zu sehen, überhaupt nichts, aber urplötzlich fing sein Herz erneut zu rasen an.

      „Was ist …“ – die folgenden Silben blieben ihm im Hals stecken. Von Finsternis umkleidet, stachen aus der Ferne zwei hell leuchtende Punkte hervor, die ihn ganz genau anpeilten. Er fühlte sich unwohl, denn seit einigen Jahren hatten sich wieder Bären in dieser Gegend angesiedelt und er hoffte, dass diese Kreatur da draußen keiner war.

      Seine Hand langte nach dem Zündschloss. Durch den Crash war der Motor ausgegangen und musste von Neuem gestartet werden. Sogleich offenbarte die Lichtmaschine, dass eine der beiden Vorderlampen den Unfall nicht überstanden hatte. Jakob ließ sachte die bleischwere Kupplung kommen und beschleunigte. Im Schutze seines zerbeulten Autos verfolgte er mit dem noch vorhandenen einen Lichtstrahl den gekommenen Weg zurück.

      Schon nach wenigen Metern begann sich die Fahrbahn rot zu färben. Er entdeckte fast mittig auf der Spur eine ausgedehnte Blutlache, die trotz der anhaltenden Schauer eindeutig zu erkennen war. Hier musste es sich zutragen haben, schlussfolgerte er, denn sein Außenspiegel lag zertrümmert auf der Straße und überall lagen Wrackteile verteilt. Keine Chance, das Vieh war tot, und wenn nicht, würde es dies sicherlich in den nächsten paar Stunden sein. So einen Aufprall überlebt keiner, nicht einmal Meister Petz mit seinen über dreihundert Kilo, dachte Jakob. Gerade als er zum Wenden ansetzte, bemerkte er ein weiteres Detail. Eiskalt lief es ihm den Rücken hinunter. Da lag mitten auf der Fahrbahn ein Stofflappen, ein von Blut und Wasser durchtränkter,

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