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Brasilianer den heiligen Antonius und den westafrikanischen Gott Ogun in Personalunion. In Java hatten Ahnenverehrung und Totenkulte als Bestandteile des Volksislams überlebt. Abgesehen vom streng islamischen Banda Aceh in Nordsumatra war der indonesische Islam ein religiöses System, das seinen Ursprung in der indischen Kultur nicht verleugnen konnte.

      Was aber bedeutet das im Einzelnen? Beim Kris, dem Schmuckdolch, der als soziales Symbol den Wechsel vom Hinduismus zum Islam überdauert hatte, waren der Dolch und seine Scheide in den althinduistischen Zeiten gerne mit Tierköpfen und fantastischen Figuren verziert worden. Im Islam aber war die figürliche Darstellung verboten. Der fromme Moslem, der auf seinen Kris nicht verzichten wollte, reagierte flexibel. Er behielt den Dolch, achtete aber darauf, dass auf Knauf und Scheide nur noch abstrakte Motive zu sehen waren. Die animistische Bedeutung aber war gleichgeblieben.

      Ein ähnliches Problem ergab sich beim Wayang, dem uralten indonesischen Puppenspiel. Eigentlich war die Darstellung des Menschen, und sei es auch nur durch Puppen, Allah alleine vorbehalten, weswegen im Prinzip das Puppenspiel verboten werden müsste. Pragmatisch wie der Javaner ist, fand er im Wayang Kulit die Lösung: Der Puppenspieler, der Dalang, hantiert mit seinen Puppen vor einer Lichtquelle, und die Zuschauer sehen nur, wie die Schatten der Puppen an einer weißen Wand sich bewegen.

      Ein weiteres Beispiel für die Symbiose von Hinduismus und Volksislam stellte das Ramayana dar. Seit über anderthalbtausend Jahren gehörte das indische Ramayana-Epos zum indonesischen Kulturbestand. Die Geschichte vom Prinzen Rama und seiner Gattin Sita, der Raub der Sita durch den bösen Ravana und die Befreiung Sitas durch Rama, der dazu nach Sri Lanka, auf die Insel der Lotosblüte, übersetzte, verbreitete sich im ersten Jahrtausend der Zeitrechnung von Indien aus über ganz Südostasien. Inzwischen hatte sich das Ramayana als das Epos Asiens sich längst über die Grenzen der Religionen erhoben. Es wurde im buddhistischen Thailand ebenso gespielt wie im muslimischen Indonesien – und dass trotz aller Verbote der Figurendarstellung.

      Unweit vom Hotel war die Aufführung eines Ramayana-Ballets abgekündigt. Schon seit zwei Tagen konnte kein Gast mehr unbehindert am Pool sitzen, ohne dass ihm Herr Woto nicht eine Karte angeboten hätte. Die Vorführung fand im Garten eines Nachbarhotels statt. Es war stockdunkel, als das Gamelan Orchester erklang. Es wurde mit Glöckchen gebimmelt, mit Hämmerchen geschlagen, getrommelt und getutet, was das Ohr ertrug, dann erschienen die Hauptdarsteller, prachtvoll aufgeputzt, mit ihren Sarongs, Umhängen und Goldkronen. Der größte und bunteste der Darsteller musste Rama sein. Er schwang seinen Dolch, den Kris, hin und her, und wer sich ihm in den Weg stellte, wurde verstümmelt, abgemurkst, erstochen oder enthauptet. Immer mehr Gestalten füllten die Bühne, sie bewegten sich wie Marionetten, eckig, mit abrupten Bewegungen, als seien ihnen die Knochen eingerostet nach einem streng reglementierten Drehbuch. Zum Finale starb der Bösewicht, Rama riss die Arme in die Luft, während seine Sita streng rituell mit winzigen Tippelschritten von dannen schwebte.

      ***

      Manfred war Tierliebhaber und konnte keinen Zoo passieren, ohne nicht hineinzugehen. Auch ich mochte Tiere, kannte mich mit ihnen aber nicht so gut aus, so dass ich froh war, Manfred dabeizuhaben, als wir den Vogelmarkt besuchten. In kleinen Holzkäfigen saß ein ganzer Querschnitt der indonesischen Vogelwelt und blickte uns trübsinnig an. Ich ließe einen Uhu tanzen, indem ich ihn durch die kleine Öffnung unter dem Käfig an seinen Krallen kitzelte. Ein Vogel mit einem Federkleid in Pink und einer Frisur wie ein Irokese fixierte mich feindselig, dann sprang er mit seinen Krallen an das Käfiggitter und stieß spitze Schreie aus. Ein Adler saß mit geschlossenen Augen still und unglücklich auf einem Holzstab, durch zwei kleine Ketten seiner Freiheit beraubt.

      Einmal im Reich der Tiere angekommen, zog es Manfred gleich weiter in den Zoo von Yogjakarta. Der Zoo von Yogjakarta war berühmt dafür war, dass er Tiere aus zwei zoologischen Großregionen der Welt beherbergte: aus Sumatra, Java und Borneo, sprich: aus Südostasien – und aus den Inseln östlich von Bali, die schon zur australischen Fauna gezählt wurden. Tatsächlich begegneten mir im Zoo von Yogjakarta Lebewesen, die ich noch nie vorher gesehen hatte. Ein so genanntes Emu mit kräftigen Beinen stand unbeweglich in seinem Gehege, als wäre er ausgestopft. Wer diesem Vogel zu nahe kommt, erhält einen Tritt, der sich gewaschen hat, erklärte Manfred. Gleich nebenan trottete ein unglaublich hässliches, schweinsartiges Wesen durch den Käfig. Es handelte sich um einen Barbirusa, auch Hirsch-Eber genannt, den man daran erkannte, dass er tatsächlich anstelle der normalen Hauer ein Art Geweih auf dem Kopf trug. Das Kuriose an diesem Geweih war sein gebogenes Rückwärtswachstum, so dass es vorkommen konnte, dass die auswachsenden Geweihspitzen dem Tier in den Kopf drangen und es töteten. Große Schlangen, von den nicht erkennbar war ob sie aus dem asiatischen oder der australischen Tierwelt stammten, lagen müde in ihren Gehegen, neben ihnen gefesselte todgeweihte Vögel, die ihnen als Lebendnahrung dienen würden, sobald sie Hunger bekommen würden. Als wüssten sie um ihr Schicksal, gaben die kleinen Vögel keinen Pieps von sich und hielten still, so gut sie konnten. Nur der Komodo Waran, den wir zu sehen gehofft hatten, war gerade unterwegs. Vielleicht war er an den Mini Indonesia Park in Jakarta verliehen worden, wo der fest angestellte Komodo Waran kürzlich verstorben war.

      ***

      Weniger als dreißig Kilometer von Yogjakarta entfernt, befand sich Parangritis, der heilige Ort der Meeresgöttin Loro Kidul. Wie dem Osterhasen im Christentum war es auch der Meeresgöttin Loro Kidul mühelos gelungen, sich in den Nischen einer fremden Hochreligion auszubreiten. Den meisten Backpackern war das egal, sie schätzten die Loro Kidul, weil ihr Tempel an einem der schönsten Strände Südjavas lag.

      Zusammen mit Sam und Rike, aber ohne Amada (die sich mit Rike verzankt hatte), unternahmen wir einen Ausflug zum Strand von Parangritis. Wir bestiegen in Yogjakarta ein Bemo, in dem es herrlich geräumig war, ohne vorauszusehen, dass sich dieser Minibus bis zu unserem Ziel mit immer mehr Passagieren füllen würde. So klein und geschmeidig die Javaner auch waren, so geschickt sie sich in den engsten Lücken einzurichten wussten, am Ende quietschten die Achsen bedrohlich, und kurz vor dem Ziel mussten alle Fahrgäste aussteigen und die letzte Anhöhe zum Strand zu Fuß überqueren.

      Und dieser Strand konnte sich sehen lassen. Im wolkenfreien Sonnenlicht eines ganz und gar untypischen Tropentages lag das schwarzsandige Ufer von Parangritis vor uns. Sanft geschwungene Berge umrahmten die Bucht. Zwischen Land und Meer erstreckte sich ein prachtvoller Palmenhain, in dessen Mitte sich der beflaggte Tempel der Loro Kidrul erhob. Vom Indischen Ozean her wehte ein frischer Wind über den Strand und ließ die Papierdrachen am Himmel tanzen. Aber niemand badete. Nicht nur, weil der Javaner ohnehin keine Wasserratte ist sondern weil die tückischen Strömungen im Süden Javas selbst geübten Schwimmern gefährlich werden können. Wer hier versank, wurde nie mehr gefunden, denn südlich von Java stürzte der Meeresboden im Sundagraben bis zu 7500 Metern tief ab.

      Deswegen blieben auch wir auf dem Trockenen. Sam legte sich in den Schatten einer Palme und memorierte seine Tagesration an Bahasa Indonesia-Phrasen. Heute waren die Notfälle dran. „Talang Saya!“ hieß: „Helfen Sie mir“. „Panggi Doktor“ bedeutete: „Bitte rufen Sie einen Arzt“, und wenn man jemanden mitteilen wollte, dass ein Unfall stattgefunden hatte, dann sagte man „Ada kecelakaan.“ Rike erzählte Manfred, warum sie sich mit Amanda verzankt hatte, was sich dieser geduldig anhörte. Ich legte mich auf mein Handtuch in den Sand und schloss die Augen. Das Rauschen der Brandung deckte alle Geräusche wie eine dicke Decke zu, und ich schlief ein.

Titel

       Prambanan

      Shiva und Buddha

      im Schatten der Vulkane

      Eine Reise zum Dieng Plateau, zum Borobodur und zu der Tempelanlage von Prambanan

      Der Taxifahrer hieß Sashan, er war ein junger Javaner mit einem spärlichen Oberlippenbart und grotesk dünnen Armen. Während der ganzen Fahrt gab er keinen Mucks von sich, kaute aber unablässig Betelnüsse, deren Süd er in hohem Bogen aus dem Fenster spuckte. Sein Wagen war äußerlich in vertretbarem Zustand, glich aber im Inneren einer Müllkippe, war also genau das Gegenteil eines javanischen

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