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lauert sie überall. Beratung ist eine Boombranche. Sie vermittelt uns den Eindruck, wir seien nicht allein mit unseren kleinen und großen Sorgen der Lebensbewältigung. Wir werden betreut. Und die Berater/innen tun per se Gutes, ist in der Regel ihre Überzeugung. In zahlreichen Berufen gehören basics der Beratung zur Grundqualifikation. Man könnte sagen: Beraten ist eine Allerweltstätigkeit und -fähigkeit. Was gibt es da zu diskutieren?

      In Bezug auf Schule kann sie unterschiedliche Funktionen annehmen. Beratung kann heißen, Informationen weiterzugeben, die mehr oder weniger neutral sind und mir eine selbstständige Entscheidung erleichtern. „Beraten“ kann heißen, jemandem zu sagen, was er besser tun oder lassen sollte, wenn er oder sie „vernünftig“ sein und die „wirklichen“ Verhältnisse berücksichtigen wolle. Man kann es von „gleich zu gleich“ sagen, oder „von oben herab“. Beratung soll mich frei(er) machen – aber wie kann sie das, wenn der Ratgeber eine Person ist oder eine Institution, der ich mehr oder weniger ausgeliefert bin, wenn ich keine praktische Alternative zu ihnen habe? Beratung umfasst also ein weites Spektrum und

      die unterschiedlichsten Bedingungen, unter denen sie stattfindet. Bei all dem soll sie Vertrauenssache sein.

      Welche Folgen hätte es, wenn ich meine geheimen Wünsche, Ängste etc. gegenüber einem Lehrer offenlege, oder wenn die Lehrerin in einer Beratungsstelle gegenüber einem pädagogischen, sozialpädagogischen oder psychologischen Berater ihre Sorgen mit Kollegen, oder Schülern offenlegt? Könnte sie sicher sein, dass ihre Worte geschützt sind? Müsste sie befürchten, dass der Berater in eine bestimmte Richtung berät, weil er in seiner Dienststelle nicht unabhängig ist, sondern er von der Behörde, der auch sie angehört, für Steuerungsaufgaben eingesetzt wird? Eine Fülle von Fragen und Zweifeln, die im Umfeld schulischer Beratung auftauchen. Und das sind noch nicht alle. So viel aber ist sicher: Beratung ist Vertrauenssache. Sobald es um mehr als informatorische Beratung und um Belehrung geht, wird sie zu einer persönlichen Angelegenheit. Will Beratung ihren Zweck erreichen, Einstellungen, Haltungen, Erkenntnis in den Blick zu nehmen, um Spielräume für Entwicklung zu gewinnen, braucht sie einen Rahmen, der Heikles, wie Unsicherheit, Scham, Schuldgefühl, zulässt.

      Schulbezogene Beratung wird häufig von Schulpsychologe/Inn/en betrieben, und überwiegend in schulpsychologischen Diensten oder schulpsychologischen Beratungsstellen. Wir haben aber auch den Fall, dass in Beratungsstellen Menschen unterschiedlicher beruflicher Herkunft arbeiten, zum Beispiel Lehrerinnen, Sozialpädagoginnen, Psychologinnen. Hat jede Berufsgruppe ähnliche Vorstellungen von Beratung, von ihren Inhalten, von dem, was zu einem Beratungsprozess gehört? Zweifel sind angebracht, denn es ist möglich, dass über das, was in einer Beratung und in einer Institution geschieht, unterschiedliche Auffassungen bestehen – und sie miteinander konkurrieren. Für die einen ergeben sich Ziel, Zweck und Inhalt der Beratung aus dem Grundberuf Lehramt heraus. Für die anderen ist das problematisch; sie sehen Beratung als voraussetzungsreichen Prozess, der sich nicht unreflektiert aus einem (administrativ verstrickten) Beruf ergeben sollte. Beratung halten sie für ein eigenes Fachgebiet, genannt professionelle Beratung, erworben in speziellen Weiterbildungen.

      Für Verwaltungen und Politik ist es leider gelegentlich „nützlich“, wenn sie weder einen Unterschied zwischen den Berufsgruppen noch zwischen den Spezifika der Beratung machen müssen. So ist es ihnen möglich, Stellen zu besetzen, ohne Differenzierungen berücksichtigen zu müssen. Die Rationalität der Verwaltungsvereinfachung und Kostenminderung kann also die Rationalität der ansonsten gern in Anspruch genommenen Multiprofessionalität schlagen. Das Lob der Multiprofessionalität kann schnell in eine Forderung zu ihrer Auflösung umschlagen. In Bremen und Hamburg konnte es geschehen, dass alle Beschäftigten ihre Grundberufe „vergessen“ und sich nur als „Berater/innen“ verstehen und vorstellen sollten. Das scheiterte allerdings.

      Es zeigt sich in solchem Geschehen eine Tendenz zur Deprofessionalisierung, die von vielen, auch Beschäftigten, mitgetragen wird. Grundprinzipien der Beratung[Fußnote 1] machen Menschen das Leben schwer, die eine im administrativen Sinne funktionale Behörde und Organisation wünschen. Leitungskräfte, auch solche einer Beratungsorganisation, können sich von einer „Diktatur der Beratungsfachlichkeit“, die als „Pingeligkeit“ der Berater empfunden wird, eingeschränkt fühlen. Sie sehen sich in der Regel der funktionalen Steuerung verpflichtet, wie sie ihnen von ihren Leitungen abverlangt werden und wie sie sie am eigenen Leib erleben.

      Welchen Sinn und welche Funktion kann und soll Beratung haben? Sie kann der Selbstbestimmung, der Klärung des eigenen Weges dienen und damit befreiende Wirkung haben. Tests, biografische Analyse u.a.m. können für die Abklärung und Meinungsbildung genutzt werden.

      Beratung kann mit diesem Instrumentenkoffer aber auch als Mittel der Steuerung eingesetzt werden. Die Ziele, Werte, Methoden Aufgabenzuweisungen der „Besteller und Finanzierer“ gelten darin als im Kern vernünftig und unhintergehbar. Es geht darum, „Abweichler“, Gehandicapte, Gescheiterte oder vom Scheitern bedrohte Menschen mit Feingefühl in vorgegebene Muster (Fördermodule) „hineinzuprozessieren“ (siehe weiter unten), damit sie geordnet ihren Bildungsweg zu gehen vermögen. Pädagogische oder psychologische Tests können dabei die Rolle der Lenkung und Legitimation von Entscheidungen übernehmen. Ebenso kann es der Analyse von Biografien, Lern- und Entwicklungsverläufen ergehen, die der subjektiven Bedeutungsklärung dienen und den Einzelnen in seinem „intimen Innenraum“ ansprechen. Was für ein (Selbst-) Verstehen der Person und zur Stärkung ihrer Selbstbestimmung geöffnet wird, kann ihr zum Zwecke der optimierten Steuerung enteignet werden.

      Die subjektorientierte Beratung fragt, was die aktuellen Schwierigkeiten mit den Lebenserfahrungen und den daraus gebildeten Bedeutungszuschreibungen des Subjekts zu tun haben. Welche Erfahrungen, Nöte, Verluste, Brüche und Notwendigkeiten stehen hinter einer „Lernstörung“ oder einer Unfähigkeit, „Konsequenz“ zu praktizieren oder Nähe und Abstand zu regulieren?

      Solche Beratungsperspektive kommt nicht aus der Übernahme schulsystematischer Erfordernisse (Schulpflicht, Leistung) zustande, sondern aus der Anerkennung subjektiver Erfahrung des Gegenübers und dem Bestreben, ihm Einsicht in sein Leben und Lernen zu ermöglichen. Was nicht heißt, die Forderungen der Schule zu ignorieren, wohl aber, dass der Berater nicht als ihr Repräsentant auftritt und sich so fühlt.

      Das ist umso schwerer, je stärker schuladministratives Denken auf die Beratungsorganisation durchschlägt. Das kann vielerlei Gestalt annehmen, zum Beispiel die, Meldestelle für Verstöße gegen die Ordnung sein zu müssen, oder per Gutachten über Zuteilung/Nichtzuteilung von Ressourcen zu entscheiden. Das formt die Beratungskultur, das Image und damit auch die Inanspruchnahme. Nicht jede Mutter oder

      jeder Vater, nicht jede Lehrerin mag sich in solchem Kontext ratbedürftig zeigen, sie wissen um die Macht- und Abhängigkeitskonstellation, die aus der staatlichen Ordnungsfunktion, die Schule auch hat, rührt.

      Steuerungsorientierte Beratung stellt sich – freiwillig, aus Gewohnheit, gezwungenermaßen – mehr in den Dienst der Behörde. Sie will politische Ziele (Schulabbrecher, Schulpflicht, Arbeitsmarkt, Inklusion) mit ihren Mitteln durchsetzen, wendet dafür Mittel des Regierens und Steuerns an. Eine behördennahe Beratungsorganisation ist damit politichen Zwecken nahe. Die professionelle Beraterin findet sich in Rollen wieder, die einander über Gebühr widersprechen, zumindest wenn es um Beratung als Möglichkeit der Unterstützung von Selbstbestimmung geht.

      Im Lernverlauf problematische Personen sollen im Steuerungsmodell mit vertretbarem Aufwand (also entsprechend dem gängigen Management-Modell eher technisch-funktional als subjektorientiert-aufklärend) effizient integriert werden. Es geht darum, »Effizienzrendite« durch bessere Steuerung ohne »neue Kostendynamik« herzustellen[Fußnote 2].

      Dort, wo Mittel knapp sind und verknappt werden – die auf Dauer gestellte Unterfinanzierung des Schulsystems ist bekannt – entsteht aus Gründen der Legitimität eine Notwendigkeit, „objektiv“ gerecht und legitimiert, Mittel zu vergeben oder vorzuenthalten. Ähnlichem Rationalisierungserfordernis unterliegt die Erfindung von „Kompetenzorientierung“, „Modularisierung“[Fußnote 3] etc. Sie entstammen nicht einer Logik der Individualisierung, einem Versuch, den individuellen Lern- und Aneignungsprozessen

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