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Beziehungen versagt – wenn dem doch so sein sollte, können sich viele Menschen schon glücklich schätzen. Denn nicht wenige im Nachkriegsdeutschland Geborene haben zusätzlich gewaltsame Erlebnisse wie Schläge und bisweilen Vergewaltigungen, mindestens jedoch verbale Gewalt durch Eltern erlebt, die Kriegszeiten unter Hitler erlebten – und mit ihm die Favorisierung barbarischer Erziehungsmethoden erworben. Sei es durch Väter, nahe Verwandte oder Nachbarn – die Mütter schweigen oftmals dazu, wenn sie nicht selbst in irgendeiner Form missbräuchlich tätig wurden. Auch in der Gegenwart muss vor Gerichten über Gewalt und Missbrauch in Heimen, wie zum Beispiel im Rheinischen Erziehungsheim in Süchteln, verhandelt und geurteilt werden: „In einem Kellerraum musste ich mich vor anderen entkleiden. Mein Kopfhaar wurde mir brutal entfernt. Ich wurde mit einem Wasserschlauch abgespritzt und mit Desinfektionspulver überschüttet.“ (Ruhr Nachrichten, 18. Februar 2009) Diese Vorgänge ereigneten sich von 1968 bis 1973. Der Betroffene stand unter Aufsicht staatlicher Fürsorge. Warum? „Er habe lange Haare getragen, Lernschwierigkeiten in der Schule gehabt, immer wieder geschwänzt.“ Nun wird im Bundestag über eine Wiedergutmachung für Betroffene nachgesonnen. Die katholische Kirche stehe zweifellos in der Verantwortung teilte der Beauftragte des Caritasverbandes, Mario Junglas, mit. „Schläge im Namen des Herrn“, ein Buch des Journalisten Peter Wensierski brachte das Thema 2006 in die Öffentlichkeit: „Nach den Recherchen des Autors wurden in den 1950er und 1960er Jahren mehr als 600.000 Kinder und Jugendliche in rund 3.000 überwiegend kirchlichen aber auch staatlichen Erziehungsheimen sexuell missbraucht und körperlich schwer misshandelt. Auch aus den siebziger Jahren sind noch Fälle bekannt.“ (Ruhr Nachrichten, 18. Februar 2009)

      Die Wirkungen von Vergewaltigungen sind in Tageszeitungen für jeden Bürger nachlesbar: „42-Jährige wurde als Kind vom Vater vergewaltigt und kämpft noch heute gegen Schmerz und Angst an.“ (WR, 7.8.2007). Als Zehnjährige wollte die Tochter mit ihrem Vater im Bett nur kuscheln. Der Vater wollte Sex: „Er vergewaltigte mich, während meine Mutter daneben stand und ihn mit den Worten anfeuerte:, Reite sie ein fürs Leben’.“ Es war nicht die Drohung der Eltern, die diese Frau zum Schweigen veranlasste. Schweigen ließ sie die schier unerschütterliche Liebe, die jedes Kind den eigenen Eltern gegenüber empfindet. Eine Liebe, die so stark ist, dass sie den Gedanken daran, dass diese Eltern Böses tun, kategorisch ausschließt. „Ich habe immer geglaubt, selbst daran schuld zu sein, dass meine Eltern mich so behandelt haben, wie sie mich behandelt haben,“ sagt Tanja Bergmann. (Name von der Redaktion geändert) Erst dreißig Jahre später gelingt es dieser Frau nach zahlreichen Therapieversuchen und drei gescheiterten Ehen zusammen mit ihrem vierten Ehemann, zu dem sie Vertrauen fasste, ihre Geschichte so zu bearbeiten, dass sie in der Lage war, Anzeige gegen die Eltern zu erstatten.

      Aber: „Kindesmissbrauch verjährt 20 Jahre nach dem 18. Geburtstag.“ Man fragt sich, wie der Gesetzgeber zu einer derartigen Verjährungsfrist bezüglich Vergewaltigung und Missbrauch gelangen konnte. Die Betroffene fragt dann auch folgerichtig, wie es möglich sei, dass Mord nicht verjähre, aber Kindesmissbrauch und Vergewaltigung. Dem kann ich mich nur anschließen – insbesondere dann, wenn ich mich an bestimmte Patientinnen erinnere, die ich diesbezüglich behandelt habe – oder an Frauen im Frauenhaus, die von Misshandlungen durch ihre Ehemänner berichteten. Tatsache ist, dass derartige Erlebnisse Jahrzehnte brauchen, bis sie von Opfern in Gänze überhaupt emotional begriffen werden. Natürlich können heutzutage vergewaltigte Mädchen und Frauen und Männer und Jungen Anzeige erstatten – aber das Leid kann sich trotz Kriseninterventionen und Traumabehandlungen hinsichtlich der erfahrenen Gefühlsqualität ins Leben der Betroffenen in völlig anderer Hinsicht ausbreiten – bis eben nach zwanzig oder dreißig Jahren oder noch länger die Gänze dessen, was eigentlich passiert ist, im Lebensverlauf sichtbar geworden ist, das Leid die Qualität von Unerträglichkeit erreicht hat.

      So muss eine heute etwa 50-jährige Frau in den unmöglichsten Situationen, wie zum Beispiel in Dienstzimmern von Ämtern oder in Geschäften, haltlos weinen, weil in ihr plötzlich Erinnerungen aus der Kindheit unkontrolliert hochsteigen. Zum Beispiel, wie ihr Bruder sie cirka seit ihrem 11. Lebensjahr, wenn er aus der Kneipe zurückkam, sexuell missbrauchte. Die „Kinder“ schliefen zu mehreren auf einem Zimmer. Wer mag sich vorstellen, dass eine Mutter von 12 oder 13 Kindern eines ihrer Kind straft, in dem sie nur dieses eine Kind mit nur einer Unterhose bekleidet zwang, auf dem nackten Fußboden zu schlafen (auch im Winter) und auf der Toilette das Essen einzunehmen – während die restliche große Familie ordentlich am Tisch saß? Oder weiter, der Bruder mit der misshandelten Schwester eine Inzestbeziehung führt? Oder eine andere Frau und ihre Geschwister die regelmäßigen Wut- und Demütigungsanfälle des Vaters nicht einfach vergessen können und der Vater die gesamte Familie zwang, am Tisch sitzen zu bleiben und Rede und Antwort zu stehen... Oder ein Mann seine Frau zwingt, sich selbst im Badezimmer die Pulsadern aufzuschneiden und wenn sie es nicht tue, tue er es...! Oder eine Frau wegen unerklärlicher epileptischen Anfällen vor vielen Jahren in meine Praxis kam und mir dann eine Kindheitsgeschichte erzählte, die schier unglaublich klang: So wurde sie mit nacktem Popo als kleines Kind auf den heißen Ofen gesetzt, damit es hört und tut, was die Eltern wollten! Mit sieben wurde sie auf den Strich geschickt, um Geld zu verdienen. Es handelte sich um eine intelligente junge Frau, als sie zu mir kam, die verzweifelt versuchte, den Schatten ihrer Vergangenheit zu entkommen. Durch die Therapie bekam sie mehr Selbstbewusstsein, sie heiratete und bekam Kinder... dann wurde es noch einmal schwierig: wie die Kinder behandeln und erziehen und den Impulsen entkommen, sie so zu behandeln, wie sie selbst behandelt und erzogen worden ist? Ich habe nun schon viele Jahre nichts mehr von ihr gehört und so nehme ich an, sie hat geschafft, was sie sich so sehr wünschte: ein Leben in Frieden zu führen.

      Die betroffene Frau aus dem oben zitierten Zeitungsartikel fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben stark, als sie begriff, dass sie es geschafft hat, sich über die Drohungen ihrer Eltern hinweg zu setzen. Aber auch andere Töchter haben den Verrat durch ihre eigene Mutter erlebt: 2010 war von einer weiteren Mutter zu lesen, die dem Lebensgefährten half, die Tochter zu vergewaltigen! „Mutter half bei Missbrauch der Tochter.“ (Ruhr Nachrichten, 3.8.2010) Der 28-jährige Mann soll das Kind selbst auch in zahlreichen Fällen vergewaltigt haben. Bei einer Gelegenheit soll die Mutter ihre Tochter festgehalten haben, so dass diese sich gegen die Übergriffe nicht wehren konnte.“ Das Kind war anfangs 10 Jahre alt...

      Ein weiterer Fall macht in der Zeitung von sich reden: „Gedemütigt, geschlagen und misshandelt.“ Im Artikel selbst heißt es: „Stunden dauerte das Martyrium des fünfjährigen Julian aus Delligsen (Niedersachsen) bis er an inneren Blutungen starb. Der Lebensgefährte der Mutter hat vor dem Haftrichter zugegeben, das Kind gequält und umgebracht zu haben.“ (Ruhr Nachrichten, 20.8.2010) Der 26-jährige Täter sitzt nun mit einer Mordanklage im Gefängnis. Im August gab er kurz nach seiner Verhaftung ein Statement ab: „Grund waren Nichtigkeiten wie Pinkeln ins Bett., Er hat mich so sehr zur Weißglut gebracht. Ich bin einfach ausgetickt.’“ (Ruhr Nachrichten, 16.11.2010)

      In Bochum wurde nun ein 49-jähriger Familienvater wegen sexuellen Kindesmissbrauchs zu neun Jahren Haft verurteilt: die Staatsanwaltschaft hatte nur fünf Jahre beantragt, das Bochumer Landgericht ging darüber weit hinaus. Der Vater war angeklagt, sich an beiden Söhnen zwischen 1995 bis 2005 vergangen zu haben. „Es soll zu 160 Taten gekommen sein.“ (Ruhr Nachrichten: „Neun Jahre für Kindesmissbrauch.“ 21.8.2010)

      Am 1. September 2010 nun die Schlagzeile aus einem anderen Fall von Missbrauch und Vergewaltigung. Die Tochter wurde von 1999 bis 2001 von ihrem Stiefvater missbraucht. Sie bekam im Alter von 14 Jahren ein Kind. Sie hielt den Namen des Vaters ihres Kindes geheim. Erst dadurch, dass sich die junge Frau ihrem Freund anvertraut hatte, kam die Geschichte ans Tageslicht. Der Vater legte ein Geständnis ab. Er bekam 3 Jahre Gefängnis. Und nun kommt die Begründung des Richters für die milde Strafe: „Dieses Geständnis und vor allem die Tatsache, dass die Taten schon ein Jahrzehnt zurückliegen, begründen die vergleichsweise milde Strafe., Sonst müssten Sie mit mindestens sieben Jahren rechnen’, sagte der Vorsitzende Richter Peter Marchlewski.“ (Ruhr Nachrichten: „Milde Strafe nach Missbrauchsserie“, 1.9.2010) Die Tochter hat lebenslang ein Kind von ihrem Stiefvater, was der Stiefvater aber wohl bisher nicht wirklich realisiert hat: „Als der Mann davon berichtete, dass er bis zum Abbruch des Kontaktes im Herbst 2009 den Sohn des Opfers, immer wie sein eigenes Kind’

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