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Chinesische Lebensweisheit. Richard Wilhelm
Читать онлайн.Название Chinesische Lebensweisheit
Год выпуска 0
isbn 9783742734181
Автор произведения Richard Wilhelm
Издательство Bookwire
Es werden auch die Methoden aufgezeigt, wie man den Leuten das viele Wissen und die damit verbundene Unzufriedenheit abgewöhnen kann:
„Der SINN als höchster macht nichts,
Und nichts bleibt ungemacht.
Wenn Fürsten und Könige ihn wahren können,
So werden sich alle Dinge von selbst entwickeln.
Entstehen dann im Lauf der Entwicklung die Wünsche,
So fessle ich sie durch namenlose Einfalt.
Herrscht namenlose Einfalt, so auch Wunschlosigkeit.
Wunschlosigkeit macht still.
Und die Welt ordnet sich von selbst.“
Und Lautse zeigt auch den zu allen Zeiten gangbaren Weg, wie man das Volk zur Ruhe bringen kann:
„Wenn man die Tüchtigen nicht hochstellt,
Macht man, daß das Volk nicht streitet.
Wenn man schwer zu erlangende Güter nicht wert hält,
Macht man, daß das Volk nicht stiehlt.
Wenn man nichts Begehrenswertes zeigt,
Macht man, daß des Volkes Herz nicht verwirrt wird.“
Darum wirkt des Weisen Leitung also:
„Er leert ihre Herzen,
Er füllt ihren Leib,
Er schwächt ihren Willen,
Er stärkt ihre Knochen
Und macht, daß das Volk ohne Wissen und ohne Wünsche bleibt.“
Es ist der bewußte Gegensatz zu aller Betonung des Fortschritts und zu aller Kulturpolitik, den Lautse hier predigt. Die chinesische Welt damals hatte unter all der Kultur, all der Konkurrenz, all der Volksbelehrung, all der nationalen Begeisterung, all der Religion, all der Moral, all der Heiligkeit und Scheinheiligkeit, da immer ein Heilmittel das andre verdrängte und der Teufel dauernd durch Beelzebub ausgetrieben wurde, genug an Not und Unglück erlebt. Man war der vielen Ärzte des kranken Mannes und der vielen Weltverbesserer nachgerade satt geworden. Endlich sollte die Welt einmal zur Ruhe kommen, und der paradiesische Urzustand sollte die Menschen wieder an der allnährenden Mutterbrust der Natur vereinigen. So malt denn Lautse im letzten Abschnitt seines Büchleins als Ideal eine Utopie, die keineswegs kulturfördernd erscheint:
„Ein Reich mag klein sein und wenig seine Bürger.
Geräte, die der Menschen Kraft vervielfältigen,
Lasse man nicht gebrauchen.
Man lasse die Leute den Tod wichtig nehmen und
Nicht auf weite Reisen gehen.
Und wären auch Schiffe und Wagen da,
Soll niemand darin fahren.
Und wären auch Wehr und Waffen da,
Soll nirgends man sie zeigen.
Man lasse das Volk wieder Stricke knoten
Und zu Mitteilungen verwenden.
Man mache seine Wohnung friedlich
Und fröhlich seine Sitten.
Nachbarvölker mögen in Sichtweite sein,
So daß man der Hähne und der Hunde Laut gegenseitig hört.
Und doch: das Volk stirbt hochbetagt,
Ohne hin und her gereist zu sein.“
Das ist die tatsächliche Auswirkung der Vorstellung des Namenlosen. Diese Lehren würden alle Verkehrserleichterungsmittel, alle militärischen Rüstungen, alle arbeit- und zeitsparenden Maschinen, alles weithin wirkende und lange aufzubewahrende Schrifttum und dergleichen Kulturprodukte vollständig vernichten und die Menschheit in das uralte, wissensfreie, wunschlose, verkehrsfreie Utopien zurückführen.
Lautse hat in seinen Anschauungen manches Kommunistische, ja Anarchistische. Aber das alles ruht bei ihm auf der Überzeugung, daß menschliches Machen überflüssig ist, weil der SINN als allgemeines Weltgesetz wirkt und schafft und schon von selber für Ordnung sorgt. Was wider die Natur ist, wird durch den Naturlauf selbst beseitigt. Die ewig wandelnde Natur duldet kein Starres, im Egoismus sich Verfestigendes, alle Einseitigkeiten müssen immer wieder ausgeglichen werden. Das liegt ganz selbstverständlich im Lauf der Welt:
„Der SINN des Himmels streitet nicht
Und weiß doch zu siegen.
Er redet nicht
Und weiß doch Antwort zu finden.
Er wirkt nicht,
Und doch kommt alles von selbst.
Er ist gelassen
Und weiß doch zu planen.
Das Netz des Himmels ist so groß, so groß,
Weitmaschig und verliert doch nichts.“
Alle Einseitigkeiten werden im Lauf der Zeit von der Natur selbst immer wieder ausgeglichen:
„Was halb ist, wird ganz werden,
Was krumm ist, wird gerade werden,
Was leer ist, wird voll werden,
Was alt ist, wird neu werden,
Was wenig ist, wird erreichen,
Was viel ist, wird verlieren.“
Die Natur duldet nichts Widernatürliches. Der Mensch braucht sich mit seinen Strafen und Belohnungen gar nicht einzumischen. Er verdirbt dabei mehr, als er gutmacht:
„Es gibt stets einen Töter, der tötet.
Wollte man an Stelle des Töters töten,
So wäre das, wie wenn man statt des Zimmermeisters
hacken wollte. Wer statt des Zimmermeisters hacken will,
Kommt selten davon, ohne daß er sich die Hand verletzt.“
Auf diese Macht, die dafür sorgt, daß das Rechte mit gesetzmäßiger Notwendigkeit geschieht, ist nun auch die persönliche Ethik des Lautse eingestellt: Zufriedenheit, Genügsamkeit und Friedsamkeit, Nichtstreiten sind die beiden Pole der persönlichen Ethik des Lautse, deren Grundsätze für ihn allerdings beim Individuum nicht ihre Grenze finden, sondern sich selbstverständlich auch ausdehnen auf kleinere und größere Gemeinschaften; denn die zweifelhafte Logik, daß für den Einzelnen etwas Pflicht sein könne, worüber die Gemeinschaft als solche sich hinwegzusetzen das Recht habe, wäre dem alten Manne mit seinem scharfen Denken unverständlich gewesen. So sagt Lautse mit Beziehung auf die Genügsamkeit:
„Es gibt keine größere Sünde als viele Wünsche,
Es gibt kein größeres Übel als kein Genügen kennen,
Es gibt keinen größeren Fehler als haben wollen.
Darum: Das Genügen des Genügenkennens ist dauerndes Genügen.“
Über die Friedfertigkeit hat er ebenso bestimmte Ansichten. Man wird nicht umhin können, ihn der vielgeschmähten Sekte der Pazifisten zuteilen zu müssen, und zwar der Pazifisten aus Religion.
„Daß Ströme und Meere aller Täler Könige sein können,
Kommt daher, daß sie es verstehen, unten zu sein.
Darum können sie aller Täler Könige sein.“
„Wer nicht streitet, mit dem kann niemand auf der Welt streiten.“
„Höchste Güte ist wie das Wasser.
Das Wasser nützt allen Wesen und streitet nicht.
Es weilt an Orten, die alle Menschen verabscheuen,
Darum kommt