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und gegen eine zunehmende Mechanisierung des Lebens, die Angst vor einer Bedrohung des Geistes und die Vorahnung einer apokalyptischen gesellschaftlichen Katastrophe“ (23), die sich 1914 mit dem Ersten Weltkrieg auch bewahrheitet. Hinzu kommen die gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen in den Jahrzehnten von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg, die sich „für die expressionistische Generation im Erlebnisraum Großstadt“ (24) verdichten. Die ehemalige Reichshauptstadt Berlin, eines der Zentren der expressionistischen Bewegung, wächst beispielsweise von 800.000 Einwohnern im Jahre 1870 auf über zwei Millionen im Jahr 1910. 1920 - also zum Ende des expressionistischen Jahrzehnts - sind es über vier Millionen Einwohner (25). Darüber hinaus entwickelt sich die bis dahin agrarische oder kleinstädtische Lebensform gewöhnte deutsche Nation innerhalb von 50 Jahren zu einer Industriegesellschaft. Diese existentiellen Entfremdungs- und Angsterfahrungen der jungen Generation schlagen sich vor allem in der Lyrik (26) nieder, wie zum Beispiel in dem Gedicht „Städter“ von Alfred Wolfenstein (* 28.12.1883 in Halle (Saale) † 22.1.1945 in Paris), das aus urheberrechtlichen Gründen hier leider nur stark verkürzt zitiert werden darf:

      „Nah wie Löcher eines Siebes stehn Fenster beieinander, drängend fassen Häuser sich so dicht an, dass die Straßen Grau geschwollen wie Gewürgte sehn … Und wie stumm in abgeschloßner Höhle … Steht doch jeder fern und fühlt: alleine. (27) Auch in der Bildenden Kunst spiegelt sich diese Orientierungslosigkeit im Erlebnisraum Großstadt wider, wie zum Beispiel in dem Bild: „Ich und die Stadt“ von Ludwig Meidner. Es zeigt ein Gesicht, das zwischen Häuserschluchten versinkt. Die politischen Ereignisse zwischen 1914 und 1923, also der Krieg, die Revolution, die Nachkriegsmisere und die Inflation, haben den „gesteigerten Ausdruckswillen“ (28) in der Literatur und in der bildenden Kunst zweifellos stark beeinflusst. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass die expressionistische Bewegung schon 1910 deutlich ausgeprägt ist. Die politischen Ereignisse sind nur als ein Teilaspekt bei der Entstehung der expressionischen Bewegung zu berücksichtigen. Die Angst vor der „Selbstentfremdung vom Mitmenschen“ und „von der Gesellschaft vor allem“ (29) hat seinen tieferen Ursprung in der Ablehnung des Naturalismus als Kunstrichtung und als Lebensphilosophie. Der Naturalismus drückt das Lebensgefühl des Menschen im neunzehnten Jahrhundert aus, das durch die Industrialisierung und die zahlreichen Entdeckungen auf dem Gebiet der Technik, der Chemie, der Heilkunde, der Physik etc. geprägt ist: „Die Natur als Wirklichkeit, die Natur als Übermacht, die Natur als regulierendes Gesetz“ (30). Doch diese Naturgesetze, die zum Maß aller Dinge erhoben werden, „legten sich als ... Schlingen um das Individualgefühl des Menschen, zogen sich enger und erstickten es" (31). Die Menschen fühlen sich klein, machtlos und ausgeliefert. “Der Mensch war zum bloßen Anhängsel der Natur geworden, und die Natur, gestachelt von ihrem trunkenen Freiheitsgefühle, stürmte hohnlachend davon und schleifte den geschundenen Menschen am Boden hinter sich her" (32). Diese Geisteshaltung schlägt sich auch in der bildenden Kunst und in der Literatur nieder. Der Naturalismus strebt eine möglichst genaue Abbildung der Wirklichkeit an und lässt der Fantasie keinen Spielraum. Dieses Weltbild, das alles und jedes mit Naturgesetzen zu erklären versucht, und das sich auch in der strengen wilhelminischen Gesellschaftsordnung widerspiegelt, ist der Nährboden für den Expressionismus und die Zurückbesinnung auf das Seelische, das mehr und mehr an Bedeutung zu verlieren scheint. Um die „Erneuerung des Menschen“ (33) und damit der Gesellschaft zu erreichen, gehen die Expressionisten unterschiedliche Wege. Die einen vertrauen sich „ganz der Seele an, die ihnen als die große Heilkraft für den Einzelnen und die menschliche Gesellschaft erscheint - ihre Dichtung ist ein Weg nach innen - die anderen einzig dem Geiste, der hier mit dem aufklärerischen Verstande gleichgesetzt wird - ihre Dichtung ist Politik" (34).

      Doch welchen Weg diese jungen Dichter und Künstler auch einschlagen, sie finden sich alle in den zahlreichen expressionistischen Zeitschriften wieder. Dass sich Walden der Bedeutung seiner Zeitschrift sehr bewusst ist, zeigt ein Zitat aus dem Jahr 1918: „Alle Künstler, die eine führende Bedeutung für den Expressionismus haben, sind an einer Stelle vereint. - Diese ist der Sturm“ (35).

      Die Zeit zwischen 1910 und 1920 wird in der Literatur oft als „das expressionistische Jahrzehnt“ beschrieben. Die Rolle des Expressionismus in dieser Zeit war jedoch gering. Die Kulturlandschaft wurde damals viel weniger von expressionistischen, futuristischen, aktivistischen und dadaistischen Impulsen geprägt, als es von manchen Zeitgenossen nachträglich dargestellt worden ist. „Die Öffentlichkeit lachte und spottete“ (36) zwar über die Expressionisten, „meist aber schwieg“ sie (37). Die Stilismen der Jahrhundertwende standen in der Gunst des Publikums nach wie vor ganz vorn: „Klassiker-Rezeptionen im Zeichen eines trivialen Neuidealismus, der gediegene Roman des poetischen Realismus und nicht zuletzt die Heimatkunstbewegung, waren für das breite Publikum und seine kulturellen Bedürfnisse gewiss repräsentativer als Expressionistisches“ (38).

      Herwarth Walden - biografisches Stationen vor 1910

      Als der expressionistische Dichter und Dramatiker August Stramm gefragt wurde wurde: „Was ist der Sturm“, antwortete er: „Der Sturm ist Herwarth Walden“ (1). Herwarth Walden der „Gründer und Leiter des Sturm vom ersten bis zum letzten Tage“ (2), war die „Seele des Sturm“ (3). Seine persönliche Entwicklung vom unpolitischen Streiter für die Moderne sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Literatur hin zum Kommunisten (4) spiegelt sich im Sturm wider. Bei der Gründung ist „Der Sturm“ ausschließlich als „Wochenschrift für Kultur und die Künste“ (5) gedacht. Im Laufe seiner 22-jährigen Geschichte entwickelt sich „Der Sturm“ mit dem verstärkten politischen Engagement des Herausgebers auch zu einer politischen Zeitschrift. Die Geschichte der Zeitschrift ist nicht zu trennen von der Persönlichkeit des Herausgebers.

      Herwarth Walden wird am 16. September 1878 in Berlin als Georg Lewin geboren. Seine Eltern sind der Arzt Victor Lewin und dessen Ehefrau Emma, geborene Rosenthal (7). Den Künstlernamen Herwarth Walden wird ihm seine erste Frau Else Lasker-Schüler verpassen. Sie nennt ihn erst Goldwart, den Musikanten. Später

      

      wird Herwarth Walden sein offizieller Name (8).

      Walden entstammt einer jüdischen Familie. Seine Eltern sind jedoch keine praktizierenden Juden; trotz ihrer Abstammung sind sie keine aktiven Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Berlin (9). Herwarth Walden genießt im Elternhaus also offenbar keine jüdische Erziehung und fühlt sich auch später nicht als Jude. Wenn es überhaupt einen Anhaltspunkt für die Verwurzelung Waldens mit der jüdischen Tradion gibt, dann äußert sich diese in seinem „Umgang mit dem Wort und das Erleuchten eines Wortinhalts“ (10), der später in seinem Kampf für die Wortkunst zum Ausdruck kommt. Renate Krüger schreibt in ihrem 1966 erschienenen Buch: „Die Kunst der Synagoge - eine Einführung in die Probleme von Kunst und Kult des Judentums": „Die jüdische Bilderwelt ist eine illustrative Unterstützung des geschriebenen Wortes, das im Judentum einen größeren Wert und eine intensivere Wirkung besitzt als in anderen Religionen, auch im Christentum“ (11). Herwarth Walden geht in Berlin auf das Königstädter und das Leibnitzgymnasium (12). An den Berliner Gymnasien besuchen die Schüler seinerzeit je nach Konfession evangelischen, katholischen oder jüdischen Religionsunterricht (13), so kommt Walden mit dem jüdischen Glauben in Berührung. Herwarth Walden führt sich nach Berichten von Zeitzeugen jedoch weder traditionell noch national gebunden, und so kennt auch die Kunst, für die er sich später so vehement einsetzt, keine geographischen oder andere Grenzen. Nell Walden schreibt über ihren Mann: „Wenn mich jemand fragte: Wer war Herwarth Walden, dann müßte ich mit seinem eigenen Wort antworten: Ein Europäer. Er kannte und anerkannte keine traditionellen Bindungen. Er fühlte sich nie als Jude, aber auch nicht als Deutscher. Er liebte zwar Berlin, aber nicht, weil er dort geboren war, sondern weil ihm die Berliner Art gefiel ... Die deutsche Landschaft war ihm ebenso gleichgültig wie irgendeine andere auf der Welt. Es ist ja alles nur Thüringen, pflegte er zu sagen. Damit meinte er etwas recht Hübsches, aber gänzlich Bedeutungsloses“ (14). Trotzdem dürfte seine Geburtsstadt Berlin Waldens fast kosmopolitische Einstellung geprägt haben. Denn „schon in der wilhelminischen Periode entwickelt sich die Reichshauptstadt zu einer für diese Zeit gigantische Weltstadt“ (15). Berlin ist schon vor der Jahrhundertwende mit seinen 100

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