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Joseph Conrad - Seefahrer und Schriftsteller. Joseph Conrad
Читать онлайн.Название Joseph Conrad - Seefahrer und Schriftsteller
Год выпуска 0
isbn 9783738066296
Автор произведения Joseph Conrad
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Издательство Bookwire
Unser dritter Partner war Roger P. de la S..., ein provençalischer Graf vom reinsten skandinavischen Schlag, blond und sechs Fuß groß, wie es sich für einen Nachkommen der seeräuberischen Nordmänner gehört, herrisch, scharf, geistreich und verachtungsvoll; in seiner Tasche hatte er eine Komödie in drei Akten und in seiner Brust ein Herz, das die hoffnungslose Leidenschaft zu seiner schönen Base zerfressen hatte. Sie war mit einem reichen Häute- und Talghändler verheiratet. Er pflegte uns ohne Umstände zum Essen mit in ihr Haus zu nehmen. Ich bewunderte die sanfte Geduld der guten Dame. Ihr Mann war eine verträgliche Seele mit einem großen Vorrat von Selbstverleugnung, die er für „Rogers Freunde“ verbrauchte. Ich vermute, im Stillen schauderte er vor diesen Überfällen. Aber es war ein Carlistensalon, und als solche wurden wir gerne gesehen.
Als Carlismus (auch Karlismus) bezeichnet man eine monarchistische Bewegung in Spanien, die seit 1833 Angehörige einer auf Carlos María Isidro von Bourbon zurückgehenden Seitenlinie des bourbonischen Königshauses und mehrheitlich seit 1952 Angehörige einer auf Francisco Javier von Bourbon-Parma zurückgehenden Seitenlinie des Hauses Bourbon-Parma als Thronprätendenten favorisiert.
Von diesem vordergründigen Ziel abgesehen, waren die Carlisten lange Jahre die Hauptpartei in einem innerspanischen Kulturkampf, welcher sich von der napoleonischen Besatzung bis zum Spanischen Bürgerkrieg von 1936 hinzog und in drei Bürgerkriegen verfochten wurde, den sogenannten Carlistenkriegen. In diesem Kulturkampf kämpften die Carlisten mit ihrer absolutistischen, katholischen aber auch regionale Sonderrechte achtenden Gesinnung gegen die liberalen, später die republikanischen Kräfte in Spanien.
https://de.wikipedia.org/wiki/Carlismus
Die Möglichkeit, Katalonien im Interesse des Rey netto aufzuwiegeln, der damals eben über die Pyrenäen gezogen war, wurde dort viel besprochen.
Don Carlos wird ohne Zweifel viele wunderliche Freunde gehabt haben (es ist das übliche Los aller Thronprätendenten), aber unter ihnen keine maßloseren Phantasten als das TREMOLINO-Syndikat. Wir trafen einander in einer Taverne auf den Kais des Hafens. Die alte Stadt Massilia hat gewiss seit den Tagen der frühesten Phönizier niemals eine wunderlichere Reedergesellschaft kennen gelernt. Wir kamen zusammen, um den Operationsplan für jede Reise der TREMOLINO zu besprechen und festzusetzen. An diesen Operationen war auch ein Bankhaus beteiligt – ein sehr angesehenes Bankhaus. Aber ich fürchte, ich sage am Ende zu viel. Damen waren auch daran beteiligt (ich fürchte wirklich, ich sage zu viel) – alle möglichen Damen, manche waren alt genug, um auf etwas Besseres zu verfallen, als ihre Zuversicht auf Prinzen zu setzen, andere waren jung und voller Illusionen.
Eine dieser letzteren war durch ihre Imitationen verschiedener hochstehender Persönlichkeiten, die sie uns im Vertrauen vorführte, höchst unterhaltend. Sie fuhr andauernd nach Paris, um für die Sache – Por el Rey! (Mit dem König) – zu sprechen. Denn sie war eine Carlistin und zudem von baskischem Geblüt; im Ausdruck ihres tapferen Gesichtes lag etwas von einer Löwin (besonders, wenn sie ihr Haar löste), aber sie hatte die flüchtige kleine Seele eines mit feinen Pariser Federn bekleideten Sperlings, der sich den Spaß machte, unerwartet hervorzuflattern und Verwirrung zu stiften.
Aber ihre Imitation eines wirklich sehr hochstehenden Pariser Standesherrn, den sie darstellte, wie er mit dem Gesicht zur Wand in der Ecke eines Zimmers stand, sich den Hinterkopf rieb und hilflos jammerte: „Rita, du bist mein Tod“, genügte, um einen (wenn man jung und sorgenfrei war) vor Lachen bersten zu lassen. Sie hatte einen alten Onkel, Pfarrer einer kleinen Berggemeinde in Guipuzcoa und gleichfalls ein sehr eifriger Carlist. Ich als das seefahrende Mitglied des Syndikates (dessen Pläne zu einem großen Teil von Doña Ritas Nachrichten abhingen) wurde oft mit demütig liebevollen Botschaften an den alten Mann betraut. Diese Botschaften hatte ich den aragonesischen Maultiertreibern (die zu gewissen Zeiten die TREMOLINO in der Nachbarschaft des Golfs von Rosas bestimmt erwarteten) zu treulicher Weiterbeförderung landeinwärts zusammen mit den verschiedenen gesetzwidrigen Gütern zu übergeben, die heimlich aus den Luken der TREMOLINO an Land gebracht wurden.
Nun habe ich, was die übliche Fracht meiner Seewiege betrifft, wirklich zu viel verraten (ich befürchtete ja, es würde mir am Ende so gehen). Aber es soll auf sich beruhen. Und wenn jemand zynisch vermerkt, ich müsse damals ein viel versprechender Jüngling gewesen sein, so soll auch das auf sich beruhen. Mich geht nur der gute Ruf der TREMOLINO an, und ich versichere, dass ein Schiff an den Sünden, Vergehen und Torheiten seiner Männer immer unschuldig ist.
Es lag nicht an der TREMOLINO, dass unser Syndikat so sehr auf den Verstand und die Weisheit und die Nachrichten der Doña Rita angewiesen war. Sie hatte zum Besten der Sache – Por el Rey! – ein kleines eingerichtetes Haus am Prado gemietet. Sie mietete immer kleine Häuser zu irgend jemandes Bestem, für Elende oder für Betrübte, für heruntergekommene Künstler, ausgebeutelte Spieler, zeitweise unglückliche Spekulanten, – vieux amis (alte Freunde) – alte Freunde, wie sie entschuldigend und mit einem leichten Zucken ihrer schönen Schultern zu erklären pflegte.
Ob auch Don Carlos einer der „alten Freunde“ war, lässt sich schwer sagen. Man hat in Rauchsalons von noch unwahrscheinlicheren Dingen gehört. Ich weiß nur, dass ich an einem Abend, als gerade die Nachricht von einem beträchtlichen carlistischen Erfolge die Getreue erreicht hatte, den Salon des kleinen Hauses betrat und plötzlich um Hals und Rücken gefasst und beim Gepolter umfallender Möbel zu einer in warmem tiefem Alt gesummten Walzermelodie rücksichtslos durch das Zimmer gewirbelt wurde.
Als ich aus der schwindlig machenden Umarmung entlassen wurde, setzte ich mich auf den Teppich – plötzlich und ohne Verstellung. In dieser wenig würdevollen Lage wurde ich gewahr, dass J. M. K. B. mir ins Zimmer gefolgt war, elegant, unheilvoll, tadellos mit weißer Schleife und großer Hemdbrust stand er ernst da. Als Antwort auf seinen höflich finsteren, langen Frageblick hörte ich Doña Rita in einiger Verwirrung und Unruhe murmeln: „Vous êtes bête, mon cher. Voyons! ça n’a aucune conséquence.“ (Dumm sind Sie, mein Lieber. Mal sehen! es hat keine Wirkung). Wenn ich auch durchaus zufrieden war, dass dieser Fall keine besonderen Folgen haben sollte, so hatte ich doch die Ansätze zu einem gewissen weltlichen Sinn schon in mir.
Ich brachte meinen Kragen wieder in Ordnung – um die Wahrheit zu sagen: Es hätte ein runder über einer kurzen Jacke sein müssen, aber es war kein runder – und bemerkte passend, ich wäre gekommen, um mich zu verabschieden, denn ich wollte noch in dieser Nacht mit der TREMOLINO in See gehen. Unsere Gastgeberin wandte sich, immer noch ein wenig außer Atem und ein ganz kleines bisschen in Unordnung gebracht, streng an J. M. K. B. und wünschte zu wissen, wann er mit der TREMOLINO oder sonst wie ins königliche Hauptquartier abzureisen gedächte. Beabsichtigte er, fragte sie ironisch, etwa bis zum Vorabend des Einzuges in Madrid zu warten? So stellten wir durch die gescheite Anwendung von Takt und Strenge das atmosphärische Gleichgewicht des Raumes wieder her, und zwar lange bevor ich mich um Mitternacht von ihnen trennte, die sich indessen wieder sanft und mild versöhnt hatten. Ich ging zum Hafen hinunter und rief die TREMOLINO von der Kajenkante aus mit dem üblichen leisen Pfiff an, unserem Signal, das der immer wachsame Dominic, der „Padrone“ unweigerlich hörte.
Schweigsam hob er eine Laterne hoch, um mir für die Schritte über die schmale, federnde Laufplanke, unser primitives Fallreep, zu leuchten. „Dann kann es ja losgehen“, murmelte er, sowie mein Fuß das Deck betreten hatte. Ich war der Vorbote plötzlicher Abfahrten, aber nichts in der Welt konnte so plötzlich kommen, dass es Dominic überrascht hätte. Sein dicker, schwarzer Schnurrbart, den er jeden Morgen vom Barbier an der Ecke des Kais brennen ließ, schien ein stetes Lächeln zu verbergen. Aber niemand, glaube ich, hatte jemals den wirklichen Schnitt seiner Lippen gesehen. Wenn man die langsame, unerschütterliche Ernsthaftigkeit dieses breitbrüstigen Mannes sah, konnte man meinen, er hätte nie in seinem Leben gelacht. In seinen Augen lauerte ein Schatten