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Die haben keine Ahnung, wer noch alles in ihrem Land lebt. Sie möchten gern glauben, dass sie die Einzigen sind. Aber die anderen Völker sind immer noch da, sie haben sich nur zurückgezogen. Wir Bolde lassen die Zwerge in Ruhe und hoffen, dass sie uns in Ruhe lassen.”

      Patrick dachte darüber nach, während sie über steinige Wege liefen. Es war nicht die Richtung, aus der er mit Nanobert aus dem Vulkangebiet gekommen war. Mehr und mehr säumten Graspflanzen den Weg, bald sprossen Sträucher, und nach einer Stunde sah sich Patrick von Büschen und Bäumen umgeben. Immer tiefer gerieten sie in dichten Wald. Als die Abenddämmerung hereinbrach, begann sich Patrick zu fragen, warum er diesen Fremden so bereitwillig in ihr Lager folgte. Schön, sie hatten ihn aus dem Sumpf gerettet, aber war das ein Grund, ihnen zu vertrauen? Wie konnte er sicher sein, ob sie nicht Übles mit ihm vorhatten? Wer sagte denn, dass es dieses Lager überhaupt gab! Vielleicht brachten sie ihn nur irgendwohin, wo sie in aller Ruhe mit ihm Sachen anstellen konnten wie neulich die menschenfressenden Saturn-Dämonen auf Kanal 16, wonach Patrick stundenlang nicht einschlafen konnte, weil er immerzu daran denken musste, wie diese Dämonen -

      „Da ist unser Lager”, sagte Pek.

      Patrick blinzelte und versuchte in die Wirklichkeit zurückzufinden. Vor ihm lag eine Lichtung, in deren Zentrum ein großes Feuer loderte. Mehrere kahlköpfige Gestalten hockten drum herum und rösteten an langen Spießen irgendwelche Nahrungsmittel. Kaum einer würdigte die Neuankömmlinge eines Blickes. Vereinzelte Bäume wuchsen hier; einige sahen aus, als hätte ihnen ein übermütiger Schneider großzügig geschnittene Gewänder angepasst. Vom Boden aufwärts schwangen sich Stoffbahnen und oben ragten die Baumkronen wie aus Kragen heraus.

      „Habt ihr diese Bäume verhüllt?”

      „Ja”, erwiderte Pek.

      „Sollen das … sollen das Kunstwerke sein?”

      „Nein. So wohnen wir. Komm, ich bringe dich zu unserem Anführer. Er hat sein Quartier dort, um die große Eiche.”

      Patrick folgte Pek auf den knorrigen Baum zu, der die ausladendste Stoffumhüllung von allen besaß, mit einer Markise über dem Eingang. Durch Nähte und Ritzen drang flackerndes Licht.

      Es sind Zelte, kam es Patrick in den Sinn. Sie bauen Zelte um Bäume herum!

      „Warte hier.” Pek ließ Patrick stehen, schlug eine Stoffbahn beiseite und verschwand im Innern des Baumkleides. Gleich darauf drangen gedämpfte Stimmen heraus. Patrick bemühte sich, etwas zu verstehen, doch es war zu leise …

      „He! Was machst du denn da?”

      Patrick fuhr herum. Ein grobschlächtiger Bold ragte vor ihm auf.

      „Äh, ich, äh …”

      „Du lügst!”, donnerte der Bold. „Dafür kriegst du jetzt die Fresse poliert!”

      Der Grobian hob eine beunruhigend große Faust. Patricks Kehle wurde trocken. Er sah die Faust über sich, die ihn gleich zerschmettern würde und duckte sich, umklammerte seinen Kopf mit den Händen.

      Einige Sekunden lang wartete er auf den vernichtenden Hieb.

      „Hör auf, Rok, der Kleine hat schon genug durchgemacht.”

      Das war Gaks Stimme. Patrick wagte einen Seitenblick – tatsächlich, da stand der dünne Bold und lächelte.

      „Lass mich in Ruhe meine Arbeit machen!” Rok holte noch höher mit seiner Faust aus, hob sie über seinen Kopf.

      „Pass auf, dass dir deine eigene Pranke nicht auf den hohlen Schädel fällt! Das Echo wäre eine unzumutbare Lärmbelästigung.”

      „Halt’s Maul, Gak! Ich hab’ deine dummen Sprüche satt!” Rok drehte sich zu Gak, der ein paar tänzelnde Seitwärtsschritte machte. Patrick gewann den Eindruck, dass Gak den Hünen ablenken wollte.

      „Zeig doch mal, ob du dich auch an erwachsene Gegner rantraust!” Gak fand offensichtlich ein diebisches Vergnügen daran, Rok weiter zu reizen. Der grobschlächtige Bold schnaufte vor Wut und stapfte auf Gak zu. Ein kraftvoller Schlag mit seiner geballten Rechten – doch der Dünne war flink ausgewichen und Roks Faust krachte in einen Buchenstamm. Rindensplitter spritzten. Rok brüllte vor Schmerz auf.

      Gak stand etwas abseits und schüttelte mit gespieltem Mitleid den Kopf. „Wieder etwas gelernt: Greife niemals einen Gegner an, der vor einem Baumstamm steht.”

      „Maul halten! Hilf mir hier raus!”

      Patrick erkannte, dass der wütende Bold mit seiner Faust im Baum feststeckte; sein Unterarm war tief ins Holz eingedrungen. Was für eine Kraft musste dieser Kerl haben!

      „Später vielleicht”, sagte Gak. „Es tut dir sicherlich ganz gut, eine Weile über dein Fehlverhalten nachzudenken. Und wenn du damit fertig bist, dann über dein Leben, das Leben an sich, die Welt und das Weltall und den Sinn von alledem. Ich wünsche dir recht viel Freude und Erbauung.”

      Damit wandte sich Gak ab, gesellte sich zu den Bolden am Lagerfeuer und ließ Patrick mit Rok allein.

      Die Buche wirkte stark und fest. Eine grüne Schlingpflanze rankte sich um den Stamm, um Zweige, durch Astgabeln. Der feststeckende Bold tat Patrick fast leid. Rok atmete schwer und warf ihm böse Blicke zu.

      „Ich bin nicht schuld daran”, sagte Patrick schließlich.

      Rok knurrte. Es klang wie Löwengrollen.

      „Du hast mich angegriffen. Das hast du nun davon.”

      Rok knirschte mit den Zähnen. Es klang wie Mühlsteine.

      „Warum wolltest du mich verprügeln?”

      Rok schnaubte auf. Es klang wie eine Dampflokomotive. „Ist nun mal das Einzige, was ich kann”, stieß er hervor. „Ich bin ein Raufbold!” Er arbeitete verbissen daran, freizukommen, stemmte sich gegen den Stamm. Seine Knochen knackten.

      Patrick näherte sich vorsichtig dem lahmgelegten Koloss. Dessen Wut und Unvorsicht hatten ihn in diese Lage gebracht. Und jetzt steckte Rok in diesem Baum fest wie Patrick vor kurzem im Sumpf.

      Aber ihm hatte dort jemand herausgeholfen.

      „Wie kann ich dir helfen?”, hörte Patrick sich fragen, noch ehe er die Folgen durchdacht hatte.

      „Woher soll ich das wissen?” Roks Stimme klang schwächer. „Aber egal, was du tust, tu es schnell. Mein Arm wird langsam gefühllos.”

      Patrick wusste nicht recht, wieso er sich verantwortlich fühlte für diesen groben Burschen, doch er hatte das unbestimmte Gefühl, dass er ihm helfen sollte.

      Und auf einmal fiel ihm seine Schwester Jessika ein. „Wenn ich nicht weiter weiß, spreche ich mit den Bäumen”, hatte sie zu ihm gesagt. „Bäume wissen alles, weil sie so alt sind. Bäume sind die besten Lehrer, die man sich wünschen kann.”

      Ohne genau zu wissen, was er da tat, begann Patrick zu dem Baum zu sprechen.

      Und der Baum antwortete ihm.

      Patrick war überrascht, denn das hatte er nicht erwartet. Doch nach einer Schrecksekunde setzte er den Dialog fort. Es war ein Gespräch ohne Worte, nur Gedanken wurden ausgetauscht.

      Ich bin Patrick.

      Ich bin Ervaliac.

      Das verstehe ich nicht. Du bist ein Baum.

      Ervaliac ist mein Name. Glaubst du, nur ihr Beweglichen besitzt Namen?

      Schwingungen. Patrick spürte Schwingungen in seinem Gehirn, die von dem Wesen ausgesandt wurden, das ein Baum war und behauptete, den Namen Ervaliac zu tragen. Die Schwingungen waren fremdartig aber angenehm. Ein warmes Gefühl durchströmte Patrick, als er die Äußerungen der Buche empfing.

      Du tust mir gut, gab er ihr zu verstehen.

      Das freut mich.

      Freude durchdrang auch Patrick; er fühlte sich selbst wie ein Baum im Wind, dessen Zweige sich genießerisch bogen, dessen Blätter

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