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schlechter es mir ging, desto deutlicher wurde mein Wunsch nach einer Auszeit. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als nur zu liegen, mir die Decke über den Kopf zu ziehen und vielleicht auch endlich einmal wieder zu schlafen. Anfangs konnte mein Mann diesen Wunsch nicht nachvollziehen. Wie auch. Ihm erging es nicht so. Ich machte ihm daraus natürlich keinen Vorwurf. Ich musste mich ihm nur besser erklären, damit er mich verstand. Ich wollte, dass er mich verstand. Wir rechneten lange durch, ob wir es uns leisten könnten, wenn ich kündige. Das Ergebnis war, dass wir eingeschränkt zurechtkämen und gelegentlich an unsere Ersparnisse gehen müssten. Christian musste sich an diesen Gedanken erst gewöhnen, und auch ich war in meiner Entscheidung nicht gefestigt. Als ich meinen halb gefassten Entschluss zu kündigen mit meiner Therapeutin Frau K. besprach, war sie entsetzt. Sie riet mir dringend, mich von einem Psychiater krankschreiben zu lassen. Sie drang tief in mich und beschwor mich, nicht zu kündigen. Im Ernst, an eine Krankschreibung hatte ich nur einmal kurz gedacht. Doch ich glaubte, mein Zustand „erlaube“ keine Krankschreibung. Es ginge mir gar nicht schlecht genug, um das zu rechtfertigen. Doch Frau K. rückte die Situation ins richtige Licht und meinte nur: „Wie schlecht soll es Ihnen denn noch gehen? Es ist gerechtfertigt!“

      Zu einem Psychiater zu gehen – das war für mich ein schwieriger Schritt, und ich hatte Angst vor diesem Termin. Tausende Fragen waren in meinem Kopf. Wird er mich ernst nehmen? Wird er meine Situation verstehen? Was will er alles von mir wissen? Der Termin dauerte dann allerdings nur zehn Minuten. Wissen wollte der Herr Psychiater kaum etwas von mir. Schnell hatte ich die Diagnose Depression „bescheinigt“. Ich war entsetzt, als ich die Diagnose schwarz auf weiß in Zusammenhang mit mir selbst las. Mir war schon klar, dass die Bezeichnung richtig war. Doch es auch bestätigt zu bekommen, empfand ich als seltsam und schlimm.

      Ich wurde von dem Psychiater Stück für Stück für insgesamt zehn Wochen krankgeschrieben. In dieser Zeit versuchte ich erst einmal, aufzuatmen und zur Ruhe zu kommen. Das war jedoch leichter gesagt als getan. Meine innere Unruhe machte mich an manchen Tagen fast verrückt. Auch mein schlechtes Gewissen meinen Kollegen gegenüber konnte ich kaum abstellen. Dazu meine Übermüdung – manchmal tat mir mein Körper vor Müdigkeit regelrecht weh. Mein Gesicht fühlte sich so furchtbar an, als wäre ich verprügelt worden. Ich bekam Medikamente, damit ich wieder schlafen konnte. Diese wirkten aber erst langsam. Trotzdem blieben die Zappeligkeit und die Unruhe in mir. Das Kortison half mir einerseits natürlich gegen die Vaskulitis, doch die Nebenwirkungen machten mir echt zu schaffen.

      „Christian, was ist das? Hörst du das auch? Dieses Pfeifen, ganz leise?“ Nein, mein Mann hörte kein Pfeifen. Kein leises und auch kein lautes. Ich hatte, vermutlich durch meinen gestressten Zustand, nun auch noch einen Tinnitus entwickelt. Vierundzwanzig Stunden begleitete mich jetzt ein Pfeifen im rechten Ohr. Je stiller es war, desto deutlicher hörte ich es. Großartig. Ich fand das Rauschen meines Pulses im Ohr schon unangenehm genug. Jetzt hatte ich auch noch ein Pfeifkonzert. Die Angiologin konnte mir nicht weiterhelfen. Die allgemeine Behandlung von einem Tinnitus sei Kortison. Ha, das nahm ich ja bereits. Super. Also hieß es abwarten.

      Nach ein paar Monaten, in denen es um meine Gesundheit langsam besser stand, beruhigte sich mein Ohr, und mein Tinnitus verschwand. Das war so wohltuend …

      Unser Hase „Graue Eminenz“ starb Mitte Februar. Er war bereits neun Jahre alt und schon einige Wochen krank. Im Herbst bekam er eine Erkältung, durch die er einen dicken Eiterabszess mitten auf der Nase entwickelte. Es war wirklich furchtbar. Wir pflegten ihn intensiv, waren oft beim Tierarzt und hofften auf die Wirkung von drei verschiedenen Antibiotika. Doch unser „Dicker“ magerte immer mehr ab. Wir taten wirklich alles, was in unserer Macht stand, seine Leiden zu lindern. Doch am Ende fehlte ihm einfach jegliche Kraft. Er starb beim Tierarzt. Als ich ihn im Korb nach Hause brachte, kam mir unser Hund Nora entgegen und schnüffelte am Korb. Sie zog sofort den Schwanz ein und ließ die Ohren hängen. Sie roch den Tod, da bin ich mir sicher. Als Christian und ich es Fabian erzählten, weinte er nicht, er schrie – ohne Unterbrechung – eine halbe Stunde lang. Wir konnten ihn kaum beruhigen. Es war entsetzlich. Er tat mir so unendlich leid. Fabian liebte unseren Hasen einfach so sehr. Seit seiner Geburt hatte er ihn immer um sich. Unser Dicker bekam ein Grab in unserem Garten. Christian hob den gefrorenen Boden aus, so tief es ging. Fabian und ich gaben unserem Häschen noch einen Kuss auf sein Tuch, in das er eingewickelt war, und dann war es vorbei. Am Abend streichelte ich unseren kleinen Spatz in den Schlaf, noch immer konnte er nicht aufhören zu weinen und zu wimmern. In den nächsten beiden Tagen wollte Fabian mit mir ein Holzkreuz für den Hasen basteln. Wir sägten, lackierten und malten. Am Ende hatten wir ein wunderschönes, blaues Kreuz mit Bildern darauf. Das tat Fabian sehr gut. Mir ehrlich gesagt auch. Unser Hase war eben viele Jahre ein Familienmitglied.

      Nach den ersten vier Wochen Kortison reduzierten wir die tägliche Dosis. Innerhalb kurzer Zeit veränderten sich meine Blutwerte wieder, die Entzündungsparameter stiegen. Das war der nächste Schlag für mich. Das Telefonat mit meiner Angiologin, bei dem ich die aktuellen Ergebnisse erfuhr, war so niederschmetternd. Ich weinte anschließend ohne Unterlass. Diese Mitteilung bedeutete, dass ich zwei zusätzliche Medikamente nehmen musste, die ich früher schon einmal bekommen hatte. Zum einen Humira, subkutane Spritzen, die ich alle zwei Wochen von Christian gespritzt bekam. Zum anderen MTX-Tabletten, ein Chemopräparat, das die Wirkung der Spritzen verstärken sollte. Die Konsequenz aus dieser erneuten Dreierkombination war, dass – egal, wie lange dieser Rückfall andauerte – es für ein zweites Baby wieder Wartezeiten geben würde und: Der Rückfall war schwieriger in den Griff zu bekommen als gedacht. Während des Klinikaufenthalts meinte Fr. Dr. R., in zwei bis drei Monaten könnte der „Spuk“ eventuell vorbei sein. Doch nun? Ich weiß heute nicht mehr, wie ich diese Wochen und Monate überstanden habe. Ich war mut- und kraftlos und wäre am liebsten den ganzen Tag unter meiner Bettdecke geblieben. Ich versuchte aber irgendwie, tapfer zu sein und für mein Kind den Kopf oben zu halten. Liebe Freundinnen haben mich unterstützt, sich mein Gejammer angehört, wenn mein Mann nicht da war. Sie haben mir Mut zugesprochen, meine Traurigkeit ertragen und mir zusammen mit Christian, Fabian und der Familie meines Mannes durch diese Zeit geholfen. Christian hat mir nie all seine Gefühle und Gedanken aus jener Zeit offenbart. Das ist seine Art, und es ist in Ordnung für mich. Doch ich war einfach oft gereizt und launisch und weinerlich. Ich hätte so dringend eine Schulter zum Ausweinen gebraucht. Und das oft! Doch das konnte er mir nicht geben. Später erklärte er es mir. Er hatte nicht immer die Kraft dazu, mich zu trösten. Bei jeder, wie ihm schien, Kleinigkeit brauchte ich ihn. Er steht mir seit so vielen Jahren bei und konnte einfach nicht immer eine weinende Frau im Arm halten. Ich tat ihm leid, und er konnte meine Arteriitis nicht lindern. Das machte ihn hilflos. Als er sich so öffnete, verstand ich ihn von Herzen. Doch vorher kam es bei mir fast wie Desinteresse an. So empfindlich war ich eben. Ich versuchte nun, ihn nicht mehr mit Lappalien zu konfrontieren. Meine langjährige Freundin Chrissy, Christine oder Zsóka, meine engsten Vertrauten, mussten an seiner Stelle „herhalten“. Oder ich schluckte mehr runter. So fand mein Mann in den Momenten, in denen ich ihn wirklich und wahrhaftig brauchte, die Kraft, mich in den Arm zu nehmen und weinen zu lassen.

      Leider hatte ich in dieser schrecklichen Zeit wenig Unterstützung von meiner eigenen Familie. So, wie sie in den vergangenen Jahren besorgt um mich waren und sich um mich kümmerten, so wenig waren sie jetzt für mich da. Mein Bruder rief mich kein einziges Mal an, um sich nach mir zu erkundigen. Meine Eltern fragten in meinen zehn Wochen Arbeitsausfall nicht nach, wie ich zurechtkomme und wie es mir gehe. Vor meinem Rückfall gab es viele Streitereien in meiner Familie. Die Gründe möchte ich hier nicht erwähnen. Meine Eltern sagten mir Monate später, ich hätte doch bei ihnen um Hilfe bitten können. Sie wussten bei all den Streitereien nicht, wie sie mit mir umgehen sollten. Und um nichts Falsches zu tun, hätten sie lieber gar nichts getan. Ich war lange sehr wütend auf sie, denn sie haben in meinen Augen alle Themen vermischt. Ich war enttäuscht, dass sie ihr Kind im Stich und andere Themen nicht einfach ruhen ließen. Als mein Vater im Herbst zuvor eine schwere Entzündung hatte und zwei Wochen lang das Bett hütete, rief ich trotz Streit beinahe täglich bei meinen Eltern an und erkundigte mich nach ihm. Trotz aller Differenzen wollte ich ihnen in dieser Zeit beistehen und sorgte mich stark um meinen PaPa. Ich hätte mir so sehr gewünscht, sie hätten in der umgekehrten Situation ähnlich agiert. Ich hätte sie so gebraucht. Es hätte mir sehr gut getan, wenn sie mir ab und zu meinen Sohn abgenommen hätten. Das war nicht ein

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