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Dschungel zu wilden Gorillas?

      Aber es half alles nichts. Nach fünf Minuten hatte er seine beiden Flaschen mit Wasser gefüllt, seinen Rucksack überprüft, und die vier brachen auf in den Dschungel.

      Das Wort „Silberrücken“ ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Was es damit wohl auf sich hatte?

      3. Das dunkle Gesicht

      Kaum hatten sie das grüne Dickicht betreten, fühlte sich Alex zurückversetzt in die grauenvolle Reise am Morgen. Ein Ast nach dem anderen schlug ihm ins Gesicht und zerkratzte seine Haut. Wie er diesen Dschungel hasste! Niemals hätte er sich darauf einlassen sollen. Aber jetzt war es zu spät. Jetzt war er dabei und musste die Sache irgend­wie überleben.

      Kusuni schien jeden Pfad, jeden Baum, sogar jedes Loch zu kennen. Für Alex sah alles gleich aus. Aber Kusuni bewegte sich mit einer Sicherheit durch das grüne Durcheinander, die Alex vollkommen unverständlich war. Zu so etwas konnte nur ein Einheimischer fähig sein, jemand, der sein ganzes Leben hier im Urwald verbracht hatte. Immer wieder blieb er stehen und lauschte oder betrachtete sich einen Ast oder den Boden.

      Einmal als er stehenblieb, deutete er nach oben und blickte zu JayJays Vater. Dieser nickte den Jungen zu und wies mit seinem Kopf in die Höhe. Ganz hoch in den Bäumen konnte Alex etwas Dunkles, Großflächiges erkennen.

      „Das“, erklärte JayJays Vater, „ist der Schlafplatz eines Gorillas. Weil der Platz so groß ist, vermute ich, dass hier ein Weibchen mit ihrem Jungen geschlafen hat. Gorillas bauen sich abends aus Zweigen, Ästen und Blättern ein Bett in den Bäumen. Sehr alt sieht dieser Schlafplatz nicht aus. Wir sind auf der richtigen Spur.“

      Kusuni ging weiter und die anderen folgten ihm. JayJay schien irgendwie nervös zu werden. Ständig sah er sich nach Alex um, als wolle er ihm zeigen, dass sie gleich am Ziel seien. Seine Augen strahlten förmlich, er konnte seine Vorfreude kaum im Zaum halten. Alex schüttelte nur immer wieder voller Unverständnis seinen Kopf und kämpfte sich mühevoll Schritt für Schritt vorwärts. Manchmal schien es ihm, als würden ihn die Äste mit Absicht festhalten. Wenn es nur nicht so heiß und schwül wäre! Und wenn es nicht überall juckte und kratzte! Hinter jedem Blatt schien sich eine Ameise, Schnecke oder Mücke zu verstecken. Alex fühlte sich von unsichtbaren Augen beobachtet und dem unzähligen Leben wehrlos ausgeliefert. Er war zwar größer als das ganze Getier, aber deutlich in der Unterzahl.

      Nach einer kurzen Zeit blieb Kusuni erneut stehen. Er hielt JayJays Vater einen Zweig hin. „Sie sind nicht weit“, flüsterte dieser. „Seht ihr, wie die Rinde hier vom Ast abgezogen wurde? Hier hat vor kurzem ein Gorilla gefressen.“

      Während JayJays Vater erzählte, begutachtete Kusuni den Boden und winkte gleich die anderen herbei.

      „Hier ist die Bestätigung.“ Die Augen von JayJays Vater begannen zu leuchten. „Das hier ist der Handknöchel-Abdruck eines Silberrückens. Songo war hier. Vor knapp einer halben Stunde. Jetzt ist besondere Vorsicht geboten. Denkt dran, Jungs, dass Ihr immer ruhig sein müsst.“

      Vorsichtig verließ Kusuni die Stelle und ging der kleinen Gruppe voran. Jetzt macht er komische Schnalzlaute - immer wieder. JayJay tippte seinem Vater auf die Schulter und sah ihn fragend an: „Warum tut er das? Gerade jetzt sollen wir doch still sein.“

      „Er zeigt den Gorillas, dass wir uns ihnen nähern. Sie kennen dieses Geräusch. So wissen sie, dass wir kommen. Dann erschrecken sie sich nicht und wissen, dass wir keine Feinde sind. Das haben wir Ihnen in mühsamer Arbeit beigebracht.“

      Immer wieder blieb Kusuni stehen, lauschte und wieder­holte den Schnalzlaut. Alex spürte, wie sich bei den anderen eine gewisse Spannung ausbreitete. Aber bei ihm machte sich nur noch mehr Lustlosigkeit breit. Er war müde und er hatte überhaupt keine Lust mehr, diese blöden Tiere zu sehen.

      Mit einem Mal stockte Kusuni ganz plötzlich und gab mit seiner Hand ein unmissverständliches Zeichen: Bleibt stehen und bewegt euch nicht! Alex konnte nicht erkennen, was die Ursache für dieses Stehenbleiben war. Aber er spürte, dass er gehorchen musste. So blieben sie einige Minuten stehen und warteten. Alex merkte, wie sein Herzschlag schneller wurde. Irgendwas stimmte hier doch nicht. Fliegen setzten sich auf Arme und Gesicht. Er wollte sie verscheuchen, aber er durfte sich ja nicht bewegen. „Ich muss mich kratzen! Ich muss mich kratzen!“ dachte er wieder und wieder. Der Schweiß lief ihm in Strömen die Stirn hinab und zog nur noch mehr Fliegen an.

      Während er in Gedanken immer noch mit den lästigen Tierchen beschäftigt war, hörte er es. Und es traf ihn wie ein Hammer mitten auf den Kopf. Ein lautes Schnauben, ein Schopf von Blättern raschelte, wie eine Welle ging eine Bewegung durch das Geäst und kam auf ihn zu. Da sah er es: das riesige dunkle Gesicht, fast schwarz. Er sah, wie durch die runden Nasenlöcher Luft ausgeblasen wurde.

      „Nicht in die Augen sehen! Das provoziert ihn und er wird wütend!“ raunte JayJays Vater von der Seite.

      Die Augen konnte Alex ohnehin nicht sehen, sie lagen im Schatten der großen Augenbrauenwülste. Aber er spürte, dass die beiden Augen jeden fest im Griff hatten. Die Fliegen waren plötzlich egal. Alex hielt die Luft an, er konnte sich nicht mehr rühren. Dann drehte sich der dunkle Schädel weg und verschwand in der dunkelgrünen Wand aus Blättern. Das Rascheln seiner Bewegungen wurde immer leiser.

      „Das war der Silberrücken“ hauchte JayJays Vater. „Das war Songo.“

      Alex, noch immer unfähig sich zu bewegen, war wie vom Blitz getroffen. Das riesige Gesicht hatte sich in sein Gehirn und sein Herz gebrannt. Er war wie gebannt. Er musste dieses Gesicht wiedersehen, und gleichzeitig spürte er noch immer, wie ihm die Angst ganz tief in den Knochen steckte. Seinen Ärger über die Hitze und die Fliegen gab es nicht mehr.

      JayJays Vater fuhr fort: „Das war eine wichtige Begegnung. Der Silberrücken hat uns gesehen und er akzeptiert uns. Damit dürfen wir uns bei seiner Familie aufhalten und sie beobachten. Ihr habt euch sehr gut verhalten, Jungs! Vor allem du, Alex.“ Aber Alex hörte kaum zu. „Kommt, wir gehen noch ein Stück weiter, dann sehen wir vielleicht den Rest der Gruppe.“

      Als er sah, dass JayJay und die beiden Männer sich wieder in Bewegung setzen, erwachte Alex aus seiner Starre und folgte ihnen.

      Nach vielleicht fünf Minuten blieb Kusuni erneut stehen. Alex' Herz raste vor Aufregung. Er starrte in die tausend verschiedenen Grüntöne des Dschungels, in der Hoffnung irgendetwas zu sehen. Er meinte eine kleine dunkle Gestalt zu erkennen, aber es war ihm kaum möglich, durch die Schichten der Blätter irgendetwas Konkretes auszumachen. Dann hört er wieder das tiefe Grunzen von vorhin und er bekam eine Gänsehaut.

      „Das war Onana,“ wisperte JayJays Vater. „Man kann das gut erkennen, denn er läuft oft auf zwei Beinen, nur wenige Gorillas können das. Die meisten stützen sich beim Gehen mit ihren Händen ab. Onana ist Songos Sohn. Normalerweise kümmern sich die Mütter um den Nachwuchs, aber Onanas Mutter wurde vor drei Monaten von Wilderern getötet. Seitdem kümmert sich Songo um ihn. Wenn ihr ihn seht, ist Songo nie weit entfernt.“

      Kusuni lauschte kurz in den Dschungel, dann sah er auf die Uhr und gab ein Zeichen, dass der Ausflug für heute beendet sei. Mit Kusuni an der Spitze traten sie den Rückweg an – nicht weniger mühevoll und vorsichtig als den Hinweg.

      Kurz nachdem sie erschöpft im Camp angekommen waren, verschwand innerhalb von wenigen Minuten die Sonne und der Urwald verlor seine Farben. Alex kam es vor, als wäre das Camp von einem riesigen schwarzen Felsen umgeben. Und aus diesem Felsen kamen die wildesten und unheimlichsten Geräusche: Zischen, Rascheln, Kreischen, dumpfe Schläge. Als er an diesem Abend unter seinem Moskitonetz lag und die Augen schloss, hatte er wieder das Gesicht des Silberrückens vor Augen. Noch immer wusste er nicht, was es mit diesem geheimnisvollen Wort auf sich hatte. Aber plötzlich war klar, dass Songo genauso war wie der vermeintliche schwarze Felsen: undurchschaubar und unbesiegbar.

      4. Der zweite Tag

      Alex hatte seinen Schlaf eigentlich bitter nötig, aber er bekam in dieser Nacht nicht viel davon. Nachdem er die Malaria-Tablette eingenommen und sich schlafen gelegt hatte, konnte er kein

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