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Читать онлайн.Hiernach dürfte es klar sein, welche Stimmung mich bei dem Gedanken an die Auslieferung nach Russland befiel.
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Die Ursache meiner Verhaftung
Die Ursache meiner Verhaftung
In Deutschland, als einem Rechtsstaate, besteht die gesetzliche Bestimmung, kraft deren niemand länger als vierundzwanzig Stunden ohne richterliche Verfügung inhaftiert werden darf. Mir, dem Ausländer gegenüber hielt man sich jedoch nicht so genau hieran gebunden, und es vergingen zwei Tage, bevor ich dem Richter zugeführt wurde. Nachdem der Richter die üblichen Fragen nach Namen, Herkunft und Stand gestellt, erklärte er mir, dass ich als Ausländer, dessen Personalien nicht sofort festgestellt werden können, in Haft bleiben müsse. Ich könnte zwar, fügte er hinzu, gegen diese seine Bestimmung Beschwerde erheben, aber nützen würde mir das nichts. In der Tat wurde meine diesbezügliche Beschwerde abgewiesen.
So war ich denn nach diesem Verhör ebenso klug in Bezug auf die Veranlassung zu meiner Verhaftung wie vorher. Nach wie vor stellte ich die verschiedensten Vermutungen hierüber an. – Die Ungewissheit ist stets ein qualvoller Zustand, aber am meisten haben darunter Gefangene zu leiden. In meiner Lage wurde diese Ungewissheit zur schlimmsten Seelenfolter. – Erst nach drei Tagen, die mir endlos erschienen, wurde ich wieder vor den Untersuchungsrichter geführt. Nachdem abermals die üblichen Personalienfragen erörtert waren, fragte er mich, ob mir die Ursache meiner Inhaftierung bekannt wäre? Als ich dies verneinte, gab er mir folgende Aufklärung:
Einige Tage vor meiner Ankunft aus Basel waren aus demselben Orte zwei Männer eingetroffen, der Schweizer Sozialist G. und der Pole Jablonski; sie waren ebenfalls im „Freiburger Hof“ abgestiegen und hatten ebenfalls in ihren Koffern Bücher mitgebracht. Diese Bücher hatten sie alsdann nach Breslau gesandt unter der Adresse eines Mannes, der einige Tage zuvor auf Grund des Sozialistengesetzes verhaftet worden war. Infolgedessen waren die Postpakete von der Polizei beschlagnahmt und darin sozialistische Broschüren in polnischer Sprache gefunden worden, die in Deutschland verboten waren. Da die Absender als Adresse den „Freiburger Hof“ angegeben hatten, waren die Broschüren nach Freiburg zurückgesandt worden, um gegen die Absender die Untersuchung einzuleiten. Es war daher dem Gasthofe Befehl erteilt worden, im Falle die Genannten oder andere verdächtige Personen aus der Schweiz dort eintreffen sollten, die Polizei zu benachrichtigen. Dies war also die Ursache, dass der Hoteldiener, als er erfuhr, dass ich Bücher im Koffer habe, nach Beratung mit dem Hotelier Anzeige erstattet hatte, worauf die Polizei erschien. Der Agent hatte unter den Büchern eines gefunden, das äußerlich einem von denen ähnlich sah, die sich in den Breslauer Paketen befanden, den „Kalender der Narodnaja Wolja“; zumal er dann bei mir einige Exemplare des „Sozialdemokrat“ fand, lag hinreichender Verdacht vor, der meine Verhaftung veranlasste. Es wurde daher die Anklage erhoben, dass ich im Verein mit anderen Personen mich der Verbreitung polnischer, in Deutschland verbotener Schriften schuldig gemacht habe.
Bei dieser Sachlage war es mir nicht schwer, die Anklage zu widerlegen. Unter meinen Büchern fand sich nicht ein einziges polnisches, überhaupt keines, gegen das ein Verbot in Deutschland ergangen war; der Besitz einiger Exemplare des „Sozialdemokrat“ involvierte noch kein Vergehen. Die Untersuchung reduzierte sich somit darauf, ob ich mit jenen Personen in Verbindung stand, und ob ich nicht dennoch in Deutschland verbotene Schriften verbreitet hätte.
Der Zufall allein hatte somit zu meiner Verhaftung geführt. – „Wären Sie nicht im
‚‚Freiburger Hof‘ abgestiegen, hätte niemand daran gedacht. Sie zu verhaften“, meinte der Untersuchungsrichter, Herr Leiblein.
Nachdem ich das erfahren, wurde mir leichter zumute. – „Es ist also vorläufig noch nicht alles verloren“, überlegte ich; „möglich, dass die Sache glatt abläuft und ich bald freigelassen werde; wenn nur die russische Regierung aus dem Spiele bleibt.“ – Das ungefähr waren die Gedanken, die mich beschäftigten, während der Untersuchungsrichter das Protokoll niederschrieb. Ganz unvermittelt sagte er dann, auf einen Herrn deutend, der etwas abseits an einem Tische saß: „Das ist der Übersetzer, der uns in Ihrer Sache unterstützt, ein Professor unserer Universität ...“
Ich hatte nicht genau hingehört. Während des Verhörs hatte ich mich bereits einige Mal nach jenem Herrn umgeschaut; er schien mir bekannt, und seine Anwesenheit beunruhigte mich unwillkürlich.
„Sie können mit dem Herrn Professor sich russisch unterhalten“, schloss Herr Leiblein, als er für kurze Zeit das Zimmer verließ, um ein Schriftstück zu holen.
„Erkennen Sie mich nicht wieder?“ wandte sich der Übersetzer an mich.
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Professor Thun – Meine Verteidigung
Professor Thun – Meine Verteidigung
„Professor Thun?!“ rief ich, im höchsten Grade erstaunt.
„Freilich! Habe ich mich denn so verändert, dass Sie mich nicht gleich erkannten?“ Er erwartete jedoch kaum eine Antwort auf seine Frage und fügte unvermittelt hinzu: „Also, wie kann ich Ihnen helfen?“
„Wissen Sie, wer ich eigentlich bin?“ fragte ich, statt zu antworten, und es überlief mich kalt.
„Allerdings, ich kenne Ihren wirklichen Namen ... Aber erschrecken brauchen Sie deshalb nicht! Sie sind ja ganz bleich geworden.“
In der Tat hatten mir seine Erklärungen einen nicht gelinden Schrecken eingejagt.
Ich hatte Professor Thun ungefähr anderthalb Jahre vor dem in Rede stehenden Vorgang kennen gelernt, und zwar in Basel, wohin ich mich begeben hatte, um etwas abseits von den Kolonien russischer Flüchtlinge zu sein. Ich war an der Universität immatrikuliert und hörte Nationalökonomie und Statistik bei Professor Thun. Einer der Baseler Arbeiterführer, Karl Moor, hatte mich persönlich mit dem Professor bekannt gemacht, der mich einfach für einen russischen Studenten hielt, meinen wirklichen Namen damals nicht kannte, sondern den angenommenen Namen Nikolaus Kridner. Er hatte mich aufgefordert, ihn zu besuchen, und mich in seinen Plan, eine Geschichte der revolutionären Bewegung in Russland zu schreiben, eingeweiht. Von diesem Plane hatte ich bereits vorher erfahren, und zum Teil hatte mich das nach Basel gelockt. – Professor Thun war ein geborener Rheinländer, hatte in Dorpat studiert und dann einige Jahre im Inneren Russlands zugebracht, sprach daher geläufig Russisch und wusste in russischen Verhältnissen ziemlich gut Bescheid. Als er aus unseren Gesprächen ersah, dass mir die Geschichte der russischen revolutionären Bewegung nicht unbekannt sei, schlug er mir vor, ihm bei der Arbeit zu helfen, was ich natürlich mit Freuden annahm. So kam es, dass wir ziemlich intim bekannt wurden.
Auf diese Weise lernte ich denn auch die Anschauungen kennen, die Professor Thun in Bezug auf die russischen Terroristen und ihre Taten hegte; er verdammte sie rückhaltlos. Seiner Überzeugung nach war es Pflicht der europäischen Regierungen, solchen Personen das Asylrecht zu verweigern und sie wie gewöhnliche Verbrecher der russischen Regierung auszuliefern. Besonders erinnerte ich mich lebhaft des folgenden Vorganges. Professor Thun hatte im Baseler „Freisinnigen Verein“ vor einem zahlreichen Publikum einen Vortrag gehalten über „zwei Episoden der russischen revolutionären Bewegung“. Diese Episoden waren: das Attentat gegen Alexander II. und der Tschigiriner Prozess. Als er auf den letzteren zu sprechen kam, beschrieb er eingehend, wie „Stefanowitsch, Bochanowski und Deutsch aus der Kiewer Feste ausgebrochen waren“, und schloss mit der Bemerkung, dass derartige Verbrecher im Auslande weilen und dass „es leider“ bisher nicht gelungen sei, ihrer habhaft zu werden.
Ich hatte dann Gelegenheit, nach dem Referat mit ihm über diese Dinge zu sprechen, und empfing den Eindruck, dass wenn Professor Thun meinen wirklichen Namen kennen würde, er zweifellos nicht nur den Verkehr mit mir abbrechen, sondern unter Umständen vielleicht bereit sein würde, mitzuwirken, dass man meiner „habhaft werde“. Das veranlasste mich denn auch, meine persönlichen Beziehungen zu ihm auf ein Minimum zu reduzieren, und bald darauf verließ ich