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meine Ausführungen bestätigt. Dann fuhr er fort: „Es ist möglich, dass man Sie zu Unrecht des Verbrechens beschuldigt, welches in dem Bescheid der russischen Regierung erwähnt wird, und ich bin bereit, Ihnen beizustehen, sich zu verteidigen. Sie müssen wissen, dass in Deutschland die Pflicht des Staatsanwalts nicht darin besteht, unter allen Umständen zu verdammen, sondern es ist seine Aufgabe, die Wahrheit zu erforschen und einen zu Unrecht Angeklagten zu befreien. Geben Sie mir also die Mittel an, die Sie zu Ihrer Verteidigung brauchen; ich werde, soweit es von mir abhängt, Ihnen beistehen.“

       Diese Wandlung in dem Verhalten des Staatsanwalts war jedenfalls auf den Einfluss des Professors Thun zurückzuführen. Ich wusste wohl, dass eigentlich keine Hoffnung mehr vorhanden war, aber ich wollte die günstige Stimmung des Herrn v. Berg benutzen, um Zeit zu gewinnen. Verzögerte sich die Auslieferung, dann war vielleicht die Möglichkeit einer Flucht gegeben. Dankend nahm ich das Anerbieten des Staatsanwalts, mir die Verteidigung zu erleichtern, an und bat ihn, mir die Möglichkeit einer Verständigung mit meinem Rechtsanwalt und dem Übersetzer zu geben, da ich ohne Kenntnis des deutschen Rechtsverfahrens ihren Rat einzuholen wünsche. Vorderhand bot ich den Beweis an, dass ich der gesuchte Deutsch nicht sein konnte, da dieser meines Wissens in London weile und wohl bereit sein würde, dies zu bestätigen, wenn man ihn ausfindig mache. Ich hoffte durch Vermittlung des Professors Thun es so einzurichten, dass einer der russischen Flüchtlinge in London diese Rolle übernehme. Herr v. Berg erklärte mir, dass die Gewährung meines Gesuchs beim badischen Justizminister liege, an den er sich wenden werde. Damit war das zweite Verhör beendet.

      Die Ereignisse nahmen jedoch jetzt ein reißendes Tempo an. Früher hatte ich oft wochenlang auf ein Verhör warten müssen und hatte einige Mal aus eigenen Stücken gefordert, vor den Untersuchungsrichter geführt zu werden, weil ich hoffte, auf diese Weise etwas über den Lauf der Dinge zu erfahren. Jetzt dagegen ging alles schneller, als ich wünschte. Am nächsten Tage wurde ich bereits wieder vor den Staatsanwalt beschieden. Diesmal befand sich in der Amtsstube außer Herrn v. Berg, dem Schriftführer, dem Aufseher Roth, der an der Tür Posto fasste, noch ein mir fremder Herr in der Uniform eines russischen Justizbeamten, mit einem glitzernden Orden im Knopfloch.

      „Guten Tag, Deutsch! Kennen Sie mich nicht wieder?“ fragte dieser Unbekannte mich mit einschmeichelnder Stimme auf Russisch. „Ich bin Vertreter des Staatsanwalts am Petersburger Appellationsgerichtshof, Bogdanowitsch. [Es ist derselbe Bogdanowitsch, welcher nachher den Posten eines Gouverneurs in Ufa bekleidete und im Sommer dieses Jahres (1903) von den Revolutionären für seine grausame Unterdrückung der streikenden Arbeiter in Slatoust ermordet wurde.] Sie werden sich meiner wohl erinnern: als Sie in Kiew in Haft waren, war ich Vertreter des dortigen Staatsanwalts.

       „Ich habe niemals in Kiew im Gefängnis gesessen“, antwortete ich, „und habe nicht das Vergnügen, Sie zu kennen, mein Herr,“ fügte ich gelassen hinzu. Ich hatte diesen Beamten in der Tat nie im Leben gesehen.

      „Jawohl, es unterliegt keinem Zweifel, es ist Deutsch“, wandte sich Bogdanowitsch an seinen deutschen Kollegen. –

      „Und ich behaupte, dass es nicht wahr ist“, erklärte ich.

      „Wir werden jedoch jedenfalls Herrn v. Bogdanowitsch mehr Glauben schenken“, bemerkte Herr v. Berg, „und Sie werden an Russland ausgeliefert werden.“

      „Es sei drum!“ sagte ich. „Sie werden damit der russischen Regierung Gelegenheit geben, noch einen Unschuldigen nach Sibirien zu verbannen.“

      „Unschuldige werden bei uns niemals nach Sibirien geschickt!“ erklärte Bogdanowitsch mit Aplomb.

      „O, nicht nur nach Sibirien verbannt man Unschuldige, sondern man schickt sie aufs Schafott!“ rief ich. „Sie, mein Herr, sagen, dass Sie der Staatsanwaltschaft in Kiew angehörten; es muss Ihnen also bekannt sein, oder vielleicht waren Sie selbst an dem Morde beteiligt, den man an einem unmündigen Knaben, dem Studenten Rosowski, vollbracht hat; er wurde gehängt, trotzdem das Standgericht selbst zugegeben hat, dass seine ganze Schuld darin bestand, eine Proklamation im Besitz gehabt und über deren Herkunft die Aussage verweigert zu haben.“ Rosowski wurde zu Beginn 1889 in Kiew hingerichtet.

      „Rosowski wurde hingerichtet nicht nur, weil man eine Proklamation bei ihm gefunden, sondern weil er Mitglied der sozialistischen Partei war“, erklärte Bogdanowitsch lächelnd dem badischen Staatsanwalt.

      „Nun sehen Sie!“ wandte ich mich an diesen, „bei Ihnen in Deutschland sitzen die Abgeordneten der sozialistischen Partei im Reichstag und nehmen somit an der Gesetzgebung des Staates teil; nach der Anschauung des russischen Staatsanwalts und unserer Regierung genügt es, wenn jemand der Angehörigkeit zur sozialistischen Partei verdächtig ist, ihn an den Galgen zu schicken, ohne dass dieser Verdacht erwiesen wäre.“

       Die beiden Herren fanden nicht bald eine Erwiderung auf meine Worte. Auf den deutschen Juristen schien jedoch anfangs dieses wahrheitsgemäße Beispiel Eindruck gemacht zu haben. Andererseits aber sah ich, dass dem stolzen Herrn v. Berg die Anwesenheit des Staatsanwalts vom Petersburger Appellationsgerichtshof ungemein imponierte. Von Zeit zu Zeit vertiefte er sich in den Anblick des blitzenden Ordens an der Brust des Russen, und wenn er mit ihm sprach, lag in seiner Stimme eine mir bisher an ihm fremde Süßlichkeit, wobei er sich alle Mühe gab, den Namen Bogdanowitsch richtig herauszubringen, was ihm viel Schwierigkeiten zu bereiten schien und recht komisch wirkte. Wohl um sich dem Vertreter der russischen Justiz, der diesmal durchaus nicht in der Rolle des Wahrheit suchenden Gesetzesdieners erschien, im besten Lichte zu zeigen, bemerkte mir Herr v. Berg spitz:

      „Ich sehe, dass Sie um Ausflüchte nicht verlegen sind und die Regierung Ihres Landes in recht düsteren Farben zu schildern versuchen. Aber was Sie auch gegen diese Regierung vorbringen mögen. Sie werden ihr ausgeliefert werden, und ich bin fest überzeugt, dass man Sie in Russland dem Gesetze gemäß behandeln wird.“

      „O gewiss, gewiss!“ beeilte sich Herr Bogdanowitsch zu versichern.

      Ich wurde in meinen Kerker abgeführt. Was ich während der nächsten Tage fühlte, brauche ich wohl nicht zu schildern, der Leser wird es sich ausmalen können, wenn er sich in meine Lage versetzt. Es war mir klar, dass jede Hoffnung auf Befreiung aussichtslos war; aber ich konnte mich noch immer nicht mit diesem Gedanken aussöhnen, und mein Hirn arbeitete immer wieder an neuen Fluchtplänen, obgleich ich mir sagen musste, dass es ganz vergebens war. Ich rechnete darauf, dass die Verhandlungen über meine Auslieferung noch einige Zeit in Anspruch nehmen würden, und machte mich daran, einen langen konspirativen Brief an meine Freunde zu verfassen, den ich durch Professor Thun abzusenden hoffte. Ehe ich damit fertig war, vergingen zwei oder drei Tage, und ich wurde abermals vor den Staatsanwalt zitiert, trotzdem es gerade Sonntag war. Man hatte es augenscheinlich sehr eilig.

      „Unsere Regierung hat beschlossen, Sie auszuliefern“, eröffnete er mir, „doch unter der Bedingung, dass Sie in Russland vor ein ordentliches Gericht gestellt werden und nur wegen der Teilnahme an dem Mordversuch gegen Gorinowitsch zur Verantwortung gezogen werden. Ihr Gesuch um eine Unterredung mit dem Verteidiger und dem Übersetzer ist abschlägig beschieden.“

       Nachdem er mir den Beschluss der badischen Regierung verlesen, erklärte mir Herr v. Berg, dass man mich noch am selbigen Tage nach Russland schaffen werde. Ehe ich ging, bemerkte ich, dass man mich in Russland jedenfalls vor ein Ausnahmegericht, ein „Kriegsgericht“, wie man es dort nennt, stellen würde und nicht vor ein ordentliches.

      „Nun, das ist unmöglich, das wäre eine Verletzung des Vertrags, es widerspräche dem Völkerrecht“, erwiderte v. Berg.

      * * *

      Reisevorbereitungen

       Reisevorbereitungen

      In der Zelle angelangt, begann ich meine Reisevorbereitungen. Das war nicht ganz einfach. Trotz aller übertriebenen Maßnahmen bei der Überwachung der Sachen, die mir meine Freunde zuschickten, hatte ich mich in den Besitz einer englischen Feile zum Durchschneiden von Eisengittern gesetzt, einer Schere, um nötigenfalls Bart und Haar zu schneiden, und auch Geld in deutschen und russischen Banknoten hatte ich bei mir. Ich musste also diese Dinge irgendwie unterbringen.

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