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NACHT ÜBER DUNKELHEIT. M.D. Redwood
Читать онлайн.Название NACHT ÜBER DUNKELHEIT
Год выпуска 0
isbn 9783754176702
Автор произведения M.D. Redwood
Серия Nacht über Dunkelheit
Издательство Bookwire
»Jetzt macht mal langsam«, unterbrach Vigor die beiden. »Welcher Kurswechsel?«
Volker deutete mit einer Handbewegung auf den Dorfschulmeister. Er sollte erzählen.
»Du warst ursprünglich für eine militärische Gelehrtenausbildung eingetragen«, erklärte der Lehrer. Vigor verzog den Mundwinkel: militärische Gelehrtenausbildung. Was sollte ein militärischer Gelehrte sein? Das widersprach sich in Vigors Augen doch irgendwo gegenseitig.
»Auf diese Weise hätten wir gesehen, welche Verwendung du innerhalb des Großherzogtums hättest einnehmen können«, fuhr der Dorfschulmeister fort, »wahrscheinlich eine Aufgabe am Hof.«
Volker nickte. »Dann hast du halt dick aufgetragen, auf meinem Rücken.«
»Nein«, erwiderte Vigor. »Du hast dick aufgetragen und ich dich wieder zusammengeflickt.«
»Genau, sag ich doch.«
»Als ihr zwei mir von deinen neu entdeckten Fähigkeiten erzählten«, mischte sich der Dorfschulmeister wieder ein, »wusste ich, dass wir dich stattdessen in die magische Ausbildung stecken sollten. Aus diesem Grund haben wir dich entsprechend ausgerüstet. Sobald wir an Land sind, werde ich deinen Kurswechsel beantragen.«
»Aber wozu habt ihr mich jetzt schon als Magier verkleidet?«
»Wir haben dich nicht verkleidet«, Volker schüttelte den Kopf. »Du bist ein Magier, selbst wenn du nackt wärst.«
Vigor seufzte.
»Und außerdem«, Volker sah Vigor an, »geht es wieder darum deine Herkunft zu verschleiern. Wenn du wie ein Gelehrter ankommst und dann zu den Magiern wechselst, dann bist du bei den hohen Herrn gleich unten durch.«
»Hohe Herren, dass sind meine Mitschüler?«, fragte Vigor. »Äh, Kommilitonen, meine ich.«
»Richtig«, antwortete Volker. »Und gut, dass du so was weißt. Ich hätte dieses blöde Wort nicht von der Zunge gebracht.«
»Aber nur weil es dir zu blöd ist.«
»Klar.«
Der Diener und zwei weitere Kollegen brachten das Essen verdeckt unter großen Silberglocken hinein. Vigor betrachtete das polierte Silber. Sein Gesicht spiegelte sich in der Wölbung. Es verschwamm vor seinen Augen, während er glaubte den Geruch eines Holzfeuers zu atmen. Er hatte ein flaues Gefühl, aber die weiß gekleideten Herren brachten ihm vielleicht auch ein Abendessen.
Volker stieß ihn an. Vigor erwachte aus seinem Tagtraum. Der dunkel gekleidete Diener sah Vigor unsicher wartend an. Vigor lächelte höflich ohne den leisesten Schimmer, was man von ihm wollte. Er nickte leicht, wie zum unsicheren Gruß. Nun wurden die Tablettes vor ihnen abgestellt und die Silberglocken abgenommen. Der Diener, der die Bestellung aufgenommen hatte, holte einen Krug Rotwein aus einem Kabinettschrank und begann auszuschenken. Plötzlich meinte der Dorfschulmeister: »Keinen Wein für die Jungs.«
Der Diener nickte, sein Gesicht sah aber empört aus. Wie konnte man den preisgekrönten und weltbekannten Wein aus den sonnigen Landen ablehnen?
»Sonnenakademie«, erwähnte der Dorfschulmeister kurz angebunden. Das Gesicht des Dieners hellte auf. Er winkte einem anderen, der sofort mit einem Krug roten Traubensaft kam. Vigor verstand, sie durften keinen Alkohol trinken. Dass alle Genussmittel in der Sonnenakademie verboten oder beschränkt waren, wusste er allerdings nicht. Doch den Bediensteten war dies bekannt, schließlich waren die Grundregeln der Akademie des Sonnenordens volkstümliches Allgemeingut. Die Diener zogen sich zurück und ließen die drei wieder allein.
»So Jungs, einen guten Appetit allerseits.« Der Dorfschulmeister strahlte über beide Ohren, während er sich die Hände rieb. Vigor und Volker sahen ihn an, dann auf dessen Teller. Die Jungen wussten, warum der alte Lehrer so fröhlich war. Er hatte eine Portion Hirschfilet in Rotweinsoße mit Beilagen vor sich stehen. Volker grinste. »Es muss sich ja auch für Sie irgendwie bezahlt machen, uns zu begleiten.«
»Das hat es sowieso, Königliche Hoheit.«
Während sie aßen, verschwand vor dem Fenster der blaue Himmel in der Nebelbank.
»Ihr hättet Euren Vater wirklich über Vigor aufklären sollen«, sagte der Dorfschulmeister plötzlich. »Seine Königliche Hoheit hätte viel Geld sparen können und für Vigor wäre es einfacher und womöglich förderlicher gewesen.«
»Wieso das?«, fragte Volker skeptisch.
»Die Eignungsprüfung der Universität hätten dem Großherzog und Vigor Planungssicherheit gegeben. Lady of Trolley hätte ihn vielleicht kurzfristig auf seine Talente untersucht und seine Königliche Hoheit beraten.«
»Ja und? Wir wissen, dass er ein Heiler ist.«
»Stimmt«, fuhr der Dorfschulmeister fort. »Das kommt mir aber auch gerade. Wer ist denn der beste Heiler weit und breit?«
»Ach so«, gestand Volker nun. »Sir Mike of Trolley natürlich.«
Vigor hörte schweigend, aber aufmerksam zu. Ihm wurde bewusst, dass die Welt der Herrschenden komplexer war, als er geahnt hatte. Offenbar war sein Sonderweg durch die Stände ein echter Kunstgriff.
»Genau den meine ich.«
»Aber, dann hätte man Vigor und mich getrennt«, verteidigte sich Volker. »Wer hätte ihn dann in die Welt des Adels eingeführt? Es gibt sehr viele Fettnäpfchen in die er treten kann. Jetzt können wir gemeinsam zumindest einen Teil der Ausbildung durchlaufen.«
Vigor unterstützte Volker. »Ich bin froh, dass ich an der gleichen Schule wie Volker bin. Sonst wäre ich ganz allein und ich kenne sonst niemand.«
»Und ich wäre allein, weil mich mag sonst niemand«, brummte Volker, wobei sich Vigor nicht sicher war, ob sein Freund dies ernst meinte und wenn ja, darüber traurig war oder nicht.
»Aber der Sonnenorden wird sicherlich keinen fähigen Heiler abweisen«, vermutete Volker.
»Ich ...« Der Dorfschulmeister stockte. »Nein, wohl nicht.«
Er warf Vigor einen wohlwollenden Blick zu, der den Jungen allerdings eher beunruhigte. Vigor begriff, dass sein Ausbildungsgesuch wohl nicht oft vorkam. Er kannte den Sonnenorden von den Geschichten und Sagen. Aus diesem Grund konnte sich Vigor auch denken, dass eine Ausbildung unter dem Goldenen Turm ein Privileg war, dass sich alle Kinder wünschten und wofür die Familien der Auserwählten tief in die Taschen greifen mussten.
Schließlich brach die Fähre durch die Nebelwand. Vigor und Volker waren an Deck, in der Kabine war ihnen einfach zu langweilig. Vigor sah den Nebel entlang. Eine hohe Klippe begrenzte auf der Steuerbordseite die Bucht, welche das Schiff anlief. Die Nebelwand endete etwa drei Schiffslängen vor dem steilen Fels. Hoch auf dem Berg hinter der Klippe thronte eine Wehrburg. Vor allem der mächtige, rechteckige Bergfried fiel auf, der weit über die Zinnen und Dächer ragte. Die äußere Ringmauer rahmte die ganze Klippe ein. Darunter lag der Hafen. Sie passierten gerade den weißen, runden Leuchtturm am Ende des Mittleren von drei langen Stegen. Im Vergleich zu den mächtigen Bauten am Ufer und der Klippe wirkte das weiße Türmchen geradezu putzig. Direkt am Leuchtturm war auch ein Wohnhaus angebracht, wohl das des Leuchtturmwärters.
Dahinter konnte Vigor die Masten von unzähligen kleinen Fischkuttern erkennen. Die fröhlich bunt bemalten Kutter lagen auch an vielen anderen Anlegestellen, überall da, wo gerade Platz gewesen war. Offensichtlich war der Nebelsee sehr fischreich. Die meisten Schiffe hatten ein oder zwei Masten. Neben den Handelsschiffen und Fähren fielen die Kriegsschiffe durch ihre Bewaffnung auf. Alle Dreimaster waren Fähren oder Linienschiffe. Die Fähren waren dunkelbraun, die Kriegsschiffe dunkelblau und goldfarben angestrichen.
Links von der Hafenanlage zog sich die Stadt Sonnensee um die Bucht, weit bis nach Backbord der Fähre. Vigor ging mit den Augen die Küstenlinie entlang. Die ganze Bucht lag im strahlenden Licht der Spätsommersonne. Auf der linken Seite, begrenzte eine weitere Klippe den weißen Sandstrand. Vigor war sich recht sicher, dass dies einer der wenigen