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EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN?. Albert Helber
Читать онлайн.Название EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN?
Год выпуска 0
isbn 9783754186619
Автор произведения Albert Helber
Жанр Социология
Серия Mentale Evolution und menschliche Geschichte
Издательство Bookwire
Imitierendes Lernen lebt von Beobachtung und Prägung. Auch Beobachtung aber muss gelernt werden. Wer beobachtet muss wissen, was beobachtet werden soll. Was beobachtet wird ist abhängig vom mentalen Entwicklungsgrad eines Menschen. Beobachtet werden zunächst Objekte, mit denen der Hominide sich beschäftigt und spielt. Formen, Konsistenz oder Farben charakterisieren das Objekt und werden irgendwann auch über seinen handwerklichen Gebrauch entscheiden. Beobachtet werden Ereignisse. Man will wissen, wie Andere mit den Objekten umgehen, wie sie sich bewegen, spielen, singen etc. Beobachtet werden auch Ziele: Für angehende Jäger und Sammler ist es wichtig zu beobachten, welche Tiere gejagt werden, welche Pflanzen oder Beeren gesammelt werden und welche gefährlich oder giftig sind. Objekte, Ereignisse, Handlungsziele machen neugierig, werden beobachtet und gelernt, vermutlich ohne sich dessen bewusst zu sein. Ob die Hominiden sich des Beobachtens oder Nachahmens schon bewusst waren, wissen wir nicht. Wenn Kinder in der Individual-entwicklung beobachten, nachahmen und lernen, so geschieht dies spielend und ohne besondere Aufmerksamkeit oder Bewusstheit. Mentale Intelligenz ist ein prozesshaftes Geschehen in der Evolution und auch in der Individualentwicklung des Menschen. Wann in der mentalen Evolution zum Menschen zum ersten Mal bewusst erlernt wurde, wissen wir nicht und auch nicht welches Bewusstsein welchen Lernschritt begleitet. Auch Bewusstsein ist ein Entwicklungsprozess vom Gefühl zum Verstand.
Parallel zum Beobachten der Kinder benutzen tierische- und menschliche Eltern für ihre Kinder die „Aufmerksamkeitslenkung“ oder das sog. „Priming“. Durch Deutung, durch Kopfwendung oder durch Benutzen von Lauten oder Namen werden Kinder auf etwas aufmerksam gemacht. „Objekt-priming“ macht auf Objekte aufmerksam, „Goal-priming“ auf Handlungsziele. Die Aufmerksamkeitslenkung oder das „Priming“ kann von Emotionen oder Gefühlen und so bereits vorhanden auch vom Verstand gelenkt werden. In welcher Form es beim Beobachten und Lernen der frühen Hominiden eingesetzt wurde wissen wir nicht. Da schon Tiere die Neugier ihrer Kinder lenken, wird „Priming“ auch das Nachahmen der frühen Hominiden begleitet haben. Die Psychologen R. Byrne und A. Russon 36 unterscheiden schließlich nochmals zwei zum Ziele führende Aktionen, welche das Lernen stimulieren. Sie unterscheiden eine „action level imitation“, in welcher die manuelle Form der Aktivität beobachtet wird und eine „program level imitation“, mit welcher die Intention oder die Absicht einer Handlung hinterfragt wird. Bei „program level imitation“ aber geht es um mehr als um Beobachtung. Es wird versucht, hinter jeder Handlung die Emotionen oder die Gedanken zu erkennen, die zur Handlung führen. Der Anthropologe Tomasello spricht in diesem Zusammenhang von einem „Intentionalen Verstehen“ 37,38. Dieses „Intentionale Verstehen“ eines Anderen auf Grund einer Handlung ist für Tomasello eine Fähigkeit, mit welcher sich in seiner Vorstellung die Menschen von ihren tierischen Vorfahren unterscheiden. Dieses „Intentionale Verstehen“ setzt einen psychologischen Umgang von Menschen und die Entwicklung von Empathiefähigkeit voraus, die wir noch ansprechen werden.
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Objekte, Ereignisse und eventuelle Ziele zu beobachten, zu erkennen und mit ihnen zu lernen sind frühe Entwicklungsstufen in der Entwicklung der Hominiden und auch in der Individualentwicklung von uns heutigen Menschen. Dieses Lernen entsteht durch Nachahmung. Nachahmung aber verbessert nur das eigene Können und Wissen. Nachahmung ist ein „soziales Lernen“. Imitierendes Lernen lenkt unsere Aufmerksamkeit auf Objekte, auf Ereignisse und Ziele und verbindet uns mit schon Bestehendem. Nachahmung verbindet uns aber am allermeisten mit jenen Menschen, denen wir nach zu ahmen versuchen. Sie werden für uns zu jenen Helden, denen wir nacheifern wollen. Eine erste-, eine sehr intensive- und vertrauensvolle-, eine kooperative Beziehung entsteht zwischen dem der nachahmt und dem der nachgeahmt wird. Zwischen beiden Menschen entsteht eine auf Sympathie oder Misstrauen gegründete Beziehung. Emotionen kommen ins Spiel und werden in Zukunft das Handeln des Menschen mitbestimmen und schließlich dominieren.
Für Hominiden ist Nachahmung ein Lernen durch Beobachtung und Übernahme des Wahrgenommenen. Imitierendes Lernen schafft Erfahrungen und Erkenntnisse, aber kein neues Wissen. Wer nachahmt lernt, was schon gekonnt wird oder schon bekannt ist. Neues Können oder neues Wissen erwirbt sich nur der Lernende und wird dadurch zum Glied einer Gemeinschaft: Wer nachahmt erwirbt für sich das Können und das Wissen der schon Erfahrenen. Durch Nachahmung werden in einer Gruppe oder in einer Gemeinschaft immer mehr Gruppenglieder zu Wissenden oder Erfahrenen. Gemeinschaft, Zusammenhalt und Gleichheit entsteht. Wer nachahmt schafft nicht Veränderung. Er versucht zu tun, was alle tun. Er will ein familien- oder gruppenkonformes Individuum werden. Für die Hominiden war das von ihren Vorfahren übernommene „imitierende Lernen“ ein Geschenk. Es stärkt ihre Gruppe und hilft beim Überleben. Im überschaubaren Umfeld ihrer Gruppe werden Gewohnheiten, werden erworbene Erfahrungen und handwerkliches Können an die Jungen weitergegeben und eine Gemeinschaft der Gleichen geschaffen. Auf diese Weise entstehen in den letzten 2 Millionen Jahren in der Geschichte der Hominiden bis zum Beginn der zivilisatorischen Wende und darüber hinaus in Indigenen Gesellschaften der Moderne sog. „postfigurative Gesellschaften“, wie sie von Margarete Mead beschrieben wurden 34: Sie leben in sich abgeschlossen ohne geographische- oder kulturelle Berührung. Die Älteren lehren, die Kinder ahmen nach und lernen, was die Alten können. Das allzeit Gewesene wird reproduziert. Die Vergangenheit der Alten ist auch die Zukunft der Jungen. Veränderungen und Wechsel finden nicht statt. Der Ist-Zustand wird akzeptiert und Wachstum oder Veränderung findet nicht statt.
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Was ich mit Imitationslernen zu beschreiben versuche, wird sich in heutigen Gesellschaften wiederholen: Wandel und Veränderungen sind in unserer heutigen Moderne immer nur das Können oder die Gedanken von Wenigen. Sie werden nachgeahmt oder als Prägung an Jüngere weiter gegeben und von diesen wieder an ihre Kinder. Aus dem Können oder den Gedanken eines Erneuerers wird auf diese Weise nach Generationen eine Art von Kultur oder Zeitgeist, die jetzt von Vielen vertreten und hochgehalten werden und eine Volks- oder Religionsgemeinschaft charakterisiert. Auch in unserer modernen Gesellschaft ist für die meisten ein nachahmendes Lernen, eine Orientierung an Anderen, eine „Individualisierung mit“ in den Worten des Heidelberger Familientherapeuten Stierlin 35 leichter als ein „intendiertes Lernen“ oder eine „Individualisierung gegen“, mit welchen man sich von Anderen absetzt und sich unterscheidet. In vom Können, vom Wissen oder von Gewohnheiten Erfahrener geprägter Geschichte der Hominiden entsteht durch Nachahmung Zusammenhalt von ethnischen Gruppen und Clanbewusstsein. In der heutigen Moderne erkenne ich analoge Tendenzen in der Bildung von Parteien, von Volks- oder Religionsgemeinschaften. Sie alle gehen von einzelnen Gründerfiguren aus und werden für Viele zur Orientierung.
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Was ich beim imitierenden Lernen von Erfahrenen beschreibe, wird in der Eltern-Kind-Beziehung durch eine, von biologischen Faktoren gesteuerte verwandtschaftliche Bindung verstärkt. Das Kind lernt, indem es v.a. die Eltern nachahmt, welche als Ergänzung die Aufmerksamkeit des Kindes lenken. Die Eltern-Kind-Beziehung ist jedoch nicht nur durch Aufmerksamkeitslenkung oder „priming“ charakterisiert. Eltern begleiten jede erlernte Aktivität des Kindes mit Resonanz: Sie reagieren auf jede Aktivität des Kindes mit liebevollen Gesten, mit zufriedenem Lächeln oder freudigem Ausruf. Zwischen Eltern und Kind entwickelt sich eine gestische- und schließlich