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Coronas Zeugen. Stefan Kuntze
Читать онлайн.Название Coronas Zeugen
Год выпуска 0
isbn 9783753175416
Автор произведения Stefan Kuntze
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Stefan Kuntze
Coronas
Zeugen
Erzählung
Über dieses Buch
Im Frühjahr 2020 erschüttert die Corona-Pandemie die Welt. Während in Deutschland die politisch Verantwortlichen versuchen, eine Ausbreitung des Virus zu begrenzen, regt sich gegen die beschlossenen Maßnahmen Widerstand, der in Stuttgart zur Entstehung einer Bewegung von selbsternannten Experten führt, die fast alles besser wissen und von einer Diktatur reden, die im Auftrag finsterer Mächte über das Land komme. Die Bewegung zieht Sonderlinge aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft an und wird von Rechtsradikalen für ihre Zwecke benützt.
Der freie Journalist Konrad Pfeiffer taucht in diese krude und verunsichernde Welt der sogenannten Selberdenker ein und erkennt den tiefen Riss, der die Gesellschaft durchzieht.
Diese Erzählung ist erfunden und sie ist auch wahr. Manchmal kommt eine erfundene Geschichte der Wirklichkeit näher als einem lieb sein kann. Die Ähnlichkeit mit der Realität ist dann unvermeidlich.
Über den Autor
Stefan Kuntze, geboren 1947, lebt in Stuttgart. Bis 2013 Tätigkeit im Justizdienst des Landes, zuletzt Präsident des Verwaltungsgerichts. Verheiratet, eine Tochter und zwei Enkel.
2014 „Martha vor dem Spiegel“, Kriminalroman um ein nie gemaltes Bild von Otto Dix.
2018 „Sieben Leben“, Szenen einer Biografie, die das Leben von Karl Kuntze zwischen 1909 und 1951 als Widerstandskämpfer und Aufbauhelfer der deutschen Demokratie vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte darstellen.
Stefan Kuntze
Coronas
Zeugen
Erzählung
März 2020
Frieder Welte war mit sich und der Welt zufrieden. Die fünf Jahre seit Ende 2014 waren viel besser gelaufen, als er es je zu hoffen gewagt hatte. Die kleine Werbeagentur, gegründet nach seinem Abschied von Daimler, hatte sich zu einem gut vernetzten, erfolgreichen Unternehmen gemausert. Die Firma war seine Familie, eine andere brauchte er nicht. Dafür hätte er gar keine Zeit.
Es war ihm und seinem Team mit einer Mischung aus Tiefstapelei und Kreativität gelungen, die weltweit agierende Maschinenbaufirma Huber als Kunden zu gewinnen. Seither rollte der Rubel, wie Frieder sich ausdrückte. Das von ihm entworfene Firmenprofil mit dem eher altbackenen Slogan: „Huber Maschinen, zu schade für die Provinz!“ hatte den Patriarchen und erfreulicherweise auch den Geschäftsführer überzeugt. Vor allem war es weltweit als Zeichen schwäbischen Understatements und Humors anerkannt worden. Sogar die Kunden in Übersee wussten, dass dahinter höchste Qualität stand.
Dieses Jahr würde Frieder die laufenden Geschäfte den anderen überlassen. Das konnte er sich erlauben. Sein Privatleben war all die Jahre auf ein Minimum reduziert gewesen. Nur wenn die Auftragslage es wirklich zuließ, hatte er sich ein paar wenige Tage Urlaub genommen. Er lebte nicht einmal in einer richtigen Beziehung.
Jetzt war der richtige Augenblick gekommen, sich um das eigene Wohlbefinden zu kümmern. Er wollte sich das gönnen, was ihm seit Urzeiten vorschwebte. Mit seinen vierzig Jahren fühlte er sich bereit für Neues. Raus aus dem Trott, hatte er sich gesagt. Zu Hause hocken kannst du noch lang genug. Mönche in Tibet, Fakire in Indien, mongolische Nomaden, es waren stets extreme Lebensentwürfe gewesen, die ihn seit Jugendzeiten fasziniert hatten.
Er hatte alles vorbereitet und würde sich endlich die lange und lehrreiche Reise zu seinen Träumen leisten und diese besonderen Menschen und Länder in der Realität kennenlernen. Und dann das! Seit Mitte März galten wegen dieser komischen Chinagrippe derart viele Beschränkungen und Verbote, dass er seine Pläne vergessen konnte. Zumindest musste er das befürchten.
Frieder Welte nippte an seinem Karotten-Apfel-Basilikum-Smoothie und streckte seinen Oberkörper auf dem original Thai-Sitzkissen, das dem hellen Raum mit der zum Dach hin schräg zulaufenden Decke einen asiatischen Anstrich gab. Er sah durchtrainiert aus, wie er in dem großen Wandspiegel seiner Loftwohnung in Sillenbuch feststellen konnte: Muskulöse Oberarme, breiter Brustkasten und entschlossener Blick aus blauen Augen im weichen Gesicht. Gepflegter Schnitt der dunklen Haare à la Jogi Löw. Seltsam, dass Frauen seine Vorzüge bisher noch nicht so richtig bemerkt hatten. Vielleicht hatte er ihnen keine Chance gegeben.
Er stellte das Glas so heftig auf den antiken Beistelltisch aus Cannstatter Travertin, dass es zersprang und der Rest des Inhalts den porösen Stein benetzte.
Frieder sprang auf und fluchte. Daran war die Merkel schuld! Die dämliche Politik der Regierung dieses Landes mit ihrer unsäglichen Kanzlerin war auf dem besten Weg, seine Pläne und Träume dauerhaft zunichte zu machen. Lockdown, Reisewarnungen, Einstellung des Flugverkehrs, Quarantäne. Und jetzt auch noch der wertvolle Tisch! Rasch holte er ein Wischtuch aus der Küche.
Ja, geht’s noch? Wegen einer Grippe? Was lief denn hier ab? Nach all den Mühen hatte er sich ein Sabbatjahr genehmigt und die Leitung der Firma in die Hände seiner Vertrauten übergeben. Er saß sozusagen auf gepackten Koffern. Statt Reiselust Coronafrust mit geradezu diktatorischen Beschränkungen. Wer hätte mit so etwas rechnen können?
Niemand konnte ihm sagen, ob er überhaupt nach Indien einreisen dürfte, selbst wenn es eine Fluggesellschaft gäbe, die ihn dorthin gebracht hätte. Dieser Wahnsinn musste beendet werden. Das war die einzige Lösung, nicht nur für ihn. Viele Menschen dachten wie er. Es war mit Händen zu greifen, und jeden Tag berichteten sogar die Mainstreammedien davon. Wenn er es geschickt anstellte, könnte er diese Massen organisieren und sie dazu bringen, eine richtig große Kampagne für die Rückeroberung der Freiheit zu finanzieren. Warum auf andere warten? Frieder für Freiheit! Ein toller Spruch. Seine Arbeit war ihm zur zweiten Haut geworden, sodass er sofort in Slogans dachte.
Der Fleck auf dem Travertin war kaum noch zu sehen. Frieder setzte sich an den PC und checkte die aktuellen Pandemie-Meldungen. Alles Panikmache! Die ganze Nation hing offenbar an den Lippen eines Virologen, den vorher keine Sau gekannt hatte. Gab es keinen anderen? Mit wenigen Klicks landete er bei einem HNO-Arzt, der genau das verkündete, was er auch dachte: Das Coronavirus ist harmloser als die Grippe, und Masken nützen nichts, sondern töten Kinder. Die Beschränkungen sind unnütz und berauben uns der Freiheit. Niemand hat das Recht, dem Volk die Freiheit zu nehmen. Frieder war beeindruckt. Endlich widersprach jemand diesem aufgeblasenen, arroganten Regierungsberater und machte klar, worum es eigentlich ging. Er las weiter, bis ihn die tief stehende Sonne über dem Silberwald blendete und er auf dem Bildschirm nichts mehr erkennen konnte.
Wie leicht war es doch, sich richtig zu informieren. Frieder erhob sich, ging in den Küchenbereich und lehnte sich an die Theke. Er goss sich den Rest des Smoothies in ein neues Glas und blickte versonnen aus dem Fenster. Drüben auf dem Hügel über dem Tiefenbachtal glänzten die Fenster der Häuser in der Frauenkopfsiedlung. Das empfand er als Bestätigung des kühnen Gedankens, der von ihm Besitz ergriffen hatte.
Dieser Arzt, der schon auf zahlreichen Demonstrationen Klartext gegen die Regierungspolitik gesprochen hatte, bot seinem Publikum ein Füllhorn mit wahren Informationen und Dutzenden von überzeugenden Videos. Tausende hatten ihm zugejubelt. Auf seiner Homepage konnte man alles nachlesen. Diese Menschen musste man erreichen. Sie ahnten, dass etwas falsch war. Sie waren bereit aufzustehen und dies auch zu zeigen.
Frieder überschlug im Kopf, wieviel Tausend Menschen seit ein paar Wochen immer wieder zusammenkamen, um zu demonstrieren. Es war ganz einfach. Dafür brauchte er keinen Rechner. Wenn nur jeder zweite der Demonstrationsteilnehmer ein T-Shirt, ein Sweatshirt, einen Beutel oder Schal zu einem anständigen Preis kaufen würde, könnte man ordentlich verdienen. Natürlich müssten die Produkte mit zugkräftigen Parolen bedruckt sein. Die zu finden war eine leichte Übung für ihn als Werbeprofi.
Mittlere Stoffqualität reichte sicher aus. Die Botschaft steht im Vordergrund, nicht der Tragekomfort, sagte er sich. Es wäre bestimmt ein gutes Gefühl, mit einem lukrativen Geschäft zugleich das