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      Martin Rose

      Amnesia Orange

      Roman

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Weiß

       Schwarz

       Braun

       Rot

       Gelb

       Weiß II

       Blau

       Grün

       Schwarz II

       Grau

       Weiß III

       Wiesengrün

       Orange

       Rosa

       Violett

       Schwarz III

       Impressum neobooks

      Weiß

       Amnesia Orange

       Roman

       Martin Rose

      „What was it that so darkened our world?

       I don’t know, dear, I don’t know.”

       W. G. Sebald, „Austerlitz”

      „Ein Mensch, der seine Erinnerung, sein Gedächtnis verloren hat, ist in einer illusorischen Existenz gefangen. Er fällt aus der Zeit heraus und verliert damit die Fähigkeit zu einer eigenen Bindung an die sichtbare Welt. Das heißt, dass er zum Wahnsinn verurteilt ist.“

       Andrej Tarkovskij

      „Es scheint mir nicht, dass wir die Gesetze verstehen, unter denen sich die Wiederkunft der Vergangenheit vollzieht.“

       W.G. Sebald, „Austerlitz“

      Vor kurzem erst und mehr als 26 Jahre später habe ich erfahren, was mit mir geschehen ist, als ich neun Jahre alt war und einige Wochen im Koma lag. Vermut­lich wäre mir meine Geschichte weiterhin verborgen geblieben, hätte mich nicht eine mehr oder weniger zufällige An­ein­ander­reihung von körperlichen Kaprio­len in das Sanatorium geführt, das, oberhalb des Sees in den Vorbergen idyllisch gelegen, korrekterweise Klinik für Psychosomatik heißt, doch ich nenne die Klinik Sanatorium, weil es harmloser klingt. Nicht viel wußte ich über mich, als ich mich auf die Suche nach meiner Vergan­genheit begab, ich hatte keinerlei Erin­nerungen an meine Kindheit.

      An einem frühen, noch dunklen Novembermorgen stieg ich in einen Intercityexpress, der zunächst bis Braun­schweig nach Westen fahren würde, und dann nach Süden, über Frankfurt und Stuttgart nach Ulm. Von dort würde mich ein Regionalbähnchen zum See brin­gen, und dann ein Taxi in die Vorberge, zum Sana­torium. Ich stieg im Hauptbahnhof zu, in seiner unteren Etage, in Haupt­bahnhof tief. Es saßen nur wenige Reisende im Zug, als er auf das Gleis rollte. In einem der wenigen Sechserabteile, die, als seien sie eine Reminiszenz an alte Eisenbahn­zeiten, wie Portier­logen die Großraum­wagen der Intercity­express hüten, saß lediglich ein Mann mit seitlich zum Fenster gerichtetem Gesicht. Er trug grauen Hut und grauen Mantel und mochte um die fünfzig Jahre alt sein.

      Ich dachte, dass es nichts zu sehen gebe, dort, wohin der Mann blickte, als ich die Tür aufzog, ein Pilaster aus grauem Beton versperrte die Sicht vor seinem Platz. Es fiel mir auf, wie er mich ansah, nachdem er sich mir zugewandt hatte, er sah mich an mit dem Ausdruck der Verwirrung, des Verlorenseins in den ein oder zwei Sekunden, in denen man aus einer anderen Welt in die Banalität des Hier und Jetzt zurückkehrt, die in diesem Moment für uns beide das kleine Abteil in dem großen, langen Zug war. Ich grüßte und der Mann grüßte zurück, und mir schien, als habe er kurz den Hut gehoben, obwohl ich keine dazugehörige Arm­bewegung gesehen hatte.

      Ich verstaute mein Gepäck, setzte mich an den Gang und legte die soeben gekaufte Süddeutsche und die Frank­furter Allgemeine auf den freien Platz neben mir. Ich nippte am Papp­becher mit dem brühheißen Kaffee und bemerkte erst jetzt, dass der Mann, der mir schräg gegenüber saß, Sebald ähnelte, mit Einsteinscher Ferne und Skepsis im Blick, grau der Schnauzer, die Haare, mit Wirbelansatz über seiner linken Seite, den Körper in aufrechter und zugleich weicher Haltung, mit einer sonderbaren Durch­­sichtigkeit, wie mir schien. Ich war nicht erstaunt, ihn am Fenster­platz zu sehen, und je genauer ich schaute, desto mehr mußte ich glauben, dass er es tatsächlich war. Ich hatte seinen letzten Roman bei mir, als mögliche Lektüre für eine lange Reise durch das grau däm­mernde Land.

      Der Zug setzte sich mit einem geräuschlosen Gleiten in Bewegung und als die Lüftung zu summen begann, gingen die Lichter an und tauchten das Abteil in ein mattes Gelb. Vor dem Fenster flirrten mit zu­nehmen­der Geschwindig­keit die grauen Pilaster in kürzer wer­den­­den Abständen vorbei. Sebald hatte, wie ich be­merkte, kaum Gepäck bei sich, nur eine Leder­tasche, die wie die Tasche eines Landarztes aussah, wie ich sie mir in einem Heimatfilm vorstelle, mit Strie­men über­zogen, braun oder schwarz, mit un­verhältnis­mäßig riesigen Tragegriffen. Aus Grün­den, die mit mei­ner somatisch vor sich hin dümpelnden, manch­­­­mal, wenn auch selten, anfallartiger Todes­angst zu tun haben, hätte es mich beruhigt, wäre er Arzt gewesen.

      Der Intercityexpress glitt durch den Bahnhof Pots­damer Platz, der in seiner neonmatten und menschen­leeren Erscheinung gespensterhaft wirkte. Ich nahm das Sebaldbuch zur Hand und bemühte mich zu lesen. Ich war darüber verwundert, dass die Ge­schichte zum Teil in Belgien spielt, dem Land, in dem ich die ersten achtzehn Jahre meines Lebens verbracht hatte, ohne sagen zu können, dass es meine Heimat ist, und es beglückte mich, als später, als sei es eine geheime Botschaft, ein in Büchern und Zeitungen selten erwähnter Ort vorkam, den ich kannte, dem walisischen Llyn Tegid oder Bala Lake, einem kleinen Binnengewässer, in dem allen Natur­gesetzen zum Trotz sich anfallartig Fluten erheben sollen.

      Ich las schon eine ganze Weile, als ich be­merkte, dass mir das kaum mögliche gelang. Zu­nehmend war es mir in den Mo­naten zuvor schwer geworden, zu­sam­men­hängende Wortreihen

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