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Soantà und Als Paolos Hände reden lernten. Peter Georgas-Frey
Читать онлайн.Название Soantà und Als Paolos Hände reden lernten
Год выпуска 0
isbn 9783738020854
Автор произведения Peter Georgas-Frey
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Peter Georgas-Frey
Soantà und Als Paolos Hände reden lernten
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Als Paolos Hände reden lernten
Erste Ahnung:Die geplante Hochzeit
Zweite Ahnung:Die keimende Krankheit
Dritte Ahnung: Der ungerechte Tod
Widmung:
Meinem Sohn Finn
und
meiner Frau Meli
gewidmet.
1. Die Entdeckung
Es war ein ganz durchschnittlicher Tag, als Paolo entdeckte, dass die Dinge ihm ihre Geschichte erzählten, sobald er sie berührte. Anfangs zweifelte er, ob es eine Gabe sei oder ob er sich nur einbilde, dass die Szenen und Ereignisse, die er beim Berühren vor sich sah, wirklich geschehen waren.
Aber nicht nur, dass die Bilder sich mehrten. Paolo begann nachzufragen und fand, dass alles, was er beim Berühren wie ein Träumender sah, sich ereignet hatte. Dass er tatsächlich fähig war, die Beseelung von Gegenständen und die Vergangenheit von Menschen zu erspüren.
Eine Geschichte erzählen konnte ihm alles, was er berührte. Einige dieser Geschichten waren für ihn unverständlich. Wenn ihm eine Orange, ein Stück Rinde, eine Kuh eine Geschichte erzählte, so war dies so fern dem Erleben eines Menschenkindes, dass er zwar Bilder empfing, sie für ihn aber keinen Sinn ergaben. Etwas anderes war es, wenn er Gegenstände berührte, die Bezug zu einem Menschen, zum Beispiel zu einem der Bewohner des Dorfes hatten, in dem er lebte. Oder wenn ihm die Dinge Geschichten des Lebens selbst erzählten, über den Ursprung und das Werden des Lebens. Dann waren die Bilder ihm leicht verständlich. Es kam vor, dass er selbst Teil der Geschichte eines Gegenstandes war, dass er sich als Randfigur in der Geschichte einer Gabel, einer Decke oder eines Freundes erlebte.
Die Befragten, die Paolo heimlich aushorchte, ob seine Visionen richtig waren, wunderten sich über seine Fragen. Und sie wunderten sich besonders, dass ein grade mal Zwölfjähriger auf solche Fragen kam. Aber sie gaben redlich Antwort und so kam Paolo zu einem Ergebnis.
Paolo verschwieg, fest entschlossen sich nicht lächerlich zu machen, warum er fragte und behielt sein Wissen vorerst für sich.
Er entdeckte erst nach und nach, dass es sowohl Menschen als auch Gegenstände waren, deren Geschichte er durch Berührung erfuhr. Steine, Bäume oder ein Apfel konnten ihm die Bahn ihres Lebens oder jene lange allen Lebens erzählen. Genauso wie seine Mitmenschen, Freunde, Verwandte oder Mitbewohner des Dorfes.
Paolo erfuhr den Knabenstreich eines alten Mannes, als er ihm half, einen Baumstamm zu überqueren und ihm dazu die Hand bot. Er sah in seiner Vision dem Altgewordenen plötzlich in ein Knabengesicht. Sah ihn rennen, laut lachen und sich freuen, dass ihnen gelungen war, der Nachbarsfrau heimlich den Maiskuchen zu entlocken. Paolo ließ die Hand los und sah den Alten, zittrig und schwach geworden, und erschrak über die Kraft der Zeit, die Menschen erhob und niederdrückte, sie zerknitterte wie ein welkes Blatt.
Paolo nahm einen Besen und der erzählte ihm, wie er einst entstanden war. Nämlich aus einem Ast, von einem der ältesten Bäume des Waldes, und aus Stroh, das im letzten Augenblick dem Schicksal, vom Maul eines Büffels zermalmt zu werden, entronnen war. Paolo las einen auffälligen Stein vom Boden und der berichtet ihm aus den ersten Stunden der Erde, als Vulkane und Erdbeben ihr Angesicht gestalteten. Ein Baum erzählte ihm, als er sich an dessen Rinde lehnte, von den Spielen seines Vaters, als der noch ein kleines Kind war und der Baum selbst kaum mehr als ein halbwüchsiger Sprössling. Und als er einen Apfel essen wollte, erfuhr er von ihm den Namen der Biene, die die Blüte, aus welcher der Apfel entstanden war, befruchtet hatte.
Diese Erlebnisse hatten Zauber und Schrecken zugleich. Große Furcht hatte Paolo vor dem Augenblick, da er vielleicht den Tod eines Menschen oder die Vernichtung eines Gegenstandes durch Berührung vorausahnen konnte. Das war bislang nur eine Sorge, denn Paolo konnte die Vergangenheit betrachten, aber nicht die Zukunft. Doch bis vor einigen Wochen hatte er nicht einmal die Vergangenheit gesehen. Wer wusste, was noch kam?
Bis zu dem Tag, da er seine Gabe entdeckte, hatte Paolo immer geglaubt, er müsse viel lernen, um die Dinge zu verstehen. Jetzt erfuhr er, dass er sie entdecken und hören konnte, auch ohne Belehrung. Wenn seine Seele nur offen war. Und das war eine sehr schöne Seite seiner neuen Fähigkeit.
Natürlich erfühlte nicht jede Körperstelle Geschichten. Es wäre das Kind ja nicht zur Ruhe gekommen. Ließ es sich doch nicht leben, ohne irgendetwas auf der Welt zu berühren. Nein, es waren seine Hände, die als Übermittler dienten. In den Wochen nach seiner Entdeckung betrachtete Paolo sehr oft, sehr lange und gründlich seine kindlichen Hände, die noch keine Hornhaut, noch keine Risse oder gar Falten entstellte. Er dachte, dass es zarte Hände waren, die er besaß. Hände zum Beten, zum Streicheln, zum Fühlen und nicht zum wehe tun. Er schätzte und betrachtete sie wie ein neues Spielzeug, das er gut aufheben und recht ausgiebig genießen wollte. Oft konnte er gar nicht anders, als irgendetwas zu berühren, um sich zu vergewissern, dass seine Gabe nicht verloren war, oder um sich zu unterhalten, weil ihn langweilte. Eines Nachts setzte er sich spät, als alle anderen bereits schliefen, allein vor ihre Hütte und betrachtete seine Hände im Sternenlicht und dem hellen Schein eines vollen Mondes. Er hoffte, irgendetwas Besonderes an ihnen zu entdecken, was das Sonnenlicht verbarg. Aber seine Hände blieben, von ihrer jugendlichen Schönheit abgesehen, schlichte Hände.
Das Dorf, in dem Paolo lebte, lag verborgen in wildem Wuchs von Bäumen und Farnen, vielfarbigen Sträuchern und Büschen. Der liebe Gott neigte ja dazu, Pflanzen, hohe und niedere, zusammenzubauen und dem Menschen durch ein Vielerlei an Formen die Übersicht zu nehmen. Inmitten eines solchen Gottesgartens, inmitten einer großen Insel lag das Dorf. Auf einem von der Menschheit vergessenen oder aus göttlicher Sorge um seine Unschuld