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      Nick Lubens

      Punk Rock

      No Future in Chemnitz

      Roman

      Impressum

      Texte: © Copyright by Nick Lubens, 2019

      Umschlag: © Copyright by Nick Lubens

      Verlag:

      Nick Lubens

      c/o Burkhardt

      Lotzestr. 34

       37083 Göttingen

       [email protected]

      www.starkebücher.de

      Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

      Berlin 2019

      ISBN: 978-3-750244-83-2

      Spotify-Playlist zum Buch: Nick Lubens – Punk Rock

      Februar 1990

      The Adverts – Bored Teenagers

      „Irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt.“, brummt Sirko und nimmt einen tiefen Schluck aus der Bierpulle.

      „Was jetzt?“, fragt Robert nicht weniger schmallippig und glotzt einer Katze hinterher, die über die Straße huscht und zwischen zwei der eintönigen Plattenbauten, die rings um uns aufragen, verschwindet.

      „Das alles.“, meint Sirko und deutet mit einer weit ausholenden Geste auf alles um uns herum. Missmutig lassen wir die Köpfe kreisen. Zwischen den sechs- und elfgeschossigen Betonquadern mit ihren endlosen Reihen an beleuchteten Fenstern strebt hier und da ein kleiner Baum dem spärlichen Licht entgegen, das zu dieser Jahreszeit ohnehin nur sehr kurz zwischen die Häuser dringt. Ich ertappe mich bei der Frage, ob die Bäumchen wohl jemals über die Dachkante der Wohnblocks hinausschauen und die Weite der Welt entdecken werden. Jetzt, wo es bereits dunkel ist, erinnern sie mich im fahlen Licht der Straßenlaternen eher an die Baumgerippe auf den Bildern aus dem ersten Weltkrieg.

      „Was willst du dir da vorstellen? Das war doch schon immer so.“, mault Robert und sucht neuen Halt auf dem kreisrunden Klettergerüst, auf dessen Dach ein fadenscheiniges Fliegenpilzmuster prangt. Eigentlich ist der Fliegenpilz viel zu eng für uns und natürlich wissen wir, dass Alkoholtrinken auf einem Spielplatz verboten ist, aber wir hatten keine Lust mehr, dem ständigen Klagen meiner Mutter in unserer Küche zu lauschen. Außerdem ist es erstens bereits dunkel und zweitens kümmert es seit einigen Wochen ohnehin niemanden mehr, was wir machen.

      „Ich meine das ganze Ding mit der Freiheit.“, klärt uns Sirko über seine innersten Gedanken auf. „Mit der Band, und dem Staat und dem ganzen beschissenen Leben.“

      „Und was hast du dir da so vorgestellt?“, frage ich.

      „Keine Ahnung.“, muss er zugeben. „Aber auf jeden Fall nicht das.“ Wieder holt er weit aus und zeigt anklagend über den Spielplatz. „Früher wäre schon längst der ABV aufgetaucht und hätte uns angeschnauzt, weil wir den Buddelsand besudeln. Heute könnte ich das ganze verdammte Viertel vollkotzen und es würde wahrscheinlich noch nicht mal jemand merken.“

      Ich hege da meine Zweifel, widerspreche Sirko aber nicht, denn ich weiß genau, was er meint. Bis zum Mauerfall war unser Leben von der Partei klar geregelt gewesen. Dann haben wir uns die Freiheit erkämpft, aber leider hat uns niemand beigebracht, wie man damit umgeht.

      „Es ist alles so unklar.“, fährt Sirko fort.

      „Ist doch geil.“, meint Robert trocken. „Endlich haben wir alle Möglichkeiten. Die ganze Welt steht uns offen.“

      „Genau.“, kontert Sirko. „Und darum hocken wir unter einem beschissenen Fliegenpilz und saufen mit Einsiedler Pils unsere Sorgen weg. Das hätten wir vor einem Jahr auch gekonnt.“

      „Dann wäre aber der ABV gekommen.“, erinnere ich ihn mit einem breiten Grinsen und wedelndem Zeigefinger.

      Sirko geht nicht auf meinen Scherz ein. „Nicht mal mit der Band haben wir es weiter gebracht.“

      „Ach, die Band.“, winkt Robert ab. „Mars war eine coole Zeit, aber jetzt, unter den neuen Umständen, wird das nichts mehr. Heavy Metal ist tot.“

      „Metal ist tot?“, rufe ich entrüstet und starre ihn aus großen Augen an. „Hast du mal die Charts angehört.“

      Robert nickt mit einem überheblichen Lächeln. „Klar, habe ich. Und wie groß sind unsere Chancen, in die Charts zu kommen?“ Betrübt schüttelt er den Kopf. „Nee, lasst mal! Unsere Band war eine Ostband, und Ostbands sind nicht mehr gefragt.“

      „Ohne Olaf wäre es sowieso nicht das selbe.“, stimmt ihm Sirko zu.

      „Auf Olaf!“, seufze ich und hebe meine Flasche. Umständlich hangeln sich die anderen beiden zurecht und lassen ihre Bierflaschen gegen meine klimpern. Nachdenklich starre ich in die milchigen Schatten zwischen den Betonklötzen. Die Band hatten wir damals mit hochfliegenden Plänen gestartet. Die Welt wollten wir mit unserer Musik erobern. Und gerade als unsere harte Arbeit erste Früchte zeitigte und wir in Berlin ein Konzert hatten, musste diese dämliche Mauer zusammenbrechen. Seitdem hatte keiner von uns mehr ein Instrument angefasst.

      Was nicht nur an Olafs plötzlichem Verschwinden in den Westen lag. Wir hätten bestimmt auch einen anderen Drummer finden können, aber irgendwie ist uns das nie in den Sinn gekommen.Hätte mir jemand vorher gesagt, dass mich Olafs Verschwinden so hart treffen würde, ich hätte ihm einen Vogel gezeigt. Olaf war auf seine Art witzig und sein Schlagzeugspiel war definitiv von der besseren Sorte. Aber als er vor acht Wochen verkündet hatte, dass er zu einem Onkel in den Westen zieht, kam es mir vor, als hätte mir jemand ein Brett vor die Stirn gehauen. Wieder spüre ich diesen Stich in der Brust. Er war weit mehr als unser Schlagzeuger. Er war die Seele unserer Band.

      „Wieso geht plötzlich alles so schnell?“, frage ich ratlos in die kalte, feuchte Abendluft hinein.

      „Was geht schnell?“, fragt Robert ohne großes Interesse in der Stimme nach.

      „Alles!“, wiederhole ich. „Vor einem Jahr wussten wir noch genau, was auf uns wartet. Ausbildung, FDJ-Nachmittage, dann achtzehn Monate zur Fahne...“

      „Drei Jahre.“, fährt mir Sirko dazwischen.

      Ich nicke vor mich hin. „Drei Jahre für die Streber. Dann vierzig Jahre im Betrieb malochen, zweimal im Jahr vor den Bonzen entlangmarschieren und im Sommer zwei Wochen Urlaub an der Ostsee.“, sinniere ich.

      „Weihnachten gibt’s Klöße und Gänsebraten.“, fällt mir Sirko seufzend ins Wort. „Und alle vier Jahre bei den Olympischen Spielen kann sich das ganze Land wie eine Weltmacht fühlen.“

      „Sagt mal, habt ihr sie noch alle?“, schnauzt Robert uns an. „Habt ihr vergessen, was die Parteibonzen und die Stasi aus diesem Land gemacht haben? Es war wie ein riesiges Gefängnis, und wir sind genau zur richtigen Zeit daraus befreit worden. Wir sind noch jung und haben unser ganzes Leben vor uns. Und das können wir in Freiheit genießen.“

      „Freiheit. Genau.“, brumme ich und hebe halbherzig meine Bierflasche.

      „Irgendwie hab ich mir die Freiheit anders vorgestellt.“, jammert Sirko.

      „Aha. Und wie hast du sie dir so vorgestellt?“, will Robert wissen.

      Sirko zuckt mit den Schultern, so gut es geht, ohne von dem Klettergerüst zu rutschen. „Keine Ahnung. Jedenfalls nicht so.“ Wieder zeigt er vorwurfsvoll in die Dunkelheit hinaus. „Was hat sich denn in unserem Leben schon geändert?“

      Roberts Gesicht verzieht sich zu einer verwirrten Fratze. Er schaut uns an, als wäre er sich nicht ganz sicher, ob er nun Angst vor uns haben oder lieber die Männer mit den weißen Kitteln rufen soll. „Seid ihr sicher, dass ihr nichts genommen habt? Dem einen geht alles so schnell, für den anderen hat sich gar nichts verändert. Könnt ihr euch vielleicht mal entscheiden, worüber ihr mir die Ohren vollheulen wollt?“

      „Alles ist anders.“, beharre ich auf meinem Standpunkt. „Der Olaf kann doch nicht einfach so in den Westen abhauen. Das geht doch nicht.“, stammle

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