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      Christoph Papke

      Transkription

      Dieses ebook wurde erstellt bei

       Verlagslogo

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Prolog

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Epilog

       Impressum neobooks

      Prolog

      TRANSKRIPTION

      Erich Hartmann senkte den Kopf. Seine Augen fanden den Satzanfang des Manuskripts, wie sie es schon tausendfach getan hatten. Am Ende des Satzes angekommen, blickte Hartmann -anders als sonst immer - auf und starrte auf die in schlichtem Weiß tapezierte Wand seines Büros. Weiße Wände schmückten seit Jahrzehnten schon sein Arbeitszimmer. Kahl, ohne Bilder, ohne Fotos, ohne Irgendetwas. Seine Arbeit sollte durch nichts visuell Auffallendes abgelenkt werden. Ohne jeglichen Einfluss wollte er lesen, ohne irgendeinen optischen Außenreiz, bis auf einen alten, vergilbten Teppich, den er vom Vater übernommen hatte, weil der ihn schon von seinem Großvater übernommen hatte. Möglichst unvoreingenommen eintauchen wollte Hartmann in bislang unentdeckte Welten. Und darüber richten, ob sie für die Menschen erschaffen werden oder nicht.

      Hartmann überlegte eine Weile. Dann widmete er sich wieder dem Werk. Für gewöhnlich las er die ersten vier Sätze eines Manuskripts in einem Zuge durch - ohne aufzublicken, ohne die Wand anzustarren und ohne zu überlegen. Die ersten vier und dann den Schlusssatz einer Leseprobe. Diese Vorgehensweise hatte sich Hartmann irgendwann vor vielen Jahren zu Eigen gemacht, um seinerzeit wenigstens im geringsten Maße der Flut eingereichter Manuskripte gerecht zu werden. Sie alle hatten es verdient, wenigstens einmal angesehen und von ihm geprüft zu werden. Die Werke der Unbekannten und Bekannten. Die zu Papier gebrachten Gedanken, Ergüsse, Geheimnisse und Geschehnisse. Die Weisheiten, Verlogenheiten, verborgenen Schätze und ungebetenen Botschaften. Die kosmischen Wahrheiten und kleinbürgerlichen Ansichten. Die Ausblicke und Einblicke, die Eindrücke, Enthüllungen und Geständnisse – die Phantasien und Gewissheiten. Die ersten vier Sätze und der letzte eines circa 30 Seiten umfassenden Probekapitels genügten dem erfahrenen Verleger, um das Manuskript entweder gleich wieder beiseite zu legen oder die Lesestunde genüsslich mit dem gesamten Kapitel zu füllen.

      Hartmann hatte seine Lesestunde ritualisiert. An jedem Arbeitstag der Woche gönnte er sich diese 60 Minuten zwischen drei und vier Uhr nachmittags, um sich in sein Büro zurück zu ziehen und „die Neuen“ zu erforschen. „Die Neuen“ wurden jene Manuskripte genannt, die in Hartmanns Verlagshäusern aufgefordert oder unaufgefordert gelandet waren. Abertausende waren es inzwischen, die durch seine Hände gegangen und mit seinen Augen erforscht worden waren. Natürlich landeten die Tonnen angeschwemmter Manuskripte lange schon nicht mehr auf seinem Schreibtisch, sondern in den Lektoraten seiner Verlage oder bei den Autorenbetreuern seines Unternehmens. Aber eine kleine Anzahl von jeweils vier Stück schaffte es doch zu ihm, ausdrücklich nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, um dem Chef eine kleine tägliche Freude zu bereiten, wie es hieß.

      Als er vor mehr als dreißig Jahren nach einer ordentlichen Buchhändlerlehre und dem anschließenden Studium der Betriebswirtschaft den Hartmann-Verlag in vierter Generation aus den Händen seines Vaters erhielt, wusste er, dass es nicht seine Aufgabe war, das eigene Leben durch die Schöngeistigkeit der Literatur zu bereichern. Er erhielt vielmehr den Auftrag, aus einem mittelständigen Unternehmen einen Literaturbetrieb mit Konzerngröße zu machen. Dieser Aufgabe folgend, entwickelte sich der Literaturliebhaber zu einem knallharten Verlagskaufmann und den übernommenen Betrieb zu einem Flaggschiff weltweiter Kulturvermarktung. Dem Junior war es mit Beharrlichkeit, feinem Spürsinn und Führungsstärke gelungen, aus dem zwar schon prosperierenden, aber noch weitgehend biederen Verlagshaus einen internationalen Medienkonzern mit etlichen Buchverlagen, verschiedenen Zeitschriften und Fernsehsendern zu entwickeln. Mit seinen mittlerweile 65 Jahren genoss Hartmann als Vorstandsvorsitzender längst einen legendären Ruf nicht nur im gesamten Konzern, sondern im ganzen Land.

      Umso wichtiger wurde dem literaturversessenen Top-Manager seine tägliche Lesestunde, die er unerbittlich im täglichen Kampf um Auflagen und Umsätze, um Aufträge und Marktanteile nach innen und nach außen verteidigte.

      Seine Hand fand auch diesmal blind die immer an derselben Stelle postierte Tasse Tee. Wahlweise und je nach Stimmung griff Hartmann in seiner „LS“, wie seine Mitarbeiter die Lesestunde nannten, nach Tee oder Mineralwasser. Heute verlangte bereits der erste Satz nach einem Schluck beruhigenden Tee. Nicht nur das, es schien Hartmann unmöglich, auch den dritten Satz ohne Gedankenpause an den zweiten zu reihen. Er grübelte eine Weile, bevor er sich entschied, weiter zu forschen. Vier Sätze sollte er doch durchhalten, sagte er sich. Die ersten vier Sätze und den letzten. Aber wieder langte es nur bis zum Punkt, den vierten Satz schaffte er nicht mehr. Warum, fragte er sich, musste es gleich das erste Werk der Lesestunde sein, das ihn dermaßen außer Fassung brachte und den gesamten Tag versaute? Hätte es nicht das letzte oder wenigstens das vorletzte Manuskript seiner Lesestunde sein können? Er ärgerte sich darüber, dass es ihm trotz seines vorgeschrittenen Alters und seiner beruflichen Routine noch immer nicht gelingen konnte, Buchvorlagen wohlwollend und vor allen Dingen mit dem professionellen Abstand des weltweit anerkannten Literaturexperten zu begutachten. Er spürte stattdessen immer noch – wie soeben wieder einmal in höchstem Maße - den unerträglichen Konflikt des Literaturfreundes, der alles Geschriebene per se erst einmal zu verteidigen hatte, mit der offenkundigen Widerwärtigkeit gegenüber dem Erzeuger einer wie der gerade vorliegenden Schrift. Wie viel dummes, nutzloses und abstoßendes Zeug hatte er schon lesen müssen. Plagiate, Hasstiraden, Volksverhetzungen, Pornomist und Menschenentwürdigendes. Übelste Stammtischparolen, debilen Schwachsinn und kleinkariertes Geschwafel. Wenn auch nur vier Sätze lang und den letzten. Diese Technik reichte aus und hatte sich bislang bewährt, um ein Manuskript für würdig oder unwürdig zu beurteilen, weitergelesen und im besten Falle veröffentlicht zu werden. Doch diesmal benötigte er eine für seine Verhältnisse lange Pause, dazu eine Tasse Tee und einen andauernden, abschweifenden Blick, um sich zu überwinden, dem geheiligten Prinzip treu zu bleiben. Nachdem er tief durchgeatmet hatte, versprach er sich, konzentriert zu bleiben. Er wollte den vierten Satz um der Gerechtigkeit gegenüber allen Autoren lesen und dann noch den letzten. Schließlich überwand er sich, sein Haupt zu neigen, um seine Augen zu zwingen, das Geschriebene aufzunehmen. Doch statt sich zu beruhigen, wurde es noch

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