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      Frank Bartels

      Raniten in der Furt

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Prolog

       Kapitel I

       Kapitel II

       Kapitel III

       Kapitel IV

       Kapitel V

       Kapitel VI

       Epilog

       Impressum neobooks

      Prolog

       Raniten in der Furt

      Frank Bartels

      Kleist studierte die alten Schriften im trüben Schein einer einfachen Öllampe. Die Buchstaben waren schwer zu entziffern und der Text ergab nicht immer einen Sinn. Das Buch war von Hand geschrieben und kunstvoll illustriert, der Umschlag hingegen war schlicht und bescheiden in grobem Leinen gebunden und verwies weder auf die Verfasser noch auf die Lehre der Schriften, die darin geschrieben stand. Es war abgegriffen und unscheinbar von außen - höchst brisant aber war sein Inhalt. Lange hatte er um dieses Exemplar gekämpft und es waren einige konspirative Treffen und ein kleines Vermögen nötig gewesen, um es schlussendlich in den Händen halten zu können.

      Zu jener Zeit gab es verschiedene Meinungen und Auffassungen über die Gesetze der Natur und die allumfassende Schöpfungsgeschichte. Der Klerus fürchtete die neuen Schriften, denn er vertrat die Ansicht, dass Wissen der Feind des Glaubens sei. Mit aller Macht hielt er an seiner Version fest, der zu widersprechen der Ketzerei gleichkam. Jedermann, der von der offiziellen Lehre abwich, wurde als Häretiker1 betrachtet und lief Gefahr, auf dem Scheiterhaufen zu enden - oder Schlimmeres. Doch gab es auch Gelehrte, die neue Erkenntnisse gewonnen hatten, welche im Widerspruch zu der alten Lehre standen, und in diesem Buch hatte Kleist Antworten auf Fragen gefunden, die kaum jemand zu stellen gewagt hätte.

      Der alte Mann rückte die Brille zurecht und hielt seine Nase tief über die Buchstaben. Sein Kopf begann zu schmerzen und der kühle Abendwind ließ ihn erschauern. Er goss etwas kalten Tee in einen Becher, zog sich eine muffige Pferdedecke über die Schultern und blickte in die Nacht. Zu seinen Füßen lag Betbure, die Stadt, deren Väter ihn für seine Dienste bezahlten, und am abendlichen Firmament funkelten die unzählbar vielen Sterne. Als Ziehsohn eines Priesters hatte er bereits in frühester Jugend das Lesen und Schreiben erlernt. Wissenshungrig verschlang er die Zeilen sämtlicher Bücher und Schriftrollen, die er in die Finger bekam. Sein Vormund hätte es gerne gesehen, wenn er ihm auf seinem Weg gefolgt wäre und wie er selbst die christlichen Werte gepredigt hätte, doch Kleist hatte nach Antworten verlangt, die ihm die Kirche nicht geben konnte.

      Es war bereits die dritte Nacht, die er auf dem zugigen, kargen Hügel verbrachte. Weit entfernt von den Stahlbergen bot dieser den höchsten Punkt und die beste Aussicht der Gegend. Von hier aus würde, selbst bei wolkenverhangenem Himmel, das Zeichen zu sehen sein, denn weder Baum noch Ast würden die Sicht trüben.

      Nun sollte es nicht mehr lange dauern, wenn er die Vorhersagen korrekt gedeutet hatte, und ein Bolide, ein glühender Feuerball würde mit seinem Schweif aus Goldregen den Himmel erhellen. In warmen Sommernächten waren häufig Sternschnuppen zu sehen, oftmals zehn oder mehr an der Zahl, doch dieser sollte sich als Uranolith erweisen – groß, feuerrot leuchtend und unheilvoll. Die Schriften gaben die Erkenntnisse der namhaftesten Astronomen des Landes wieder. Manche beschrieben einen Kometen, andere warnten vor einem Meteor, der auf die Erde stürzen würde. Die Prophezeiungen sprachen von einem großen Unheil, das über die ganze Gegend heimsuchen sollte. Welches Unheil nun genau der Menschheit widerfahren würde, stand leider nicht geschrieben. Die Autoren bedienten sich vager Vermutungen und Andeutungen und beschrieben Tod, Pestilenz und Verderben. Andere warnten vor dem Erscheinen garstiger Wesen aus der Unterwelt, die sich über das Fleisch der Gläubigen hermachen würden und nicht eine der schaurigen Prophezeiungen ließ Hoffnung auf ein nettes Beisammensein bei Tee und Gebäck.

      Doch Kleist, seines Zeichens Gelehrter, Astronom und Verfechter der wissenschaftlichen Lehre, wusste die Botschaft zu deuten: Nichts anderes als eine eisige Zeit würde das Land überziehen. Es würde keinen Tag mehr geben. Nicht ein zarter Sonnenstrahl würde den Weg zur Erde finden. Die Ernte würde ausbleiben und alles Leben sollte, gefangen in Dunkelheit und eisiger Kälte, irgendwann enden. Diese Vorstellung war etwas weniger schaurig als andere und entsprach dem, was er vor seinem geistigen Auge gerade noch hätte verkraften können – gesetzt den Fall, dass er diese Katastrophe irgendwie, aus unerklärlichen Gründen, überleben würde.

      Die Zweige der flach wachsenden Büsche raschelten im Wind und gelegentliches Knacken trockener Äste ließ vermuten, dass er nicht der Einzige war, der den Schutz der Dunkelheit suchte. Eulen oder Käuze riefen durch die Nacht, und er erinnerte sich an die mahnenden Worte der alten Marisa, die stets behauptete, dies seien die Stimmen der rastlosen Seelen, die durch die Nacht riefen. Marisa war eine Kräuterfrau und obwohl sie streng gläubig lebte, fürchtete sie noch die alten Götter und Dämonen, die vor langer Zeit über das Land wachten.

      »Er wird schon bald den Himmel erhellen und du wirst ihn erblicken«. Kleist sprach sich Mut zu und stocherte in der Glut des flachen Feuers. Doch kam er nicht umhin, die Gegend unaufhörlich nach einer Bedrohung abzusuchen, obwohl seine alten Augen in der trüben Finsternis nichts erkennen konnten. Eine ganze Heerschar von Unholden hätte sich unbemerkt bis auf wenige Schritte nähern und ihn packen können, noch ehe er sie zu Gesicht bekommen hätte.

      »Es wird passieren … und dann werden sie dir Glauben schenken«, murmelte er. Seine Stimme hatte Höhe und Lage eines heiseren Knaben, dessen Bartwuchs noch im Reich der Hoffnungen lag. Die kränklich- gedrungene Statur des alten Mannes stand im krassen Gegensatz dazu und so manch einer konnte seine Verwunderung über diese Diskrepanz nicht verbergen.

      Dann wurde seine Stimme fester. »Ausgelacht haben sie dich … diese Ignoranten, aber du wirst es ihnen beweisen. Wenn der Uranolith auf die Erde zurast und das Unheil bringt, werden sie den Tag verfluchen, an dem sie dich verspottet haben. «

      »Wer wagte es, Euch zu verspotten?«

      Voller Schreck fuhr Kleist zusammen. Im gleichen Moment sprang er auf die Füße und blickte sich suchend um. Direkt hinter ihm stand ein dicker, finster dreinblickender Kerl, dessen Antlitz nur schwach vom Schein des Feuers erhellt wurde. Doch Kleist erkannte ihn: Es war der Päter, seines Zeichens der Ankläger von Betbure. In seinem Gefolge baute sich der Hauptmann der Wache breitbeinig auf, und im Hintergrund standen mindestens drei bewaffnete Soldaten. Mit herablassendem Blick wiederholte der Päter seine Frage: »Wer erdreistete sich, Euch zu verspotten? Euch, den Weisen, der die Gesetze derer bricht, denen er sich verpflichtet hat?«

      Der alte Mann wagte nicht zu antworten und versuchte ebenso ungeschickt wie vergeblich das geheime Buch zu verbergen. Mit der Fußspitze schob

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