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      Kapitel 1

       Hannes Freudenthal trat vor den abgedunkelten Hintergrund seiner Bühne. Der links neben ihm aufgestellte Halogenstrahler modellierte seine rechte Gesichtshälfte zu einer harten Schattenlandschaft, die mittels eines Spiegels, als Scherenschnitt so auf eine Leinwand zurückgeworfen wurde, dass man ihn und sein vergrößertes Seitenprofil gleichzeitig sehen konnte, während er sprach.

       Er beabsichtigte sein Publikum nicht nur mit Worten zu konfrontieren, sondern auch mit einer ungewohnten Licht-Schatten-Installation für einen optischen Nachdruck zu sorgen. Sein Ziel war es, dass das was er ihnen heute zu sagen hatte in den Hirnen seiner Betrachter haften blieb. Der kantige Hut aus schwarzem Leder und die eckige Sonnenbrille mit verspiegelter Oberfläche meißelten sein Antlitz zu einem einprägsamen Arrangement, das durch einen langen grauen Mantel mit hochgeschlagenem Kragen ergänzt wurde.

       Zwei Tage hatte er an seiner neuen Zugabe geschrieben. Dafür, dass seine Geschichten immer aus dem realen Leben erzählten, es in facettenreichen Zusammenhängen hinterleuchteten und stets zum Weiterdenken anregten, war er bekannt. Unter Zuhilfenahme kleiner Alltagsanekdoten, in denen sich ein jeder wiederfinden konnte, verstand er es geschickt seinem Publikum herzhafte Lachsalven zu entlocken. Durch die Blume gesagt, gelang es ihm, seine Zuhörer unaufdringlich und doch äußerst effektiv mit der Nase darauf zu stoßen, ihre Verhaltensweisen zu erkennen und in Frage zu stellen. In seinem neuen Stück aber ging er viel weiter. Er wagte es eine Grenze zu überschreiten und etwas in Worte zu fassen, womit nicht mal sein Publikum gerechnet hätte. Und dennoch wusste er, dass er seinen Zuhörern diese Thematik nicht vorenthalten durfte.

       Die Wahrheit hinter der Lustigkeit unserer Gesellschaft macht die Heiterkeit nicht tadelnswert - diese jedoch ein Stück weit untrüglicher und wahrhaftiger zu machen, lag ihm mit dem neuen Abspann im Sinn. Da dieser höchstwahrscheinlich den üblichen Rahmen der Erwartungshaltung seiner Zuhörer sprengen würde, plante er zum ersten Mal, eigens für die Zugabe, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Sein Outfit sollte dabei auf Michael Endes graue Männer in seinem Roman "Momo" anspielen, dessen Geschichte den Lesern offenbarte, wie sehr die heutige Kultur unser ganzes Leben dem Streben nach Wachstum unterordnet - dem Streben nach abstraktem, zukünftigem Gewinn.

       Während Hannes Freudenthal hinaus auf seine Bühne trat, durchströmte ihn ein Schauer, der nichts Geringeres in sich barg, als das für ihn höchste Risiko.

       Nun aber gab es kein Zurück mehr. Er musste den erwartungsgeladenen Ohren, die bei seiner Zugabe durch ein Feuerwerk an vergnügungsvollen Wortschöpfungen rauschen wollten, die Illusionen von den Gesichtern reissen, hinter denen sie ihr Leben ablaufen ließen, als wäre die Welt eine Bühne, auf der man ein Spiel aufführen könne, das nie zu Ende geht.