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antworte ich. Solche Noten hatte ich zu meiner Schulzeit nie, daher kommen mir erst Zweifel, ob meine Englischkenntnisse überhaupt besser als seine wären. Für mich wäre es sicher eine gute Übung, denke ich und wenig später sitzt der Junge neben mir und stottert einzelne englische Wörter.

      Was es mit den Noten auf sich hat, wird mir bewusst, als das Zuhören bei seinem Gestammel zur wahren Qual wird. Eine Eins ist in Spanien die schlechteste Schulnote!

      Mutter und Sohn stammen aus Valencia, erfahre ich von ihm, dort gäbe es eine von fünf amtlichen Sprachen.

      »Es gibt doch nur vier offizielle Sprachen in Spanien«, widerspreche ich und zähle auf: »Galizisch, die offizielle Amtssprache Kastilisch, desweiteren Katalanisch, das man in Barcelona spricht und zuletzt die Sprache, die in dieser Region verbreitet ist, Baskisch. Was spricht man denn in Valencia?«

      »Valencianisch.«

      So langsam geht mir der Nachhilfekurs für die Dumpfbacke von Schüler auf die Nerven. Besonders, da dieser Dialog hier nur in aller Kürze wiedergegeben ist, ausgelassen habe ich unzählige Nachfragen und ständige Wiederholungen. Soll der Junge in seinem nächsten Schuljahr durchfallen und sitzenbleiben, er hätte es redlich verdient.

      »Ich muss noch etwas erledigen«, entschuldige ich mich und versuche, unbemerkt aus der Herberge zu fliehen. Ich versichere mich, dass mir dieser Einserschüler nicht folgt und renne zur Stadt hinab.

      Erleichtert darüber, entkommen zu sein, trete ich durch das Portal. So interessant wie erwartet stellt sich das Denkmal bei genauerer Besichtigung nicht dar. Als ich die malerische Altstadt hinter mir gelassen habe, durchquere ich das Hafengelände und gelange zum Fuß des mächtigen Felsens. Er liegt im Meer wie jene von den Engländern besetzte Halbinsel, ist aber um einiges kleiner als Gibraltar. In Serpentinen führt ein Pfad hinauf und eine Viertelstunde später erreiche ich den Gipfel. Dieser wird von einer Art Kapelle gekrönt. Besser gesagt, durch sie verunstaltet. Als ich eintrete und durch das leere Gebäude aus Beton wandere, bin ich enttäuscht. Es ist ein außergewöhnlicher Platz und man hätte hier doch etwas Schöneres hinstellen können. Dass es mit Graffiti beschmiert ist, macht es nicht besser. Mir ist erst nicht klar, welchen Zweck dieses Bauwerk aus Beton erfüllen sollte. Ein ehemaliger Bunker, der als Gotteshaus getarnt wurde? Im Halbrund, das wie eine Apsis aussieht, befinden sich Öffnungen, die aussehen wie Schießscharten, durch die man das Meer rundum beobachten kann.

      Ich schaue mich weiter um und werfe einen Blick die Klippen hinunter. Am Ende des Hügels entdecke ich einen Leuchtturm, zu dem ein Pfad hinaufführt, der jedoch durch ein verschlossenes Gitter versperrt ist. Diese Besichtigungstour hat sich nicht gelohnt, enttäuscht begebe ich mich auf den Rückweg. Im Gestein am Wegrand erkenne ich Reliefs, die Götter wie Neptun darstellen, Maria und religiöse Figuren. Beeindruckend ist das jedoch auch nicht. Als ich erneut den Hafen durchquert habe und den Strand sehe, überlege ich, ob ich eine Weile dort verweilen sollte. Die Antwort kommt vom zugezogenen Himmel und leichter Nieselregen beantwortet meine Frage mit einem klaren Nein.

      Wieder zurück in der Herberge werde ich sofort von dem nervigen Jungen abgefangen. Der Englischkurs wird fortgesetzt und zu einer wahrhaftigen Tortur. Es ist unglaublich mühselig, aus seinem Gestammel schlau zu werden. Nach einer Stunde schaue ich auf die Uhr. Es ist Zeit für mein Abendessen. Ich hatte mir ein Restaurant ausgesucht, das Pilgermenüs anbietet. Diese gibt es aber nur bis 21 Uhr. Als ich in die Stadt hinuntergehe, hängt sich der Einserschüler wie eine Klette an mich. Er will dolmetschen. Als ich in das Restaurant eintrete und bestellen will, drängelt er sich vor und fragt mich, was ich denn haben wolle. Meine Antwort, das Menü, versteht er nicht, so wiederhole ich es nochmals und abermals. Ungeduldig beobachte ich, wie der Zeiger auf der Wanduhr sich kontinuierlich weiterbewegt. Nach einer halben Stunde hat er immer noch nichts begriffen und ich versuche, mich an ihm vorbei zu drücken, um bei dem Mann hinter dem Tresen eine Bestellung abzugeben, doch der Junge hält mich aggressiv davon ab. Als er endlich meine Erklärungen in Englisch verstanden hat, wendet er sich an den Barmann und fragt nach dem Pilgermenü. Dieser zeigt zur Antwort auf die Wanduhr, die mittlerweile neun Uhr überschritten hat. Zu spät. Frustriert begebe ich mich auf den Rückweg. Heute muss ich auf das Abendessen verzichten. Der Schüler hat die Note Eins wirklich verdient.

      In der Nacht setzt ein Gewitter mit Platzregen ein. Eilig retten ich und andere aus dem Schlaf gerissene Pilger die Klamotten aus dem Garten, um sie auf Wäscheständern im überdachten Flur aufzuhängen. Unter der Wäsche bilden sich Wasserpfützen.

      Der Geheimweg

      4. August, Getaria → Deba

      Bei düsterem Tagesanbruch fällt Nieselregen. Ich sammle meine Klamotten vom Wäscheständer und packe sie in eine Plastiktüte. Als der Regen nachlässt und sich die grauschwarzen Wolken verzogen haben, begebe ich mich auf die nächste Etappe. Ich hoffe, dass es im Laufe des Tages wärmer wird, damit ich die Kleidung an meinen Rucksack zum Trocknen hängen kann.

      Der Weg führt in eine fast alpine Landschaft, die mit vereinzelten Bauernhöfen sehr dünn besiedelt ist. Weizenfelder und grüne Weiden bestimmen das Panorama. Unterwegs komme ich mit zwei Pilgern ins Gespräch. Sie kommen aus Barcelona, erfahre ich. Katalanen. Diese haben unter ihren Landsleuten einen schlechten Ruf. Sie gelten als weltfremd und eine Mehrheit von ihnen will sich von Spanien lossagen. Viele sprechen nur ihre regionale Sprache Katalanisch. Dieser Katalane, der mit seiner Tochter wandert, gehört offensichtlich nicht dazu. Er hat auch keine Probleme, sich in der landesweiten Hochsprache Kastilisch oder in Englisch zu unterhalten. Nationalismus würde auch nicht zum Jakobsweg passen, denn Pilger sind weltoffen und kontaktfreudig, selbst wenn sie aus Katalonien stammen.

      Während die beiden weitergehen, studiere ich an einem Rastplatz einen Übersichtsplan, auf dem verschiedene Wegvarianten eingezeichnet sind. Es gibt offensichtlich drei Möglichkeiten. Bevorzugt würde ich einen Weg direkt an der Küste wandern – falls der Weg mit Pfeilen gekennzeichnet ist. Vielleicht hätte ich mir einen Wanderführer mit detaillierten Beschreibungen besorgen sollen. Der Etappenplan, den ich aus dem Internet habe, ist sehr spartanisch.

      Als ich weitergehe, sehe ich an einem Zaun den bekannten gelben Pfeil, der nach links zur Straße führt. Am gleichen Pfosten weisen auch weiß-rote Markierungen nach rechts. In diesem Moment entdecke ich eine Gruppe, die dort einen Trampelpfad entlanggeht und spontan folge ich ihnen. Nach wenigen Metern jedoch endet der Pfad an einem Stacheldrahtzaun. Einen anderen Weg gibt es nicht. Die Pilger helfen sich gegenseitig, um das Hindernis zu überwinden und auch mir wird geholfen, den Zaun zu überqueren. Es ist abenteuerlich. Da sie sich in Spanisch unterhalten, nehme ich an, dass sie sich hier auskennen. Ich folge der Gruppe über ein Feld, auf dem Wiederkäuer sitzen, am Ende des Geländes beginnt ein Schotterweg und ich wandere neben einem Pilger, der einen halben Kopf größer als ich ist und auf dessen Rucksack der Name ›Gabi‹ aufgenäht ist. Hat er diesen von seiner Schwester ausgeliehen, oder stammt er von seiner Mutter, so wie meiner?

      »Seid ihr spanische Pilger? Und ist dieser Weg interessant?«, frage ich ihn.

      »Keine Ahnung«, antwortet er. »Auch ich bin denen spontan gefolgt. Ich komme aus Belgien.«

      Es ist eine spontan zusammengewürfelte Gruppe. Der Schotterweg endet an einem Bauernhof und kein Pfeil deutet daraufhin, in welche Richtung man gehen soll. Es gibt eine asphaltierte Straße, die in die umgekehrte Richtung führt. Als ein Mann vor dem Eingang des Gebäudes auftaucht, marschieren zwei aus der Gruppe auf ihn zu. Es beginnt eine Diskussion in Spanisch und diese dauert eine Weile, bis geklärt ist, wie es weitergeht.

      »Hier geht es weiter.« Einer der Spanier geht voran und wir marschieren über eine steil abfallende Wiese. Langsam wird mir klar, dass meine Vermutung falsch war, dass sich jemand aus der Gruppe auskennen würde. Am Schluss der Wiese durchqueren wir einen Wald, nach einiger Zeit erreichen wir einen Rastplatz. Erschöpft legt jeder seinen Rucksack ab. Eine Weile beobachte ich, wie zwei aus der Gruppe vor einer Tafel stehen und diskutieren.

      Außer dem Belgier besteht unser Kreis aus zwei weiblichen und einem männlichen Pilger spanischer Herkunft. Ich werfe ebenso einen Blick auf die Informationstafel und betrachte vier Wegvarianten. Vergilbte Landschaftsfotos sind am Rand zu

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