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      Fragmente

      von Matthias Jenke

      Fragmente

      Matthias Jenke

      published by: epubli GmbH, Berlin

       www.epubli.de

      Copyright: © 2011 Matthias Jenke

      ISBN 978-3-8442-0301-1

      Interpretationsfrage

      Er atmete langsam und konzentriert. Der Wagen rollte heran, kam vor dem Gebäude zum Stehen. Er sah die Fahrerin im Fadenkreuz seines Zielfernrohres, wartete bis sie den Zündschlüssel gedreht und den Motor ausgeschaltet hatte. Noch einmal tief einatmen, den Druckpunkt des Abzugs suchen, dann ausatmen, die Luft anhalten. Der Lauf seines Gewehres war absolut ruhig, als er den Finger krümmte und den Schuss auslöste. Die Fahrerscheibe zerbarst, der Kopf der Fahrerin zerplatzte in einem roten Nebel aus Blut. Sie fiel vornüber auf das Lenkrad.

      Ruhig und konzentriert zerlegte er das Gewehr, verstaute es in seiner Tasche. Den Menschenauflauf auf der anderen Straßenseite beachtete er nicht. Er verließ die Wohnung, durchquerte den Hausflur und ging die Treppen hinunter. Ein junger Mann mit Kopfhörern in den Ohren und einer Sporttasche über der Schulter. Er trug keine Sonnenbrille, keine Schirmmütze, keinen Hut, nichts das ihn verdächtig erscheinen ließ.

      Wer ihn sah, vergaß ihn sofort wieder.

      Es war später Nachmittag, als er die Schrebergartenkolonie betrat. Sein Auftraggeber hatte sich hier mit ihm treffen wollen. Nachts, im Dunkeln. Das hatte er abgelehnt. Nichts war verdächtiger, als zwei einsame Gestalten, die sich nachts zwischen Schrebergärten herumtrieben. Er hatte auf ein Treffen bei Tageslicht bestanden.

      Sein Auftraggeber hatte einen Grill aufgebaut. Seine Familie war anwesend. Zwei Kinder, die auf einem Klettergerüst spielten, eine Frau, die Salat zubereitete. Er selbst fachte die Glut an und trank Bier. Ein großer, kräftiger Mann mit dickem Bauch, roter Knollennase und lichtem Haar. Ein grober Typ, der nicht vor groben Mitteln zurückschreckte.

      Als er den Schrebergarten betrat, sah der Mann von seinem Grill auf. Seine Miene verfinsterte sich für einen Augenblick, dann nickte er. Die Kinder stoppten ihr Spiel auf dem Klettergerüst, und auch die Frau sah von ihrem Salat auf.

      „Geschäftlich.“ knurrte der Dicke.

      Die Kinder verloren sofort das Interesse; die Frau wirkte verärgert.

      „Du hast versprochen, am Wochenende nicht mehr zu arbeiten.“

      „Geht ganz schnell. Wir müssen nur kurz was klären.“

      Der Killer nickte ihr aufmunternd zu.

      „Wollen sie was trinken?“ fragte sie.

      Der Killer lehnte ab. „Danke.“

      Sein Auftraggeber gab ihm ein Zeichen, ihm zu folgen und ging zu einem kleinen Holzhäuschen, das sich in einer Ecke des Gartens befand. Der Killer folgte ihm hinein. Sie setzten sich an einen Tisch, und der Dicke kramte einen Umschlag aus einer Aktentasche, die an das Tischbein gelehnt stand.

      „Cleverer Schachzug.“ sagte der Killer.

      „Meine Familie? Sie werden kaum Ärger machen, wenn Zeugen anwesend sind.“

      „Wer sagt, dass ich sie nicht ebenfalls ausschalte?“ fragte er. Er genoss den Ausdruck des Schreckens im Gesicht seines Auftraggebers. „Solange das Geld stimmt, gibt es keine Probleme.“

      „Das Geld stimmt.“

      Der Killer hielt die Hand auf, um den Umschlag entgegenzunehmen, aber der Dicke machte keine Anstalten, ihn auszuhändigen.

      „Erzählen sie mir davon.“ knurrte er.

      „Was wollen sie wissen?“ Es kam nicht häufig vor, dass Auftraggeber nach Einzelheiten fragten. In der Regel wollten sie so wenig wie möglich wissen; es reichte ihnen, ein Hindernis aus dem Weg geräumt zu sehen, der Rest war uninteressant. Aber er hatte es diesmal mit einem Neuling zu tun. Ein Möchtegern-Despot, der sich einen geschäftlichen Vorteil verschaffen wollte, indem er die Frau eines Konkurrenten umlegen ließ. Welchen Vorteil er sich davon versprach, wusste der Killer nicht. Motive interessierten ihn nicht.

      „Wie ist es passiert? Einzelheiten.“

      „Es gibt nicht viele Einzelheiten.“ erklärte der junge Mann angekratzt. Er wollte den Umschlag haben und dann verschwinden. Jede Minute, die er sich hier aufhielt war eine Minute zuviel. „Schwarzer Golf, drei oder vier Jahre alt. Junge Frau, etwa 25. Dunkelhaarig, Nasenring. Hielt zum angegebenen Zeitpunkt vor dem angegebenen Haus. Kopfschuss durch das Fahrerfenster. War sofort tot. Eine schnelle Angelegenheit.“

      „25?“ rief sein Auftraggeber erschrocken aus. Die Hand mit dem Umschlag verschwand unter dem Tisch.

      „Etwa.“ antwortete der Killer irritiert.

      „Die Frau, um die es ging, ist Mitte 50.“

      „Vielleicht hat sie sich gut gehalten.“

      „Die sieht älter aus als sie ist! Von wegen gut gehalten. Die Kuh ist eine Schabracke! Wie kommen sie auf die Idee, sie wäre 25?“

      „Vielleicht war sie auch nicht 25.“ Die Situation entwickelte sich zu etwas, das ihm gar nicht gefiel. „Jetzt geben sie mir mein Geld. Ich verschwinde.“

      „Wie kann man so eine Kuh für 25 halten? Haben sie keine Augen im Kopf?“ Der Dicke redete sich in Rage; so etwas konnte schnell hässlich werden. Der Killer konzentrierte sich darauf, tief zu atmen und ruhig zu bleiben.

      „Wir sollten uns beide nicht im Ton vergreifen.“ sagte er leise. „Und viel älter als 25 ist sie auf keinen Fall gewesen. Die Frau entsprach der Beschreibung. Eine jüngere, dunkelhaarige Frau in einem schwarzen Golf. Und sie war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.“

      „Wieso jünger?“ brauste der Dicke auf.

      „Ihre Beschreibung.“

      „Jünger als ihr Mann vielleicht.“ Der Dicke geriet immer mehr in Wut. Sein Kopf lief rot an, seine Stimme wurde laut. Es fehlte nicht mehr fiel, und er würde alle Vorsicht vergessen. Wenn er zu brüllen begann, musste der Killer schnell reagieren. „Aber ihr Mann ist Mitte sechzig.“

      „Das ist mir gleichgültig.“ sagte der Killer. „Geben sie mir mein Geld! Ich habe meinen Auftrag ausgeführt. Die Hälfte vorneweg, die zweite Hälfte nach Erledigung des Jobs!“

      „Sie haben die falsche um die Ecke gebracht!“ knurrte der Dicke. „Sie kriegen keinen Cent! Ich dachte, sie sind ein Profi!“

      „Ich bin ein Profi!“ entgegnete der junge Mann kalt. Er fand sich plötzlich in der Defensive wieder und das gefiel ihm nicht.

      „Sie sind so dämlich, eine Frau Mitte zwanzig umzulegen, wenn sie eine Mittfünfzigerin abknallen sollten!“

      „Halten sie den Ball flach!“ zischte der Killer. „Und seien sie leise, verdammt noch mal! Wollen sie, dass ihre Familie was mitbekommt?“

      Sein Auftraggeber schien ihn gar nicht zu hören.

      „Das ist doch nicht professionell!“ schrie er ihn an. „Ich will mein Geld wieder haben! Wie können sie die falsche abknallen? Sind sie denn völlig bekloppt?“

      „Sie haben gesagt, eine jüngere Frau. Die Frau passte auf die Beschreibung!“

      „Jünger als ihr Mann! 55 oder 56!“

      „Das Alter haben sie mir nicht genannt. Eine jüngere Frau!“

      „Ist doch wohl klar, was ich meine, wenn ich sage jünger: Jünger als ihr Mann!“

      „Das ist Interpretation!“

      „Wofür halten sie mich? Denken sie, ich bin bescheuert?“ Plötzlich schlug er einen herablassenden Ton an: „Ich muss ihnen sagen, dass ich sehr enttäuscht bin! Sie sind mir empfohlen worden! Ein Mann, der weiß was er tut! Ein Mann, auf den man sich verlassen kann! Und dann so was. Ist doch wohl klar, was ich meine, wenn ich

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